Brian Wilson wieder auf Tour:Beifall, endlich, nach mehr als 35 Jahren

Brian Wilson, geisteswunder Kopf der Beach Boys, ließ schon mal Feuer im Studio legen, um der Inspiration nachzuhelfen. Wenn es dann im ganzen Viertel brannte, fühlte er sich in seiner Paranoia bestätigt. Jetzt war der Prophet in Jogginghosen mit einem Pop-Oratorium in London zu bewundern. Eine Sternstunde. Und das Publikum raste vor Glück.

WILLI WINKLER

Die Kinder donnern noch im Dunkeln mit ihren Rollbrettern über die schiefen Ebenen vor der Hayward Gallery und der Royal Festival Hall, reißen sich, kurz vor dem Sturz, das Skateboard unter den Füßen weg, stehen für einen Moment, als warteten sie auf das Haltungsurteil der frierenden Punktrichter am Rand. Die älteren Kinder tuscheln: Wie es ihm geht? Was er spielen wird? Kommt heute Pete Townshend? Was haben wir nicht gebangt all die Jahre um Keith Richards und Bob Dylan, aber das war nichts gegen diesen Wahnsinnigen, gegen Brian Wilson, das größte Genie der Popmusik.

Brian Wilson wieder auf Tour: Der Vater, selbst gescheitert als Songschreiber, prügelte ihn zur Arbeit, verlangte ihm die Songs ab, mit denen die Beach Boys berühmt wurden, ihre Hymnen auf Sonne, Strand, das Surfen, die Mädchen (zwei für jeden). Das war Kalifornien, und es war das Paradies auf Erden.

Der Vater, selbst gescheitert als Songschreiber, prügelte ihn zur Arbeit, verlangte ihm die Songs ab, mit denen die Beach Boys berühmt wurden, ihre Hymnen auf Sonne, Strand, das Surfen, die Mädchen (zwei für jeden). Das war Kalifornien, und es war das Paradies auf Erden.

(Foto: Foto: http://www.brianwilson.com/)

Das Kind im Mann will bloß immer nur spielen, meinte einst der Philosoph und ließ sich als heiterer Sklave der Lou Andreas-Salomé fotografieren. Der junge Brian Wilson hatte nichts zu spielen, nur seinen grundmusikalischen Kopf. Der Vater, selbst gescheitert als Songschreiber, prügelte ihn zur Arbeit, verlangte ihm die Songs ab, mit denen die Beach Boys berühmt wurden, ihre Hymnen auf Sonne, Strand, das Surfen, die Mädchen (zwei für jeden). Das war Kalifornien, und es war das Paradies auf Erden.

Brian Wilson hatte nicht besonders viel Glück bei den Mädchen, er konnte nicht surfen, er war sogar wasserscheu, aber er fabrizierte diese ewiggültigen Hymnen wie verlangt am Fließband. Als ihm die Inspiration auszugehen drohte, ließ er sich Lastwagenladungen voll Sand ins Haus kippen, stellte sein Klavier hinein und seine Füße und schrieb weiter darüber, dass wir alle nach Kalifornien kommen müssten, wo die Sonne scheint und das Schleckeis lockt.

Aber Brian Wilson hörte Stimmen. Er hörte eine Musik, die nicht mehr durchs Transistorradio zu pressen war. Das Kind begann wieder zu spielen, aber es hatte sich in seinen Kopf zurückgezogen und in eine immerwährende Traurigkeit. Brians Bruder Dennis ging auf seinen eigenen Trip, freundete sich mit Charles Manson an, der ihm gegen Kost und Logis einen Schulbus voller nackter Mädchen und sämtliche Geschlechtskrankheiten ins Haus karrte. Die anderen warteten auf die dauerheiteren Surfereien.

Brian aber verließ diese Welt und bastelte "kleine Teenager-Symphonien für Gott" zusammen. In steter Konkurrenz mit den Beatles, die seit "Revolver" und "Sgt. Pepper's" immer konzeptiger und verernstelter geworden waren, strebte auch Brian Wilson ins klassische Fach, und das bekam weder ihm noch seiner Musik. Die anderen höhnten über "Brians Wahnsinn", aber wenn ihn doch sogar der große Lenny Bernstein lobte? Brian ließ statt seiner Strandjungs Orchestermusiker aufmarschieren, sammelte ungewöhnliche Instrumente, ließ es miauen und gurren und jauchzen, aber er wurde nur immer unglücklicher dabei.

Meinem Deutschlehrer wäre hier natürlich der gute alte Teufelspakt eingefallen, vom Doktor Faustus hätte er unweigerlich brummbassen müssen, und dass der Künstler, wie Künstler das zwanghaft so tun, nebst seiner Seele auch noch den Verstand drangegeben hat für die unerhörte Musik. Daran ist richtig, dass diese Musik tatsächlich niemand hören konnte. Allenfalls auf Bootlegs tauchten Schnipsel dieses Wahn-Werks auf, keiner wusste Genaueres, und das Geraune vom unbekannten Meisterwerk hielt sich über fast vier Jahrzehnte. Brian Wilson wurde wirklich verrückt davon, verfiel nacheinander dem Haschisch, dem Alkohol, den Handreichungen gruppenweise eingekaufter Mandelaugen, dem Fressen und schließlich einem Psychiater. Das Kind wollte nichts mehr. Dass es aus diesem spezifisch kalifornischen Wahnsinn doch noch erlöst wurde, verdankt es seinen Fans. Zehn von ihnen scharen sich mittlerweile unter dem Namen Wondermints um Brian Wilson und konnten ihn bewegen, nach der "Pet Sounds"-Tournee vor zwei Jahren nun in der Londoner Royal Festival Hall endlich auch das geheimnisvollste Werk der Popgeschichte aufzuführen: "Smile".

