"Breaking Dawn" im Kino:Innerlich ausgesaugt

Kranker kleiner Blockbuster: In der neuen Twilight-Vampir-Soap "Breaking Dawn - Bis(s) zum Ende der Nacht" geht es auf den ersten Blick um Kleinmädchenphantasien - beim zweiten Blick aber um Dinge wie Prügelsex.

Jan Füchtjohann

Es ist eines der größten Pop-Ereignisse der Gegenwart: Schon 116 Millionen verkaufte Bücher, schon 1,8 Milliarden durch Kinotickets verdiente Dollar, dazu DVD-Verkaufszahlen aus den feuchten Träumen eines Saturn-Filialleiters. Das macht die Vampir-Seifenoper "Twilight" interessant: Glaubt man der Abstimmung an der Kasse, dann verrät auch der jetzt anlaufende vierte Teil etwas über die Sehnsüchte unserer Zeit.

Dabei geht es "Breaking Dawn - Bis(s) zum Ende der Nacht" auf den ersten Blick bloß um Kleinmädchenphantasien: die Traumhochzeit mit einem schönen, nachdenklichen, jungen Mann (Robert Pattinson), Flitterwochen auf einer einsamen Insel vor Brasilien, ein Haus am Strand mit Himmelbett, und dann eine ordentliche Tracht Prügelsex. Ja genau, Prügelsex: Auf den zweiten Blick ist dies nämlich ein ziemlich kranker kleiner Blockbuster.

Wie alle "Twilight"-Filme, die im Grunde avancierte Bedürfnisbefriedigung sind. Ihre Produzenten haben verstanden, dass sich zwar alle Menschen für Sex interessieren - aber nur selten besonders lange.

Darum sind die expliziten Filmchen auf den einschlägigen Webseiten meistens nur 10 Minuten lang: ihre Zuschauer bleiben immer nur bis zum nächsten Orgasmus dran. Um dieses Problem zu umgehen, hat die inzwischen vierteilige "Saga" eine brillante Lösung gefunden: Sie betreibt eine negative Theologie des Vögelns.

Das ist der Grund, warum sich die Hauptfigur Bella (Kristen Stewart) drei Filme lang vergeblich nach dem schönen Vampir Edward verzehren musste, warum sie gewartet und gewartet hat und jetzt, wie es sich gehört, noch einmal wartet: bis nach der Hochzeit.

Es kommt zu einem Kuss

Das Paar reist in die Flitterwochen nach Rio, es kommt zu einem Kuss, und dann - muss Bella erst noch einmal warten. Schließlich erwacht sie irgendwann doch aus ihrer Hochzeitsnacht: Sie ist voller Blutergüsse, ihr Bett ist zerstört, das Zimmer verwüstet. Was ist geschehen?

Man sieht es nicht. Die wohl am längsten vorbereitete Entjungferung der Filmgeschichte findet am Ende jenseits der Leinwand statt, im Dunkeln. Bella, die auf dem langen Pfad des Begehrens bereits geschlagen, gebissen, in die Depression getrieben, zwischen zwei Männern zerrissen und fast ermordet wurde, wird danach, na klar, grausam bestraft: Sie ist mit einem kleinen Dämon schwanger, der sie nicht nur von innen aussaugt, sondern auch (ganz der Vater) dafür sorgt, dass sie am ganzen Körper Blutergüsse bekommt.

So kommt es dann zu Abtreibungsdebatten unter Vampiren ("Das ist kein Fötus, das ist ein Baby") und digitalen Werwölfen ("Grrrrrrrr, grrrrrrr!"), womit endgültig geklärt wäre, wo dieser Film politisch steht: rechts, ziemlich weit rechts.

Vergangenheit ohne Fortschritt

Das macht aber nichts. Denn es ist ja tatsächlich eine originelle Haltung, für das Leben und gegen den Sex zu sein. Die Frage ist nur: Warum ist eine Geschichte mit einer so absurden Haltung weltweit so unglaublich erfolgreich? "Breaking Dawn" gibt zur Beantwortung dieser Frage einen weiteren Hinweis - in der Hauptfigur Edward.

Vorschau: 'Breaking Dawn' feiert Deutschlandpremiere in Berlin

Im Film zeigt Kirsten Stewarts Schulter die heftigen blauen Flecken der Hochzeitsnacht - fürs Pressefoto wurden sie offenbar wegretuschiert.

(Foto: dapd)

Im traditionellen Vampir hat sich im Grunde der Schauder reflektiert, den normale Menschen in früheren Zeiten gegenüber klassischen Intellektuellen gefühlt haben müssen. Intellektuelle waren Leute, die sich in der Umgebung von längst Verstorbenen wie Aristoteles oder Kant wohler fühlten als auf dem Oktoberfest, die Jahrhunderte alt zu sein schienen, so präsent waren ihnen die historischen Ereignisse der Vergangenheit.

Nach langen Stunden in der Bibliothek gingen sie nachts blass und geisterhaft durch die Straßen, und verstrickte sie jemand in ein Gespräch, lebten sie plötzlich auf, während sich der andere danach leer und ausgesaugt fühlte. Im schlimmsten Fall fing auch er an, sich für Aristoteles oder Kant zu interessieren - fast als wäre er gebissen worden.

Der Vampir Edward funktioniert völlig anders. Er ist zwar mehr als hundert Jahre alt und hat an der Wand seines Hauses ein Kunstwerk hängen, das aus nichts anderem als den unzähligen, von ihm im Laufe des Jahrhunderts erworbenen akademischen Hüten besteht. Gleichzeitig wirkt es aber nicht so, als hätte er in dieser ganzen Zeit tatsächlich etwas dazugelernt. Edward erscheint nicht gebildet oder raffiniert - er wirkt allenfalls altmodisch, wie ein ironisch noch nicht gebrochener romantischer Held aus längst vergangenen Kinotagen.

In Edward wird klar, welche Fiktion der Vergangenheit hier am Werk ist: Eine Vergangenheit ohne Fortschritt, die ewig auf den gleichen absurden Verboten beharrt, ohne deren Widersprüche aufzulösen. Er ist gewissermaßen die Antithese zur notwendigen Fortbewegung der Geschichte.

Falsche Unschuld

Das ewige Leben dient hier also nicht dem Ziel, überlegenes Wissen anzusammeln und den Prozess des Erwachsenwerdens so lange fortzuführen, bis Weisheit und Erleuchtung erreicht sind. Edward beharrt im Gegenteil darauf, der ewige Teenager zu bleiben.

Die Romantik, die darin liegen soll, Ahnungslosigkeit vorzutäuschen und eine falsche Unschuld zu bewahren, ist das Fundament dieser Endlos-Romanze. Sie hat aber auch eine dunkle Seite, die nichts mit der vielbeschworenen Gefährlichkeit des Vampirs zu tun hat: Sich dauerhaft und behaglich im Pubertären einzurichten, im Nicht-Wissenwollen, in der Idiotie - das ist auch eine Neocon-Phantasie, die direkt zu den Wurzeln aller gegenwärtigen Krisen führt.

BREAKING DAWN - BIS(S) ZUM ENDE DER NACHT 01, USA 2011 - Regie: Bill Condon, Drehbuch: Melissa Rosenberg, Buchvorlage: Stephenie Meyer. Kamera: Guillermo Navarro. Musik: Carter Burwell. Mit Kristen Stewart, Robert Pattinson, Taylor Lautner, Billy Burke, Verleih: Concorde, 108 Minuten.

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