Buchmarkt:Verwertet und verkauft

Verleger und Agenten protestieren gegen die Novelle des Urheberrechts. Aber auch Autoren fürchten, globalen Konzernen ausgeliefert zu sein.

Von Lothar Müller

Es ist bemerkenswert, wer alles den Offenen Brief gegen die vom Justizministerium vorgelegte Gesetzesnovelle zur Neuformulierung des Urheberrechtes unterschrieben hat. Über 250 Autoren, Verleger und Literaturagenten protestieren darin gemeinsam gegen die vorgesehene Einführung eines "Rückrufrechts": es würde dem Urheber eines Werks erlauben, fünf Jahre nach Vertragsabschluss das einem Verlag übertragene Nutzungsrecht zurückzuziehen, wenn ihm ein anderer Verwerter ein besseres Angebot macht. Das klingt wie eine Stärkung der Position des Urhebers, über die sich jeder Autor die Hände reiben müsste. Aber warum haben dann nicht nur Verleger gegen den Entwurf protestiert, sondern auch Autoren von Volker Braun über Peter Handke, Hans Magnus Enzensberger und Sibylle Lewitscharoff bis hin zu Lutz Seiler, Ingo Schulze und Frank Witzel, dem diesjährigen Gewinner des Deutschen Buchpreises?

Und warum haben unter den Verlegern nicht nur die Leiter kleinerer und mittlerer Verlage wie Andreas Rötzer von Matthes & Seitz, der Witzels Riesenroman verlegt hat, und Susanne Schüssler vom Wagenbach Verlag unterschrieben, sondern auch Jörg Bong vom S. Fischer Verlag und Helge Malchow von Kiepenheuer & Witsch, die beide zum Medienkonzern Holtzbrinck gehören? Müssten sich nicht die größeren Verlage ebenfalls freuen, weil sie künftig den Kleinen ein Überraschungserfolgsbuch, das sich anschickt, zum Longseller zu werden, wegkaufen können, ohne sich zuvor an den Investitionen und am Risiko beteiligt zu haben?

Der Grund für die gemeinsame Aktion der Großen und der Kleinen, der Urheber und der Verwerter ist, dass eine alte, lieb gewordene, von unzähligen Geschichten und Anekdoten umrankte Konstante an Bedeutung verliert: die Opposition von Autor und Verleger. Sie stirbt nicht aus, nach wie vor feilschen der Urheber und sein Verwerter um die Höhe von Vorschüssen, um Prozentanteile und Lizenzklauseln. Aber sie tragen ihren Interessengegensatz zunehmend in dem Bewusstsein aus, das Geschäftsmodell, innerhalb dessen sie beide agieren, gemeinsam verteidigen zu müssen. Denn die andere Seite des Interessengegensatzes war schon immer die Symbiose, und wenn die Autoren nun gegen eine Stärkung der Urheberposition Einspruch erheben, die auf der strukturellen Schwächung der Verlagsseite beruht, dann heißt das vor allem: Wir wollen auf dem künftigen Markt nicht allein sein mit den Global Playern, die als Distributor oder Suchmaschine begonnen haben, aber mehr und mehr ins klassische Verwertergeschäft - auch in die Buchbranche - einsteigen.

Fünf Jahre Rückrufrecht: Für die Buchbranche ist das keine sehr lange Zeit

Natürlich muss kein Autor das Rückrufrecht in Anspruch nehmen, wenn ein ganz Großer ihm grandiose Konditionen für ein Werk anbietet, dessen Nutzungsrechte er bereits fünf Jahre zuvor verkauft hat. Aber kein Verlag könnte mit seinem Autor einen Vertrag abschließen, der das Rückrufrecht nicht enthält. Fünf Jahre, das klingt nach einem nicht ganz kurzen Zeitraum. Aber wenn der Vertrag geschlossen wird, ist das Buch in der Regel längst nicht fertig. Und bei Büchern, die nicht sogleich durchstarten, dauert es oft mehrere Jahre, bis sie ihre Kosten - womöglich gehört dazu ein Vorschuss - eingespielt haben.

Es hat mit der Zeitdimension des Buchgeschäftes zu tun, dass die Rückrufklausel zum Streitpunkt wird. Andere Urheber - das Urheberrecht ist ja nicht exklusiv auf Autoren zugeschnitten - könnten von ihr profitieren, zum Beispiel Drehbuchautoren, die einem ARD-Sender den Film, der längst von der Mediathek verschwunden ist, entziehen wollen, um ihn selber oder durch einen professionellen Anbieter im Internet zu verwerten, wenn der Sender seinerseits nicht dafür sorgt. Auf der von der "Initiative Urheberrecht" organisierten Konferenz "Die Zukunft des Urheberrechts" Anfang Dezember hat der Drehbuchautor Fred Breinersdorfer die Reform des Urheberrechtes als "wichtigen Schritt" in Richtung eines internettauglichen Vergütungssystems begrüßt. Zugleich forderte er die Stärkung der Verwertungsgesellschaften, die für die Zweitverwertung von Filmen etwa durch YouTube Honorare einfordern können und dabei Urheber und Verwerter zugleich vertreten.

Die Verwertungsgesellschaft, die in Deutschland für Autoren und Verlage zuständig ist, ist die VG Wort. Sie ist derzeit in heller Aufregung. Und mit ihr die deutschen Verlage. Denn Anfang November hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die Verwertungsgesellschaften entscheidend geschwächt (SZ vom 14. November). Er hat im Prozess von Hewlett Packard gegen die belgische Gesellschaft Reprobel die Beteiligung der Verlage an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaft für unrechtmäßig erklärt.

Es geht hierbei um Vergütungen für die Zweitverwertung von Sprachwerken durch Verleih, Digitalisierung oder Kopie. Zur Finanzierung werden Bibliothekspauschalen erhoben und für jedes verkaufte Kopiergerät Beträge abgeführt. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes dürfte auf die deutsche Rechtsprechung durchschlagen. Schon seit 2012 zahlt die VG Wort die Ausschüttungen nur unter Vorbehalt. Denn auch hier ist ein Prozess anhängig, der im März 2016 beim Bundesgerichtshof entschieden werden soll. Dass die Verlage auch hierzulande ihre Ausschüttungen - auch rückwirkend - verlieren, ist wahrscheinlich. Zumal kleinere Verlage dürften Rücklagen dafür kaum gebildet haben.

Diese Aussicht dürfte die Neigung der Autoren bestärkt haben, öffentlich für ihr Gegenüber, die Verlagsseite einzutreten. Zu Recht. Ihr Protest ist an den Bundesjustizminister adressiert. Längst aber ist der Horizont des deutschen Urheberrechts das europäische Recht. Der Autorenprotest ist ein symbolischer Verhandlungsauftrag.

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