Brauchtum:Von wegen alter Hut

Lesezeit: 4 min

Neues zur Frage, wie eine typische Oberpfälzer Tracht aussieht: Die Heimatpfleger Tobias Appl und Hans Wax zeigen in einem reich bebilderten Band, dass es diese gar nicht gibt. Zur Identitätsstiftung mussten ortsfremde Gebirgstrachten herhalten

Von Sabine Reithmaier

Klopft einer an der Tür und sagt, er wolle sich eine typische Oberpfälzer Tracht zulegen. Was antwortet ihm der Bezirksheimatpfleger? "Dass ich bis heute nicht so genau weiß, was das eigentlich ist", sagt Hans Wax, stellvertretender Bezirksheimatpfleger der Oberpfalz. Soll er dem Interessenten sagen, dass das meiste, was als echt gilt, nur adaptiert ist, das "Eigene" aus anderen Kulturkreisen stammt und nur integriert wurde, dass in der Oberpfalz keine kleinräumigen Unterschiede in der Tracht nachweisbar waren.

"Ich verschweige die dünne Eisschicht nicht, auf der wir uns bewegen", sagt Wax.

Nach dünnem Eis schaut das Buch "Tracht im Blick" (Pustet 2016) aber nicht aus, das Wax gemeinsam mit seinem Chef Tobias Appl herausgegeben hat. Auf 290 reich bebilderten Seiten geht es in 16 wissenschaftlichen Essays um die Tracht in der Oberpfalz. Fünf Jahre haben die Heimatpfleger mit den Leiterinnen der wissenschaftlich geführten, volkskundlich orientierten Museen in einer Arbeitsgruppe über dem Buch und den Ausstellungen gebrütet. "Vorher war die Tracht in der Oberpfalz schlecht erforscht, jetzt ist es etwas besser", untertreibt Appl das Resultat.

Von einheitlicher Tracht keine Spur: Die Kleidung der Kirwapaare von Rosenberg 1926 wirkt doch etwas zusammengewürfelt. (Foto: Atelier Jäger)

Appl war anfangs misstrauisch. "Es hat gedauert, bis ich gemerkt habe, wie viel in dem Thema steckt." Oft steckt auch ziemlich viel Politik drin, wie er in seinem Text über die diversen Trachtenerneuerungen im 20. Jahrhundert nachweist. Es kostete die Oberpfälzer schon viel Mühe, die "fremde, importierte Gebirgstracht" aus Oberbayern wieder los zu werden. Adolf Eichenseer, der erste hauptamtliche Bezirksheimatpfleger, kleidete in den Siebzigerjahren die Trachtenvereine rigoros neu ein und ging wenig kritisch mit den Quellen um. Aber vielleicht sei das damals auch notwendig gewesen, um der Oberpfälzer Identität einen Schub zu geben, mutmaßt Appl.

Nur wenige Vereine blieben stur bei ihrem alten Gewand. Etwa der Verein in Schmidtmühlen, der sich am alten Gwand seiner Umgebung orientiert hatte und keine neue Tracht wollte. Sie wehrten Eichenseers Vorstöße ab und empfinden das bis heute als glorreiche Tat. Erfolgreich war Eichenseer bei den Wackersdorfern, die ursprünglich eine Gebirgstracht trugen. Vor kurzem erkundigte sich der Verein bei Hans Wax, was eigentlich die Quelle für ihre Tracht sei. Der wusste es nicht. "Eigentlich hat er denen die Identität genommen", findet Wax. "Die könnten auch als Römer gekleidet gehen." Den ersten Trachtenvereinen ging es generell weniger um die Tracht, sondern mehr um die Geselligkeit. Fast wie heute. Wer Tracht trägt, bringt bayerisches Lebensgefühl zum Ausdruck. Das hänge ja wohl irgendwie mit Bier, Gwand und Musik zusammen, sagt Appl. Oft sehe er heute junge Menschen in Tracht tanzen und die Väter mit Ohrring und AC/DC-Shirt etwas ratlos daneben stehen. Ob die Tracht eine lange Geschichte hat, sei den jungen Leuten wurscht. Hauptsache, die Figur kommt gut zur Geltung.

Votivtafeln aus dem Raum Neumarkt, Parsberg und Riedenburg nutzte Oskar von Zaborsky als Vorlage für seine Bücher, hier "Die Tracht in der Oberpfalz". (Foto: Martha von Zaborsky)

Die Vorstellung, dass sich Trachten aus dem bäuerlichen Gewand der früheren Jahrhunderte entwickelten, ist trotzdem noch immer tief in den Köpfen verwurzelt. Dabei war es eher andersrum: Das Landvolk orientierte sich an der jeweils aktuellen Mode am Hofe und in der Stadt, wenn auch in vereinfachter Form und mit einer gewissen Zeitverzögerung - schließlich dauerte es, bis Dorfbewohner von den letzten Modetrends über ortsansässige Adlige oder durchreisende Händler erfuhren.

