Brian Wilsons neue CD:"F.ck you!", Gevatter Tod

Er ist ein letzter Mohikaner. Und er hat allen anderen letzten Mohikanern gerade musikalisch heimgeleuchtet: Auf Brian Wilsons neuem Album herrscht kalte Nacht. Wenn man sich´s genau überlegt - sie ist eigentlich ein Alptraum.

KARL BRUCKMAIER

Der erste wurde von einem Stapel Heizkörper erschlagen. Dann lief dieses Mädchen hinter ihrem Schulbus hervor. Einer bekam ein Messer zwischen die Rippen, zwei haben sich selbst umgebracht. Von dem Mädchen, dem man gern die Schultasche getragen hat, blieb nur ein Motorradhelm auf der Bundesstraße. Eine, die man nie geküsst hat, starb an Brustkrebs. Einer an Aids. Leben heißt, die anderen sterben zu sehen. Aber da ist immer dieser eine, der überlebt. Der vielleicht als junger und erfolgreicher und sportlicher Freund mit dem Mountainbike über eine Böschung stürzt und als halb tote, leere Hülle geborgen wird. Der sich im Lauf der Jahre ein wenig erholt, aber auf immer pflegebedürftig ist, ein Schatten des alten Selbst, ein freundlicher, harmloser Gast auf Erden. Ein Fremder. Ein Warum. Warum er? Warum nicht ich? Damals. Dort. Und dort. Mit dieser Frage ist kein Frieden zu machen.

Brian Wilsons neue CD: Die Neue: Eine Stunde Selbstplagiat mit Unterstützung der echten und falschen Freunde.

Die Neue: Eine Stunde Selbstplagiat mit Unterstützung der echten und falschen Freunde.

Brian Wilson ist dieser Überlebende des Pop. Janis und Jimi und Brian und Keith und John und George und Jerry und schließlich Brians Brüder Carl und Dennis: Man soff und spritzte sich zu Tode, wurde erschossen, fiel dem Krebs zum Opfer. Oder ertrank. Ein wenig bacchantisch, ein wenig banal. Helden. Stars. Geschichte. Nur Brian ist immer noch da, wenn sich die Überlebenden alljährlich bei den Aufnahmefeierlichkeiten in die Rock"n"Roll-Hall-of-Fame oder bei einem beliebigen Benefiz-Gipfel treffen: Mick und Lou und Ringo und Eric und David und Paul. Und die Frage: Warum er? Warum nicht ich? Damals. Dort. Und dort.

Brian, das kleine, dickliche Kind, das daheim bleiben musste, wenn die anderen Strandjungs auf Mädchen- und Wellenfang gingen, hat sich in jenen güldenen sechziger und siebziger Jahren das Gehirn mit Pillen und Pulvern aus dem Kopf geätzt, seinen Körper zur Travestie gebläht, sein Talent weggeworfen. Ohne ihn waren die Brüder und Cousins und Freunde nur eine gute amerikanische Unterhaltungskapelle, mit ihm waren sie dem Pop-Himmel näher als alle anderen: Abgesehen vom totgelobten Album ¸¸Pet Sounds" - ist nicht das Schlichte der frühen Tage, ist nicht die barocke Fülle der ¸¸Good Vibrations" und schließlich die fast an die Schmerzgrenze gehende Dekadenz von ¸¸Surf"s Up", dem fast Brian-freien Meisterwerk der Band, mehr als man von einer Hand voll kalifornischer Badehosen-Models je erwarten durfte? Brian hat sie Pille um Pille verlassen. Brian hat uns verlassen, ist hinausgeirrt in die Wüste seiner Depressionen und zurückgekehrt, ist ein Schatten des alten Selbst, ein freundlicher, harmloser Fremder. Eine Weile versuchte dieser Fremde seinen angeblichen Brüdern wieder zu Gefallen zu sein - aber was genau war es, das sie von ihm wollten? Dann starben sie ohnehin. Ohne ihn. Nun diente er seinem Psychoanalytiker. Doch der wollte nur werden wie er. Danach hörte er auf seine Frau und die Claque, die ihn wohl umgab, und ging daran, ein langsames, spätes Solowerk zu schaffen: Wie mühsam dies ist, wie mühselig er um jede Minute Lied, um jeden gesungen Ton ringt, der doch eigentlich von den strahlendsten, kalifornischsten Momenten des Lebens künden soll und doch von hohler, kalter Nacht erzählt . . .

