Buchhandel:James Lackington, der Jeff Bezos des 18. Jahrhunderts

Buchhandel: Mit dem Massenhandel von Büchern verdiente sich James Lackington eine goldene Nase.

Mit dem Massenhandel von Büchern verdiente sich James Lackington eine goldene Nase.

(Foto: gemeinfrei)

Von wegen verklärte Buchladen-Romantik! Ein Blick auf die Anfänge des Buchhandels zeigt: Massenware und Billigpreise waren auch im 18. Jahrhundert der Schlüssel zum Erfolg.

Von Eva Fritsch

Jeff Bezos, der Name, der bei deutschen Buchhändlern regelmäßig für leichte bis mittelschwere Verstimmungen sorgt, machte weltweit Karriere, als er 1994 die E-Commerce-Plattform Amazon gründete und damit nicht nur den Buchhandel auf eine neue Stufe hob. Inzwischen verschwinden deswegen peu à peu die Buchläden aus den deutschen Fußgängerzonen, weswegen man sich in der Branche mitunter gerne seiner Anfänge besinnt.

Doch wer zurückdenkt an die Ursprünge des Buchhandels, der entdeckt etwas Überraschendes: Die Prinzipien, die damals zum Erfolg führten, gelten heute noch wie damals im 18. Jahrhundert. Ein gewisser James Lackington, Besitzer des damals größten Buchladens Englands und Pionier des Massenbuchhandels, revolutionierte das Buchgeschäft mit Marketingstrategien und Kampfpreisunterbietung. Von wegen also kleiner gemütlicher Buchladen um die Ecke - der Buchhandel war bereits in seinen Anfängen ein ganz großes Geschäft. Und sein Erfinder Lackington ein Exzentriker und Wirtschaftsmogul, der nicht nur zwei Autobiografien veröffentlichte, sondern als Zahlungsmittel in seinem Laden Münzen mit seinem Konterfei verbreitete.

Schuster, bleib nicht bei deinen Leisten!

Als Sohn eines Schuhmachers und einer Weberin in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, machte sich Lackington nach seiner Lehre als Schuster daran, bald auf anderen Wegen Geld zu verdienen.

Mit seinem ersten ersparten Gehalt kaufte er gebrauchte Bücher, mit denen er Jahre später den Grundstein für seinen Buchhandel legte. Er hegte bald den großen Traum, das Buch für jedermann erschwinglich zu machen - und so aus heutiger Sicht zum Jeff Bezos des kleinen Mannes zu werden.

Die Zeichen standen nicht schlecht: Im England des 18. Jahrhunderts war die Lesekultur stark im Wandel, immer mehr Leute wurden erfolgreich alphabetisiert und begannen zu lesen; die Nachfrage nach Büchern stieg, auch wenn das gedruckte Wort vergleichsweise immer noch ein Luxusgut bleiben sollte.

Dem jungen Mann, der bis ins Jugendalter selbst noch Analphabet war, sollte die Geschäftsidee des Buchhandels im großen Stil Wohlstand und Ansehen bescheren: Auf etwa 5 000 Pfund pro Jahr (heute etwa 700 000 Dollar) beliefen sich seine Einnahmen, 100 000 Bücher wurden jährlich verkauft. In Lackingtons Geschäft "The Temple of the Muses", das er 1793 in London gegründet hatte, lagerten 500 000 Bücher, was das Unternehmen zur größten damaligen Buchhandlung Englands machte.

Leseinseln? Gab es schon im 18. Jahrhundert!

Lackingtons Geschäftsstrategie war zur damaligen Zeit ein innovatives Konzept: Er bestellte massenhaft Bücher, die er dann zum niedrigen Preis anbot - darunter auch Mängelexemplare, heute ebenfalls ein beliebtes Prinzip der Branche.

Die Bezeichnung "Cheapest Bookstore in the World" ließ jeden Neuankömmling wissen, dass bei Lackington mit Sicherheit ein Schnäppchen zu holen war - allerdings nahm er als Zahlungsmittel nur Bargeld an, obwohl es zu den Serviceleistungen damaliger Händler gehörte, Kredite zu geben. Doch damit wurde es ihm möglich, den Preis seiner Bücher zu drücken.

Das Besondere am "Tempel of the Muses", der nicht nur wegen seiner Größe zur Touristenattraktion wurde, war sein Charakter als künstlerische Begegnungsstätte: Die sogenannten "Lounging Rooms" boten dem Besucher auf vier Etagen Platz zum Schmökern - ähnlich der Leseinseln, wie man sie heute von den großen deutschen Buchhandlungen kennt. In Lackingtons Bücheroase verschlug es sogar einst den britischen Poeten John Keats, der dort die Männer traf, die ihn später erfolgreich verlegten.

Denkt man an die großen Buchhandlungen, die heute in deutschen Innenstädte vertreten sind, fällt es schwer, sich diese als kreativen Rückzugsort vorzustellen: Neben Werken der Weltliteratur und der aktuellen Spiegel-Beststellerliste stehen vegane Kochbücher, Reiseführer und Malbücher für Erwachsene.

Nicht zu vergessen das ständig wachsende Kontingent an Filmen, Spielen oder Geschenkartikeln. Fast unvorstellbar also, dass sich heute inmitten von Playboy-Kalendern, Spiegelburg-Bleistiften und Siedler von Catan-Erweiterungen ein verträumter Dichter verirren, ein junger Autor umringt von Fantasy-Roman-Aufstellern seine zukünftigen Verleger treffen sollte.

Lackingtons Motto: "Small profits do great things"

Ebenso wie Bezos war Lackington eine schillernde Figur, die von ihren Konkurrenten beneidet wurde und für Kontroversen sorgte. Macht der Amazon-Gründer momentan mit seinem neuesten Coup, unter die Einzelhändler zu gehen und stationäre Läden zu eröffnen, von sich reden, warfen Lackington Neider ihm vor, in seinen Katalogen die wahre Qualität seiner Bücher zu verschleiern und nicht dank des Buchhandels, sondern durch Lotteriegewinne zu Wohlstand gekommen zu sein.

Andere forderten, Lackington solle ihnen auch ein Stück vom großen Kuchen des Massenbuchhandels überlassen, er habe sich schließlich schon genug daran bereichert. Den Selfmademan scherte das alles wenig, viel lieber ließ er sich mit einer Droschke durch London kutschieren, passenderweise mit der Gravur: "Small profits do great things". Er beließ es außerdem nicht nur beim Bücherverkauf, sondern widmete sich parallel dem Verlegen von Büchern: 1818 entstand in Zusammenarbeit mit dem Verlag Hughes, Harding, Mavor & Jones mit der geringen Auflage von 500 Exemplaren das Buch einer gewissen Mary Shelley: "Frankenstein" war geboren.

Auch wenn Lackingtons "Temple of the Muses" sich nie zur Ladenkette entwickelte und nach einem Brand im Jahr 1841 nicht mehr neu aufgebaut wurde, bleiben seine revolutionären Ideen bis heute bestehen. Zu den Arbeitsbedingungen im James Lackingtons Buchtempel ist übrigens nichts bekannt.

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