Buch über den Terror:Als seien abgeschlagene Köpfe alltäglich

Hassan Blasim weiß, was Verfolgung bedeutet - er ist aus dem Irak geflohen. In seinem neuen Roman überzeichnet er die brutale Medialität des Terrorkriegs ins Groteske.

Von Hans-Peter Kunisch

Es gibt ein eindrückliches Youtube-Video, in dem Hassan Blasim bescheiden aber deutlich von seinem Fluchtweg erzählt. Er führte ihn aus Bagdad, wo er 1973 geboren wurde, im Jahr 1998 zuerst in den kurdischen Norden des Irak, nachdem ein Dokumentarfilm des Filmhochschülers ins Visier des Geheimdiensts geraten war. Im Norden dreht er unter falschem Namen Filme, darunter einen regimekritischen Spielfilm, die Lage spitzt sich zu. Schließlich entschließt sich Blasim, weiterzuziehen, gelangt mit wechselnden Schleppern über winterliche Gebirgsgrenzen: nach Iran, in die Türkei, nach Bulgarien, über Serbien und Ungarn bis nach Finnland, wo er 2004 ankommt.

Dreieinhalb Jahre dauerte die Odyssee, mit Schwarzarbeit in Restaurants und Fabriken finanziert. Mehrmals wurde Blasim aufgegriffen und verprügelt. An der bulgarischen Grenze mussten sich die Flüchtlinge ausziehen, eine halbe Stunde im Eiswasser sitzen. Sie kamen wieder. Heute ist Blasim in Finnland als Flüchtling anerkannt, doch in seinen großartigen provokativen Erzählungen sind die Erfahrungen der Flucht nicht vergessen.

Man meint, die Kriegs- und Flüchtlings-Wirklichkeiten aus den Nachrichten zu kennen, aber bei Blasim bleiben sie ohne nervenschonenden Kommentar oder routinierte Skandalisierung. Er findet groteske Bilder, baut Geschichten voller überraschender Wendungen um die Flüchtlinge herum, fantastisch und trocken. Er setzt Dringlichkeit und Kunst gegen Sensationslust und Verlogenheit, könnte man sagen, und er stattet seine Erzählungen mit makabrem Witz und einem Understatement aus, das glauben zu machen scheint, abgeschlagene Köpfe seien alltäglich.

So ergeht es dem Ambulanzfahrer in der Geschichte "Archiv und Wirklichkeit". In einem Malmöer Flüchtlingszentrum erzählt er, wie er im Winter 2006 ans Ufer des Tigris geschickt wird. Sechs Männer sind tot. Vielleicht waren es Religionsführer. Egal. Er lädt den Sack mit den Köpfen in den Krankenwagen, der - von der Polizei entführt wird. Die Polizisten machen den Fahrer und die Köpfe zu Hauptdarstellern eines Videos. Der Fahrer muss vor der Kamera die Aussage machen, er sei ein Offizier der irakischen Armee, der mit den toten Kollegen Vergewaltigungen durchgeführt habe, auf Befehl der USA.

Überzeichnung ins Groteske

Der Sender Al Jazeera bringt das Video, die Entführer des Ambulanzfahrers jubeln und verkaufen ihn an die nächste Gruppe, die weitere Videoaufnahmen machen will, mit oder ohne Köpfe. Blasim überzeichnet die brutale Medialität des Terrorkriegs ins Groteske, bis dem Leser der Atem stockt. Zu Recht hat er für seine zweite Erzählsammlung, "The Iraqi Christ" (2013) den britischen "Independent Foreign Fiction Prize" gewonnen. Auch wenn das Ineinander von Realität und Kunst in den Storys aus "The Madmen of Freedom Square" (2009) vielleicht noch überzeugender wirkt. Die jetzt erschienene deutsche Ausgabe bringt, in der gut lesbaren Übersetzung von Hartmut Fähndrich, eine Auswahl aus beiden Bänden.