Nur dem alten Weggefährten Van Dyke Parks ist es gelungen, zusammen mit ihm ein Album zu schaffen, das Bestand haben wird, das nach altem Maß misst: ¸¸Orange Crate Art". Die neue Platte, die erste seit sechs Jahren, heißt ¸¸Gettin" In Over My Head" und ist eine Stunde Selbstplagiat mit Unterstützung jener echten und falschen Freunde, die das Warum anspringen muss, jedes Mal, wenn sie Brian Wilsons Namen hören - Elton John, Eric Clapton, Paul McCartney - und die pflichtschuldig ihren Beitrag leisten bei einem fast gespenstischen Unternehmen, das die kreativen Reste eines zerstörten Lebens noch einmal um und um wendet. Wer aber mehr hören will als ein paar formalisierte Klangideen, zu denen es sich gut Auto fahren lässt, der mag ¸¸Gettin" In Over My Head" auch als Gelegenheit nehmen, dem Grauen, dem Tod ins Antlitz zu starren: Die aufgesetzte Fröhlichkeit, die tändlerische Freundlichkeit, die vorgetäuschte Nichtigkeit der Liedchen verstellt nur unzureichend den Blick auf den Schrecken, der es heißt, Brian Wilson zu sein.

Die ersten 30 Sekunden des ersten Stücks gleich, a capella, sind Voodoo-Zeremonie und Sound gewordene Machtlosigkeit: ¸¸Dancin", dancin", dance the night away, dancin" my love", dabei kann und mag man sich kaum vorstellen, wie dieser Lazarus des Pop noch tanzen soll. Und warum. Noch werden leere Versprechungen gemacht: ¸¸Confusion reigned for so long, but now we found our song". Doch die Verirrung ist nicht vorbei, das sind therapeutische Leerformeln, und der Song, den man für Brian gefunden hat, er erinnert an amerikanische Oldie-Abspielstationen. Mit Voodoo geht es weiter: Der tote Bruder wird aus dem Schallarchiv gezerrt, dann heißt es ¸¸I reach out across eternity", und die Momente der Selbstreflexion ähneln weiter stark erinnertem Blah-blah aus dem Stuhlkreis: ¸¸I"ve got to see for myself this time", ¸¸I try to be cool and take it slow". Doch Geduld: Das Pendel schlägt noch zur anderen Seite aus: ¸¸Saturday Morning in the City" ist zuallererst ein grauenhaftes Stück Wegwerf-Pop. Zu Kling und Klang geht Kleinstadtamerika da an einem Samstagmorgen shoppen, werden Autos blitzblank gewienert und Matineen besucht. Hunde kläffen, Zeitungsjungen gehen ihrem Taschengeld-Erwerb nach; das Versprechen eines arbeitsfreien Wochenendes liegt wie der Duft frisch gemähten Grases über der Stadt. Aber auf welchem Planeten muss jemand leben, dass er glauben kann, diese Eisenhower-Welt würde noch irgendwo existieren? Und dass dieser Mief etwas mit Glück zu tun haben könnte? Wilson gelingt es hier, gleichzeitig ein Plädoyer für Drogen (Flucht aus dem Idyll) und gegen Drogen (Sehnsucht nach dem Idyll) zu schaffen. Und während man noch laut und betont sarkastisch lacht und keckert über diesen Wahnsinn, kommt ¸¸Fairy Tale" auf einen zu wie Amors Pfeil, wie Tells Geschoss, wie Mike Tysons Rechte und trifft einen in Herz, Hirn und Fresse, acht, neun, aus. Für fünf wundervolle Minuten hält Wilson die Bruchstücke seiner Genialität zusammen und errichtet eines jener Klanggebäude, wie im Lande Pop nur er es kann.

Brian lebt zwar in einer Märchenwelt, die wir schon von Beach-Boys-Platten kennen, Gebrabbel von Rittern und Burgen und Feen, aber die sind anschaulicher als das vertonte Therapie-Gewäsch und realer als die suburbanen Zombies, die sonst seine Songs bevölkern: Erst war alles gut, dann tauchte ein Drache auf, streckte Brian nieder, die Welt wurde grau. Das Böse herrscht nun allenthalben, Panik und Verzweiflung überall. Selbst in einem Meer von Tränen weiß Brian, dass der Fluch aufgehoben werden muss; die gequälte Seele will ihre Freiheit zurück: ¸¸I gotta make our fairy tale end happily." Beten wir für Brian Wilson. Es hätte jeden von uns treffen können.

Brian Wilson: ¸¸Gettin" In Over My Head" (Rhino/Warner 8122-76471-2)

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