Nachhaltig auf modische Vorlieben wirkten sich geschichtliche Umbrüche aus. Schon im 16. Jahrhundert waren Trachtenbücher geschätzt, die die Kleidung der verschiedenen Stände erläuterten. Das, was getragen wurde, so die wörtliche Übersetzung von Tracht, hatte sich längst zu einem unterscheidenden Merkmal der Stände entwickelt. Das Gewand bezeichnete die Standeszugehörigkeit, die Stellung eines Menschen innerhalb der Gesellschaft. Die französische Revolution beschleunigte nicht nur das Ende der bis dahin maßgeblichen spanischen Tracht, sondern sorgte auch dafür, dass sich die Unterschiede zwischen den Ständen allmählich verwischten, die obersten Schichten gaben nicht mehr den Ton an. Max Joseph Graf von Montgelas vollzog im Zuge seiner Reformen nur mehr einen überfälligen Schritt und hob die Kleiderordnungen auf.

Vorbild für die Postkarte war die Fotografie einer folkloristischen "Volkstrachtengruppe" aus Cham, aufgenommen beim Volkstrachtenfest 1895 in München (Foto: N/A)

Aber so viel Freiheit verkraften manche Menschen schlecht. Weshalb sie sich sicherheitshalber gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Trachtenvereinen zusammenfanden und sich wieder bis aufs Band und Strumpf reglementieren ließen. Zuvor hatte freilich schon König Maximilian II. eine staatliche Trachteninitiative zur "Hebung des Bayerischen Nationalgefühls" angeregt und versucht, die Trachtenvielfalt im Königreich zu dokumentieren.

Ein schwieriges Unterfangen, weil die Umfrage unter Verwaltungsbeamten, Lehrern oder Ärzten nur Enttäuschendes ergab. Haufenweise Klagen darüber, dass die billigen, oft ausländischen Maschinenstoffe dem soliden Selbstgesponnenen vorgezogen wurden. In der Oberpfalz wanderte Eduard Fentsch fünf Jahre zwecks ethnografischer Forschungen umher, die gekürzt in die "Bavaria" einflossen, jene große bayerische Landes- und Volkskunde, die König Max II. in Auftrag gab und deren Bände in den Jahren 1860 bis 1867 veröffentlicht wurden. Fentsch wies nur ein einziges Kleiderstück speziell der Oberpfalz zu: das "Pfälzerhütl". Leider vergaß er es zu zeichnen, weshalb heute nur vermutet werden kann, dass es ein niedriges Kopfteil und eine handbreite, geschmeidige Krempe besaß. "Vermutlich war es ein ganz normaler Hut, der zum Oberpfälzer Hut stilisiert wurde", sagt Hans Wax. "Aber daran sieht man, was Max II. wollte: mit dem Gwand Identität stiften und den Regionalstolz fördern."

Lange nutzten die Trachtenforscher auch die Bilder als Quellen, die schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden, als die Münchner Künstler ins Voralpenland reisten und die pittoresken Trachten der Landbewohner festhielten. Die Genreszenen wurden in München gern gekauft. Ganz anders in der Oberpfalz: Hierher kamen kaum Maler. Aber die wenigen Aquarelle und Grafiken, die vor Ort entstanden, wurden ausgiebig verwendet, wie Inge Weid nachweist. Figuren, die der Maler Max Joseph Wagenbauer 1804 in der Oberpfalz malte, tauchten Mitte des Jahrhunderts auf neuen Stichen wieder auf und wurden später als Quelle für die Kleidung um 1840 genutzt. Exaktere Auskünfte gibt es erst seit Erfindung der Fotografie. Wobei auch da große Vorsicht angebracht ist, denn oft hatten sich die Fotografierten das schöne Gwand nur ausgeliehen, um sich ablichten zu lassen.

Aber wenn jetzt doch einer auf seiner authentischen Oberpfälzer Tracht besteht? Dann muss er selbst suchen, sagt Wax. Schauen, was die Familie, der Ort, die Region getragen haben - "so läuft Aneignung von Heimat." Und dann kann er zur Schneiderin gehen. Oder einen Nähkurs des Bezirks mitmachen. Hans Wax jedenfalls hat die Debatte über die Unterschiede in Stoffen und Schnitten ziemlich satt. "Seit mehr als 100 Jahren wird das Unterscheidende der Trachten rausgehoben. Wie wäre es, wenn wir mal das Verbindende, das Süddeutsche betonen würden?"

© SZ vom 09.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: