Buch "Zornpolitik":Darf man über Björn Höcke lachen?

Bundestagswahl - AfD

Antisemitsmus-Forscher Uffa Jensen plädiert dafür, dem Zorn von Björn Höcke & Co. mit Humor zu begegnen.

(Foto: dpa)

Ja, sagt der Antisemitismus-Forscher Uffa Jensen in seinem Buch "Zornpolitik". Denn: Man sollte der Rechten nicht das Monopol auf Gefühlspolitik überlassen.

Von Claus Leggewie

Woher kommt dieser Hass, fragte man sich zuletzt anlässlich der Pöbeleien gegen Politiker etablierter Parteien und beschmierter Wahlplakate, auch bei gewöhnlichen Bürgerversammlungen und Demonstrationen. Andererseits: War das politische Geschehen nicht immer von Bauchgefühlen getrieben, tritt nicht beim Bohren harter politischer Bretter zum "Augenmaß", dem bedächtigen Abwägen von Entscheidungsalternativen, stets auch "Leidenschaft", wie Max Weber 1919 "Politik als Beruf" unterteilt hat? Damals, nach Krieg und Revolution, waren die Zeiten gewiss nicht minder aufgewühlt, am Beginn eines veritablen Weltbürgerkriegs, in dem ein kolossales Ressentiment gegen Juden wuchs.

Der Berliner Antisemitismus-Forscher Uffa Jensen, spezialisiert auf die Geschichte der Gefühle, sieht im rationalistischen Ansatz der Politikwissenschaft und im rationalisierenden Duktus politisch-administrativer Praxis die Gefühlsdimension vernachlässigt. Deswegen könnten wir den Erfolg rechter (und linker) Gefühlspolitik nicht verstehen. In seinem Buch geht er die sieben Todsünden wider die reine Vernunft durch: Ressentiment, Ekel, Hass, Angst, Zorn, Scham und Hochmut, und arbeitet die Unterschiede dieser Palette negativer Emotionen heraus. Ihr Vorkommen führt er nicht auf "objektive" Ursachen zurück (wie Globalisierung, soziale Ungleichheit etc.), sondern behandelt sie als Quellen politischen Handelns sui generis. Nicht den Wutbürgern ruft er zu: Werdet vernünftig!, vielmehr rät er den Kritikern und Gegnern: Interpretieren wir unsere Gefühle besser! Andernfalls "hätten die Antisemiten, Muslimhasser sowie die Ausländer- und Fremdenfeinde in einem elementaren Punkt recht: Unsere Gefühle gegen Andere hätten etwas Unhintergehbares. Wir müssten damit leben, dass wir Andere nicht mögen, sie ablehnen, fürchten oder gar hassen. Doch dem ist nicht so. Unsere Gefühle sind keine reinen Affekte, die uns unbewusst steuern. In diesem Sinne sollten wir als Einzelne und als Gesellschaft lernen, uns zu unseren Gefühlen gegen Andere zu verhalten. Wir sollten mehr über sie herausfinden. Wir sollten sie befragen, mit ihnen umgehen. Kurz: Wir brauchen eine Praxis der Gefühle".

Von einem Björn Höcke oder einer hysterisch aufdrehenden Pegida-Demonstrantin wendet Jensen sich folglich nicht entsetzt oder angewidert ab, er hört ihnen zu und sucht die Klaviatur der Gefühle zu verstehen, auf der die Rechte spielt. Als derzeit vorherrschendes Gefühl identifiziert Jensen den Zorn. Während "rasende" Wut beim Einzelnen hängen bleibe, erlaube "gerechter" Zorn eine Entäußerung und Selbstermächtigung, die für die gefühlte Geringschätzung ein bestimmt-unbestimmtes Gegenüber verantwortlich macht. Zorn aktiviert gegen andere und kann eine kollektive Dimension annehmen: Zornpolitik.

Es gibt kein Patentrezept, wie mit dem geballten Zorn im AfD/Pegida-Dunstkreis umzugehen ist

Jensen breitet bekannte Erkenntnisse der neueren Gefühlsforschung aus, wonach Gefühl und Verstand kein Gegensatzpaar sind, sondern auf einem Positiv/Negativ-Kontinuum angesiedelt sind und historisch in unterschiedlichen Graden und Gestalten auftreten. Als geschichtliche Referenz wählt er den Antisemitismus im deutschen Kaiserreich und erinnert an Heinrich von Treitschke. Der wortgewaltige Geschichtsprofessor verkündete 1879 vom Katheder der Reichshauptstadt, die Juden seien "unser Unglück". Das katastrophale Ende dieses unstillbaren, unaufklärbaren und unzerstörbaren Ressentiments von Deutschen, die mit der Feinderklärung ihre Inferioritätskomplexe abarbeiteten und sich zur Nation aufschwangen, behandelt Jensen nicht, da die Matrix der aktuellen Fremdenfeindlichkeit - und darum geht es dem Autor, weniger um den Hass auf die politischen Eliten - in der Tat eher der Wilhelminismus und die Weimarer Jahre sind als die Vollstreckung des Judenhasses durch die Nationalsozialisten.

Doch im Wissen um diese mögliche Radikalisierung - zornige Wähler der NSDAP um 1930 lasen den Stürmer, hatten aber kaum derartige Ausrottungspläne - fällt der Analogieschluss auf die heutige Judenfeindschaft und vor allem die (anders gelagerte) Islamophobie schwer, und Jensen bekommt den Bogen in die Gegenwart auch nicht ganz hin. Wer gehofft hatte, bei ihm einen Weg zwischen übergroßem Verständnis für "besorgte Bürger" und ihrer konterproduktiven Dämonisierung gewiesen zu bekommen, bleibt ratlos.

Es gibt ohnehin kein Patentrezept, wie mit dem geballten Zorn im AfD/Pegida-Dunstkreis umzugehen ist, denn in ihm verbinden sich beinharte Faschisten mit Zeitgenossen, die aus ganz disparaten Gründen erzürnt sind, häufig bündeln sich eher private Enttäuschungen zu einer "Schnauze voll - Wir sind das Volk"-Suada. Was soll man dagegen tun? Reden! Der Dialog wird verweigert. Ignorieren! Festigt nur den Märtyrerstatus. Attackieren! Führt womöglich in den Bürgerkrieg. Die rationale (?) Politik der Bundeskanzlerin für den Aufstieg des Ressentiments mitverantwortlich zu machen, greift zu kurz, auch dass es, wie Jensen ebenfalls meint, falsch sei, Gauland, Weiler & Höcke als politische Unternehmer zu decouvrieren, die mit den Gefühlen ihrer Anhänger spekulieren und aus deren subjektiver Hoffnungslosigkeit Kapital schlagen - nun hinein bis in den Deutschen Bundestag. Genau das tun sie mit hochgradigem Zynismus, und dort muss man sie unnachgiebig stellen.

Björn Höcke als Objekt von Spott und Satire? Man mag an Chaplin oder Lubitsch denken

Eine zeitgemäße Massenpsychologie der politischen Enttäuschung und Entfremdung bleibt auch nach diesem gut lesbaren, vor allem in seinen historischen Passagen schlüssigen Versuch eine Herausforderung. Die emotionalen Zustände dieses Landes und anderer Demokratien ergründen zu wollen, kommt der Aufgabe nahe, einen Pudding an die Wand zu nageln, womit sich schon Peter Sloterdijk und Pankaj Mishra (SZ vom 25. Juni 2017) schwergetan haben. Eines lehrt uns Jensen jedenfalls: Wer sich dem Volkszorn rational überlegen fühlt, könnte sich in einer ebensolchen Gefühlsblase aus Häme, Angst und Ressentiment bewegen.

Was bleibt aber, wenn, wie Max Scheler schon in den 1920er-Jahren wusste, aufklärerische Vernunft gegen festsitzende Ressentiments und paranoide Weltbilder nicht hilft? Vor zwei Jahrzehnten, als mit den deutschen "Republikanern" die letzte rechtsradikale Welle die Republik erreichte, war ich Augenzeuge eines bizarren Chaos-Parteitages der Reps in Rosenheim. Um mich herum fuchtelten Männer überwiegend mittleren Alters mit ihren Stimmkarten, sie schrien sich, da ihnen die Wiedervereinigung den Feind draußen genommen hatte, gegenseitig nieder, sodass selbst der Vorsitzende Franz Schönhuber, der seine Leute eher verachtete, sich die Haare zu raufen begann. Diese von unheiligem Ernst getragene Spannung verursachte mir einen unwiderstehlichen Lachanfall.

Darf man über den bigotten Herrn Höcke lachen, spotten, Satire schreiben? Aber ja. Man denkt an Lubitsch oder Chaplin, und Jensen plädiert dafür, dem Zorn von Höcke & Co. mit Humor zu begegnen. Eine befreiende Form der Bewirtschaftung von Gefühlen oder neudeutsch: des Emotionsmanagements. Aber in das Lachen wird die andere Seite schwerlich einfallen, und es könnte einem womöglich im Halse stecken bleiben.

Uffa Jensen: Zornpolitik. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2017. 208 Seiten, 16,50 Euro.

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