Buchmarkt:Ruhe bewahren

Es wird mehr über Fernsehserien als über neue Romane geredet, und immer weniger Menschen kaufen Bücher. Allerdings sind die Summen, die für Buchkäufe ausgegeben werden, ziemlich stabil. Was bedeutet das?

Von Nicolas Freund

Das Buch stirbt. Mal wieder. Die Jugend steht ja grundsätzlich im Verdacht, alles gerne zu tun, außer zu lesen, und so den Untergang des Buches zu befeuern. Trotzdem ist die Germanistik nach wie vor einer der beliebtesten Studiengänge in Deutschland. Zuletzt hieß es, das E-Book werde das gedruckte Buch endgültig verschwinden lassen. Auch so kam es nicht, weder ersetzte das E-Book das gedruckte Wort, noch konnte es sich überhaupt richtig durchsetzen.

In letzter Zeit kursierten in Branchenmagazinen Zahlen und Berichte aus einzelnen Jahren, die einen teilweise erschreckenden Rückgang an Lesern prophezeiten. Solche Jahresvergleiche sind aber oft wenig aussagekräftig, da einzelne Titel, wie zum Beispiel ein neuer "Harry Potter"-Band, die Statistik verzerren. Wenn in einem Monat ein einzelner Titel extrem gut verkauft wird, klafft im folgenden Jahr in diesem Monat eine vermeintliche Lücke. Es sieht so aus, als sei der Markt dramatisch eingebrochen. Dabei haben sich die Zahlen nach dem vergangenen Bestseller nur normalisiert.

Die Interessengruppe Belletristik & Sachbuch des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels hat nun auf ihrer Jahrestagung in München belastbarere Zahlen präsentiert. Ausgewertet wurden die Jahre 2012 bis 2016, und im Fünf-Jahresvergleich ist tatsächlich ein deutlicher Rückgang an Buchkäufern zu erkennen, nämlich um 6,1 Millionen: von 36,9 Millionen Käufern im Jahr 2012 auf nur noch 30,8 Millionen 2016, mit dem größten Rückgang zwischen 2015 und 2016. (Siehe Grafik.) Der Trend scheint sich 2017 fortgesetzt zu haben.

Gleichzeitig blieben die Ausgaben für Bücher in demselben Zeitraum aber sehr stabil und stiegen von 2015 auf 2016 sogar um 1,8 Prozent. Denn angestiegen sind der gezahlte Preis für ein einzelnes Buch um 52 Cent auf 10,98 Euro und die Jahresausgaben pro Käufer um 21,18 Euro auf 134,29 Euro. Auch die Stückzahl der verkauften Bücher ging nicht im selben Maße wie die der Käufer zurück, sondern nur von 399 Millionen 2012 auf 377 Millionen 2016. Weniger Leser geben also mehr Geld für Bücher aus.

Der Buchmarkt spiegelt damit eine gesellschaftliche Fragmentierung wider. Der Börsenverein sieht hier "mehrere Faktoren ineinandergreifen": Obwohl die Mediennutzung in den letzten Jahren zugenommen hat, verlor "das Buch als einziges Medium Anteile". Das bestätigt, was Verlage schon lange als einen der Hauptgründe für Verkaufsrückgänge vermuten: Sie stehen nicht nur in Konkurrenz zueinander, sondern auch zu Videospielen und besonders zu Streamingdiensten wie Netflix und Spotify, deren Nutzung viel Freizeit einnimmt und auch in Teilen den Diskurs vereinnahmt hat. Gerade Fernsehserien wurde schon vor Jahren, nicht zu Unrecht, die Rolle des Romans im 21. Jahrhundert zugesprochen. Diskutiert wird heute eher über die neuesten Serien als über Buchneuerscheinungen.

Diese Entwicklungen sind zwar beachtenswert, aber nicht für alle Verlage bedrohlich. Der Jahresumsatz im Buchhandel liegt seit 1998 stets bei (umgerechnet) über 9 Milliarden Euro und damit deutlich höher als in den drei Jahrzehnten davor. Daran haben auch die Entwicklungen der letzten fünf Jahre nichts geändert.

Obwohl seine Nutzung zurückgeht, ist das Buch laut dem Marktforschungsinstitut GfK noch immer mit großem Abstand das meistgenutzte Medium. Obwohl am Küchentisch, mit Kollegen und in Universitätsseminaren inzwischen auch über TV-Serien und Computerspiele diskutiert wird, werden akademische und gesellschaftliche Debatten noch immer vor allem in Büchern und Zeitung geführt. Und grundsätzlich ist ja gar nichts dagegen einzuwenden, statt ein schlechtes Buch zu lesen, mal eine gute Fernsehserie anzusehen.

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