Der Kulturredakteur ist tot, heißt es im Vorspann von "Truppenzeitung", aber "wir werden auf den Friedhof gehen, ins Leichenschauhaus (. . .), wir werden den Toten nackt herausholen und ihn in einen öffentlichen Park bringen. Wir werden ihn auf eine Bank setzen, unter eine satt orangerote Sonne." Der Tote erzählt, das "besondere Interesse" seiner Seite habe den "Kriegsgeschichten und der Kriegspoesie" gegolten. "Geduldig wie ein Bäcker" habe er redigiert, ein gutes Familienleben geführt und davon geträumt, Kulturminister zu werden.

Alles wird anders, als ein Soldat gut geschriebene Geschichten über Liebe und Sex von der Front schickt. Das wollen die Leute lesen! Der Redakteur ist begeistert, hört kurz danach, der Soldat sei getötet worden. "Vor Glück wäre ich fast in Tränen ausgebrochen. Was für ein Geschenk des Schicksals! In einem unbeschreiblichen Taumel las ich den Namen des gefallenen Soldaten wieder und wieder."

Der Kulturredakteur schlüpft teilweise in eine neue Identität, hat mit den Geschichten Erfolg und wird Kulturminister. Doch plötzlich erhält er neue Texte des Toten. Er lässt das Grab öffnen: der Soldat ist drin. Wieder kommen neue Geschichten. Sie verfolgen den Kulturminister, noch nach der Verbrennung des Leichnams.

Buch über den Terror: Hassan Blasim: Der Verrückte vom Freiheitsplatz. Roman. Verlag Antje Kunstmann, München 2015. 256 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 15,99 Euro.

Hassan Blasim: Der Verrückte vom Freiheitsplatz. Roman. Verlag Antje Kunstmann, München 2015. 256 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 15,99 Euro.

Ein Interviewer hat Hassan Blasim schon dem "magischen Realismus" zugerechnet. Seine Antwort: "nightmarish", albtraumhaft passe besser. Tatsächlich: man merkt, Blasim hat Gogol, Poe, Kafka, Borges und Onetti gelesen, aber auch Carlos Fuentes. Dessen Namen nimmt Salim Abdalhussain an, der Held in einer der Erzählungen, weil er in den Niederlanden als Salim keine Chance hat. Als Carlos Fuentes heiratet er eine dicke, freundliche Holländerin. Alles ist gut. Bis er nachts zu träumen beginnt. Und ihm Salim begegnet, der ihn beschimpft. Carlos Fuentes reagiert neurotisch, er schießt.

Es gibt eine Menge Köpfe in diesen Erzählungen

Blasims erstaunliche Geschichten sind zugleich realitätsnah und glasklar intellektuell. Er verknüpft klassische Stilmittel mit brennender Aktualität. Beides zusammen verleiht Schärfe und Tiefe. Ein anderes Flüchtlingszentrum: Ali, ein Mann mit einer bleigrauen Tasche aus den Fünfzigerjahren, fällt auf. Darin, stellt sich heraus, sind die Knochen seiner Mutter, der die Tasche gehörte. Sie wollte mit ihr vor seinem Vater und seinen Brüdern fliehen, die sie verprügelt haben. Geschafft hat sie es nie. Ali hält sie in Ehren. Nur den Kopf hat er im griechischen Wald, von Grenzern verfolgt, verloren.

Es gibt eine Menge Köpfe in diesen Erzählungen. Aber sie wirken nicht lächerlich splatterhaft, sondern als Teil einer Wirklichkeit, die nur durch sarkastischen Witz zu ertragen ist. Blasim zeigt, dass es aufs "Wie" des Erzählens ankommt, er bricht aber die Kraft des Erzählten damit nicht, sondern stellt neue Metaphern in ihren Dienst.

"Die Leichenschau" stellt einen Instruktor des Grauens vor, der einem Killer-Schüler nicht beibringen muss, wie man Menschen tötet, sondern erzählt, wie man Leichen präsentiert, damit sie Schrecken verbreiten. Manchmal genügt Sanftheit. Es kann reichen, eine dicke stillende Nackte mit ihrem Säugling gut sichtbar unter die verkrüppelte Palme inmitten einer viel befahrenen Straße zu setzen: das blühende Leben, Pietà und Buddha. Keine Spur der Verletzungen. Das ist die Kunst.

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