Wie Schüler gruppieren sich die Musiker zum Anfang um den aschfahlen, regungslosen Meister, spielen, als probierten sie seine Songs erst aus. Die Gruppe präsentiert die alten Songs mit Studio-Perfektion, falsettiert bei Bedarf nicht schlechter als die Everly Brothers und verströmt eine Begeisterung, die sich bei ihrem verehrten Meister nicht mehr einstellen will. Brian Wilson ruht inmitten seiner Jünger, gibt mit der Linken manchmal den Takt vor, klatscht ihn auf den Oberschenkel, zieht aber oft die Hand mit den gespreizten Fingern so langsam zurück, als müsste er sich doch vergewissern, dass er es ist, dass er hier wirklich sitzt und gefeiert wird.

Und dann führen sie nach der Pause wirklich "Smile" auf, oder das, was sich für eine Aufführung eignet. Allerlei seltsame Instrumente tauchen auf, Rasseln, ein Blech, ein Kürbis. Sogar der legendäre Van Dyke Parks, unter dessen lyrischer Anleitung Brian Wilson vor fast vierzig Jahren verrückt wurde, kommt auf die Bühne und schlägt ein Tamburin. Brian Wilson und seine neuen Beach Boys spielen eine unglaubliche Version von "Heroes and Villains", spielen "Vegetables" (Brian war auch mal Makrobiotiker) und "I Love to Say Da Da". Der graugewordene Mann in der Mitte, der das alles einmal erfunden hat, lacht noch immer nicht, aber er ist endlich glücklich. Das Publikum weiß sich bei einer Sternstunde und rast vor Glück.

Nicht eine Pop-Symphonie, sondern ein Kinderzimmer-Pandämonium tobt auf der Bühne, dass es nur so schrillt und sägt und kreischt und jault und trötet. Brian Wilson betätigt eine Art Handsirene, die herbeigeholten Musiker haben kleine rote Feuerwehrhelme aufgesetzt für das vielberaunte apokryphe Werk "Mrs. O'Leary's Cow". Als die Beach Boys das Stück 1966 aufnahmen, ließ ihr Konzertmeister, um der Inspiration nachzuhelfen, ein Feuer im Studio anzünden. Als es gleich danach im Viertel brannte und die echten Löschzüge mit den rotierenden Lichtern herumstanden, fühlte sich Wilson in seiner Paranoia bestätigt. Zwei oder drei Jahre ist er dann nicht mehr aus seinem Bett aufgestanden.

In der Royal Festival Hall ist die Szene ein sorgloses Spiel, als wär's im Ernst möglich, die unschuldige Kindheit wiederzufinden. Und der Mann, der nie mehr lachen konnte, ist glücklich. So glücklich, wie es nur ein Kind sein kann, das endlich mit dem knallroten Plastikfeuerwehrauto spielen kann, das es sich so lange schon gewünscht hat.

Die Band, organisiert von Darian Sahanaja, hält und stützt ihn und kann sich seiner doch nie sicher sein. Jederzeit könnte Brian Wilson auf die Knie fallen, theatralisch sein vermurkstes Leben bereuen, danken für seine Errettung vor dem Alkohol (den Drogen, den schlimmen Weibern und der bösen Musik) und verkünden, dass er Gott gefunden habe oder einen neuen Psychiater, der ihn knechtet nach Art seines Vaters. Aber er tut es nicht, er hat für drei Stunden sein Zimmer aufgeschlossen. Sterbenswund an der Seele singt er vom "Soul Searchin'", wünscht er im Nachtgebet allen Liebe und Gnade und keine Gewalt im Fernsehen mehr. Er hält durch. Brian Wilson ist wieder Kind geworden und damit gerettet. Zum Gruß hebt er die Hand und geht dann mitten im frenetischen Jubel der eine ganze Woche lang ausverkauften Royal Festival Hall ab. In einer Jogginghose schleicht er davon, gebeugt, der Welt abhanden gekommen, und mag noch immer nicht glauben, was er eben gehört hat: seine Musik und den Beifall dafür, endlich, nach mehr als 35 Jahren.

Als es aus ist und wieder so kalt am Ufer der Themse, vibriert in der Luft weiter diese symphonische Musik, dazwischen die Klassiker, lauter Götterfunken: "Sloop John B." und "Barbara Ann" und "Good Vibrations". Der Strand ist offen, die Mädchen warten, die Welle kommt, let's go surfin' now. Wie bitte? Ja, hier die Moral von der Geschichte: Amerika ist doch gut, und Brian Wilson ist sein Prophet.

Am 10. März tritt Brian Wilson mit dem "Smile"-Programm in Frankfurt auf.

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