Beach Boy Brian Wilson zum 70.:Um seine Kindheit gebrachter Kindskopf

Ein Leben wie im schwarzen Bildungsroman: Aus einem Jungen, dessen Kindheit traumatischer nicht sein konnte, wird der erfolgreichste Komponist der Pop-Geschichte. Mit Aufs und Abs. Nun feiert Brian Wilson, Mitbegründer der "Beach Boys", seinen 70. Geburtstag.

Willi Winkler

Schlimmer als Mütter sind nur Väter. Eines Abends rief Dad sie alle zu sich. Es war lang nach dem Essen, Trödelzeit, höchste Eisenbahn fürs Bett, aber Dad, der rief. Bald rief er nicht mehr, er schrie und wurde immer lauter. Die Rufe kamen aus der Küche, wo das Familienoberhaupt splitternackt auf dem Tisch stand, sich wie Tarzan an die Brust schlug und in einem fort verkündete, was niemand bestritt: "Ich bin der König in dieser Familie. Der König bin ich, verstanden."

Rock & Pop: Brian Wilson

Nicht anders als bei Eichendorffs "Taugenichts": Brian Wilson 2008.

(Foto: dapd)

Der König verlor auch sonst gern die Beherrschung und schlug seine Kinder. Eine schöne Jugend war das: Carl fraß sich schon als Kind dick. Dennis schwängerte mit fünfzehn ein Nachbarsmädchen. Brian floh vor dem grundlosen väterlichen Zorn, versteckte sich manchmal unterm Bett und wurde doch erwischt. Einmal legte der Vater eine Zeitung auf den Boden und zwang ihn, sich vor ihm und der Mutter zu entleeren.

Der Vater hatte sich bei der Arbeit verätzt und trug ein Glasauge, das er manchmal mitsamt der leeren Höhle vorführte. Er versuchte sich mit bescheidenem Erfolg als Komponist, als Produzent, aber er war und blieb ein Verlierer. Seine Kinder sollten es einmal besser haben. Er ließ sie Instrumente lernen und singen, und wenn es sein musste, verprügelte er sie auch. Brian ertaubte von einem Schlag auf dem linken Ohr.

Eine Kindheit, wie sie alicemilleriger gar nicht mehr geht, und deshalb wurde aus dem begabten Knaben Brian wie in einem schwarzen Bildungsroman der größte Komponist der Pop-Geschichte, wurde der Brian Wilson, dem die Welt Heroes and Villains verdankt, California Girls und die Hymne, die aus der ganzen Welt eine sonnenbeschienene, ewig müßige, immer heitere Westküste machte: Good Vibrations.

Es begann 1963 mit Surfin' USA, die Melodie war zwar frech geklaut von Chuck Berry, aber die Beach Boys waren wenigstens nicht schwarz, sondern weiß, fernseh- und gesamtamerikakompatibel. Vor allem beherrschten sie einen Harmoniegesang, der allen wohl wollte und bestimmt niemandem weh tat.

Angst vor dem Auftritt

Die Beatles waren eben in Amerika eingefallen, britische Arbeiterkinder, die perfekt amerikanisch sangen und auch noch gut aussahen. Die Beach Boys nahmen das Duell auf und verwöhnten die Zuhörer mit ihren schönen, leeren Versprechungen vom bonbonfarbigen Glück am Ende des Regenbogens.

Traum vom künstlichen Paradies

Aber irgendwann wollte Brian nicht mehr. Die Tourneen ödeten ihn an, das Mädchengekreisch, aber noch mehr fürchtete er sich vor dem Auftritt. Guy Peellaert hat ihn als frühen Nerd gemalt, die Wampe zwischen den Beinen sitzt er am Klavier in einem mit Fast-Food-Resten vollgemüllten Zimmer. Während draußen die kalifornische Sonne glüht, für den Surfer eben die perfekte Woge herandonnert und die California Girls auf ihn warten, träumt er sein künstliches Paradies zusammen, das er um Gottes willen nicht leibhaftig erleben will.

Er blieb zu Hause und schrieb nur noch, besser denn je. Und dann drehte er, der so gewaltsam um seine Kindheit gebrachte Kindskopf, durch. Fürs Durchdrehen brauchte es nicht einmal die Hilfe des mörderischen Gurus Charles Manson, der eine Zeitlang seinen Bruder Dennis und seinen Produzenten Terry Melcher bezauberte. Es reichten die handelsüblichen Drogen und eine Elektroschock-Therapie, um ihn fast um allen Verstand und vor allem um sein Talent zu bringen.

Die Konkurrenz war auch beteiligt. Paul McCartney kam Anfang 1967 vorbei, spielte ihm She's Leaving Home vor, reinster McCartney, der mit sich selber a capella aber more california, also wie die Beach Boys sang, aber noch mehr betrübte Wilson die Art, wie sich die Beatles fortentwickelt hatten. Er wollte das auch, aber seine Brüder und Freunde wollten das nicht, wollten statt des "Avantgarde-Mists" lieber weiter ihre dummen, kleinen Lieder singen, zuckersüß, wie der Vater es befahl.

Interessante Therapie des Psychiaters

Brian Wilson wollte keinen Vater mehr und fand Hilfe bei dem Psychiater Eugene Landy, der ihm ein neuer Dad wurde, der ihn ausbeutete und dafür liebte, der ihm das Leben rettete und ihn beinah umbrachte. Aber half er ihm nicht auch? Sagen wir so: Brian Wilson wurde ein neuer Mensch und dafür bis aufs gebatikte Hemd ausgezogen. Der Psychiater wusste eine interessante Therapie, er verwandelte sich in seinen Manager, Co-Autor und Mit-Komponisten und ließ sich diese Handreichungen auch noch monatlich mit 35.000 Dollar bezahlen.

Die Familie musste vor Gericht ziehen, um den verlorenen Sohn wieder aus der Fürsorge Landys zu befreien. Wilson ging es danach nicht besser. Statt der Drogen schwärmte er jetzt für Vegetarismus, saß in seinem Zimmer und brummte unverständliches Zeug vor sich hin.

Aber ein Wunder, ein wahres Wunder geschah, und er erholte sich wieder. Wie immer war es eine Frau, die die Rettung bedeutete. Er heiratete Melinda, die sich seiner annahm, ohne ihn zu schlagen. Er trat wieder auf, unterstützt von Fan-Bands wie den Wondermints, die jede Note sauberer und klangvoller spielen konnte als einst die originalen Beach Boys, die ehrfürchtig seine reduzierte, fast versiegte Singstimme absichern, die ihm den späten Triumph erlaubten, SMiLE aufgeführt zu sehen, wie er es sich einst vorgestellt hatte, ehe die Prozesse kamen, die Drogen und Paul McCartney.

Wenn er mit seiner Rasselbande von Feuerwehrmännern und gelben Rüben singt, wenn es scheppert und tschilpt und summt und brummt, ist es nicht anders als bei Eichendorffs "Taugenichts", als das "Rad an meines Vaters Mühle brauste und rauschte". Und wenn der Chor dann in die kalifornisch-orphischen Urworte von den Good Vibrations einfällt, geht die Welt auf, als träumte die Romantik Eichendorffs fort. Der ewige Vater ist nicht mehr, das Kind hat ihn überlebt. Das Kind im Kind - es will spielen. Mittlerweile spielt Brian Wilson seit 70 Jahren. Play on!

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