Buchskandal:Konstruktiver Radikalismus?

Dyab Abou Jahjah

Dyab Abou Jahjah, geboren 1971 im Libanon, ist ein arabischer Polit-Aktivist und Autor. Im Jahr 2000 gründete er die radikale Arab European League in Antwerpen.

(Foto: Eric Herchaft/Reporters/laif)

Über ein angekündigtes Buch des extrem israelkritischen Provokateurs Dyab Abou Jajjah ist in den Niederlanden ein heftiger Streit entbrannt. Autoren wie Leon de Winter protestieren vehement gegen eine Veröffentlichung.

Von Thomas Kirchner

Voller Krisen sei diese Welt, so die Ankündigung des Verlags, aber die Politik trachte nach Erhalt des Status quo. Der Autor wolle das ändern, und zwar ganz fundamental, mit einem "konstruktiven Radikalismus". Sein Buch sei ein dringend nötiger Aufruf, "das, was wir für völlig selbstverständlich halten, infrage zu stellen".

Es gibt eine Menge Werke, die man so oder ähnlich ankündigen könnte, auf beiden Seiten des politischen Spektrums. Doch weil der Autor Dyab Abou Jahjah heißt, ein flämisch-libanesischer, extrem israelkritischer Aktivist und Provokateur mit heikler Vergangenheit, wird über sein "Plädoyer für Radikalisierung" in den Niederlanden schon jetzt mächtig gestritten, lange bevor das ominös betitelte Büchlein von 76 Seiten am 1. September bei De Bezige Bij in Amsterdam erscheint. Mehrere Autoren des renommierten Literaturverlags, unter ihnen Leon de Winter, Jessica Durlacher und Marcel Möring, protestierten vehement, als Abou Jahjah im Februar ein Vertrag über zwei Bücher angeboten wurde. "Sind sie denn verrückt geworden bei De Bezige Bij?", empörte sich de Winter, ein großer Verteidiger Israels. Der Kolumnist Theodor Holman wies auf den Anfang von De Bezige Bij als Herausgeber von Widerstandsliteratur gegen die deutschen Besatzer während des Zweiten Weltkriegs hin. So ein Haus müsse doch immer auf Seiten der Juden sein.

Im Mai diskutierten die Autoren mit Johan de Koning, der den Verlag interimistisch leitet und die Entscheidung verteidigte. Einige drohten mit Abwanderung, eine Konsequenz, die nun Tommy Wierenga gezogen hat. Sein nächstes Buch erscheine anderswo, kündigte der Bestseller-Autor ("Joe Speedboat", Hanser) am Wochenende an. Wobei der Schritt wenig glaubwürdig wirkt. Wierenga selbst stellte zwar einen Zusammenhang mit dem Abou-Jahjah-Streit her, relativierte aber, er fühle sich schon länger nicht mehr wohl bei De Bezige Bij. In der Verlagsszene wird ihm auch "blanker Opportunismus" vorgeworfen, in Wahrheit gehe es nur ums Geld. Sein neuer Verleger, der ehemalige Bezige-Bij-Chef Robbert Ammerlaan, gilt in der Branche als einer, der Autoren gern mit üppigen Honoraren lockt.

Abou Jahjah, 44, kannte man in den Niederlanden bisher kaum, während er Belgien seit mehr als 15 Jahren bewegt: als arabischer Extremist, der gnadenlos aufspießt, was schiefläuft, wenn die Kulturen aufeinanderprallen, der das westliche Selbstbild infrage stellt, Selbsttäuschungen anprangert, Ängste aufdeckt - und dabei sehr weit geht, manchmal vielleicht zu weit.

Er selbst sieht sich als radikal Linker, in der Tradition des schwarzen amerikanischen Bürgerrechtlers Malcolm X, kämpft für das Selbstbestimmungsrecht von Muslimen in ihren Gastkulturen, die eingeforderte Assimilation hält er für "kulturelle Vergewaltigung". Der Krieg gegen Israel bestimmte seine frühe Kindheit, israelische Raketen setzten 1975 das Haus seiner Familie in Libanon in Brand. Mit 19 ging er nach Belgien, studierte in Löwen Politik und gründete später in Antwerpen die radikale Arab European League. Dann folgte, was ihm noch heute vorgeworfen wird: Die (später eingeschränkte) Aussage, die Anschläge 2001 in New York hätten in ihm und seinesgleichen "nicht Freude oder Glück, aber ein Gefühl der süßen Rache" hervorgerufen. Später stand er wegen angeblicher Anzettelung von Gewalt in einem Stadtteil von Antwerpen vor Gericht, wurde aber freigesprochen. Außerdem kooperierte Abou Jahjah mit Fouad Belkacem, dem Anführer der salafistischen Gruppe Sharia4Belgium. Und immer wieder fällt er auf mit Tiraden gegen Israel, welche die Grenze zum Antisemitismus überschreiten. Auf Facebook schrieb er 2009: "Für die zionistischen Invasoren Palästinas habe ich nur einen Satz: Koffer oder Grab."

Abou Jahjah ist, nach ein paar Jahren, die er in Libanon verbracht hat, deutlich milder oder schlicht vorsichtiger geworden. In seinen jüngsten Büchern, in den Kolumnen, die er wöchentlich für die belgische Zeitung De Standaard schreibt, in seinen Lesungen und Vorträgen finden sich noch immer beißende Kritik, aber keine Wendungen oder Gedanken mehr, die in irgendeiner Hinsicht justiziabel wären. Terror und Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung in Europa lehnt er ausdrücklich ab.

Der flämische Schriftsteller Stefan Hertmans nimmt Abou Jahjah in Schutz. Indem er seine Ansichten immer wieder aufs Neue und immer nuancierter präsentiere, sei er "eine vollwertige Stimme in der belgischen Debatte" geworden. Gerade Leute wie er müssten zu Wort kommen, um die Radikalisierung einer ganzen Generation von Einwandererkindern zu verhindern. Was die freie Äußerung von Meinungen angehe, habe De Bezige Bij eine Tradition zu verteidigen. Man möge doch erst einmal lesen, was in dem Buch stehe.

Marcel Möring wiederum weiß jetzt schon, dass er "nicht in Gesellschaft von Abou Jahjah verkehren" wolle. Der Mann solle seine "Stupiditäten", seinen revisionistischen Blick auf den Holocaust publizieren, wo er wolle, aber nicht unter demselben Dach. De Bezige Bij will die Angelegenheit nicht kommentieren. Eine Konkurrentin allerdings schon: "Ich würde kein Buch von Abou Jahjah veröffentlichen", sagt Eva Cossée vom gleichnamigen Amsterdamer Verlag. "Wenn wir etwas machen, dann nur, wenn wir hundertprozentig dahinterstehen."

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