Brillanter Indie-Pop:Das beste unterschätzte Album des Jahres

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Die Glass Animals: Mit "How To Be A Human Being" ist ihnen nach dem 2014 veröffentlichten "Zaba" nun schon das zweite brillante Indiepop-Album geglückt, (Foto: Neil Krug/Caroline International)

Die britische Indiepop-Band Glass Animals hat ihre zweite Platte "How To Be A Human Being" aufgenommen. Sie ist brillant, ja fast perfekt - und doch fehlt sie auf den Bestenlisten.

Von Jens-Christian Rabe

Wenn eine Band für den Mainstream zu sehr Indiepop und für den Indiepop zu sehr Mainstream ist, dann hat sie ein Problem. Anders ist es nicht zu erklären, dass auf den wichtigsten Bestenlisten zum Jahresende das vor ein paar Wochen erschienene zweite Album der britischen Band Glass Animals fehlt.

Es taucht unter 40 oder 50 Platten nicht nur nicht besonders weit vorne auf, sondern überhaupt nicht. Dabei ist der Band mit "How To Be A Human Being" (Wolf Tone) nach dem 2014 veröffentlichten "Zaba" nun schon das zweite brillante Indiepop-Album geglückt, innerhalb von kaum zwei Jahren.

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Und je genauer man diese Musik hört und darüber nachdenkt, desto stärker gerät man sogar in die Versuchung, zu behaupten, dass "How To Be A Human Being" nicht einfach nur ein sehr gutes Indiepop-Album ist, sondern der äußerst seltene Fall eines im Ganzen fast perfekten Indiepop-Albums.

Einmal im Jahr gibt es das, wenn es gut läuft. In den vergangenen Jahren gelang es etwa The XX mit ihrem Debüt (2009), dann Metronomy mit "The English Riviera" (2011) oder Alt-J mit "An Awesome Wave" (2012).

Das perfekte Indie-Pop-Album ist dabei nicht automatisch auch das interessanteste, aufregendste, wichtigste oder wegweisende Album des Jahres. Das sind meistens andere, derzeit vor allem Platten aus dem R'n'B oder der elektronischen Musik.

Es fiept und piept und rummst ganz fantastisch, aber nie anstrengend

Das perfekte Indie-Pop-Album ist das jenige, mit dem man eine Wohnzimmer-Party retten kann, auf der alle zu erschöpft sind, um noch einmal richtig aufzudrehen, aber noch nicht müde genug, um schon nach Hause zu gehen. Es ist das Album, das nicht nur bewundert wird, sondern einfach nur sehr gerne gehört, und zwar von vorne bis hinten.

So ein Album ist "How To Be A Human Being". Schon der erste Song "Life Itself" bollert ziemlich unwiderstehlich los, als hätte sich der Drummer einmal auf sehr gut klingenden alten Tonnen, Holztischen und Reifen austoben dürfen.

Dazu fiept und piept und rummst es ganz fantastisch, aber nie anstrengend avantgardistisch, sondern immer spielerisch, beatgetrieben, dazu der typische Gesang des europäischen Hipster-Indiepop, den man vielleicht expressiv melancholisch nennen könnte.

Die unverdiente Alltagsdepression wird immer eine gute Armlänge auf Abstand gehalten, mehr aber bitte nicht, weil es mit ihr schon nicht leicht ist, ohne sie aber auch alles nichts wäre.

Der Song "Youth" hat das beste altersschwache Querflöten-Riff, dass man sich nur denken kann. Und das verschleppte "Season 2 Episode 3", das um die Oinks und Dongs von alten Computerspielen wie Pac Man herumzuckt, ist danach womöglich der cleverste Song dieses Albums.

Er schiebt einem ein Gefühl zwischen die Ohren, dass man wohl verstrahlte Kühle nennen muss und von dem man vorher nie geglaubt hätte, wie wohlig man sich darin einrichten kann. Und so ausgefuchst und mitreißend geht es immer weiter: "Mama's Gun", "Cane Shuga", "The Other Side Of Paradise", "Take A Slice".

Wie es trotzdem dazu kommen konnte, dass "How To Be A Human Being" durch die engmaschingen Netze der Pop-Perlentaucher rutschte, ist nun natürlich die Frage. Dass diese Musik als Massenvergnügen zu raffiniert, als Connaisseur-Spaß jedoch nicht raffiniert genug ist, spielt sicher eine Rolle.

Anders sind Kommentare wie im britischen Musikmagazin Q nicht denkbar, nach denen die Band zwar unzweifelhaft wisse, wie man einen Song "zusammenfrankensteine", nicht aber, wie man ihn zum Leben erwecke.

Eine großflächige Medienmassage fehlte bislang

Bedeutender dürfte allerdings sein, dass sich die Glass Animals bislang gegen die Unterstützung eines großen Musikkonzerns entschieden haben, weshalb bislang eine großflächige Medienmassage fehlte, ohne die es doch nicht immer geht.

Wobei alles relativ ist. Die - allesamt übrigens sehr sehenswerten - Videos der Band kommen inzwischen schon auf über 200 Millionen Views. Es ginge also wohl etwas zu weit, diese Band zur besten unbekannten Band des Jahres zu erklären. Das neue Album ist aber bestimmt das beste unterschätzte Album des Jahres.

© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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