Brandauer inszeniert Brechts 'Dreigroschenoper':Man spült's runter

So oder so: Klaus Maria Brandauer scheitert an der Berliner 'Dreigroschenoper'. Auch Campino konnte nichts reißen. Und die erotischen Extravaganzen seiner Huren erschöpfen sich in Dessous-Partys.

E.-E. Fischer

Die Klimaanlage funktioniert, immerhin. Sie beschert einem die derzeit rare Erfahrung, dass es drinnen kälter ist als draußen. Das weckt sekundenkurz Assoziationen mit New Yorker Sommernächten am Broadway, wozu sonst nicht einmal der rote Teppich vor dem Theater Anlass gibt. Denn Pseudoprominenz passiert den Cordon der Berliner unter Blitzlichtern, was die zunehmende Verzweiflung der Fotografen, wen sie denn nun ablichten sollen, hinlänglich erklärt.

Brandauer inszeniert Brechts 'Dreigroschenoper': Campino als Mackie Messer: Ein paar Monate Schauspielunterricht hätten ihm sicherlich genützt.

Campino als Mackie Messer: Ein paar Monate Schauspielunterricht hätten ihm sicherlich genützt.

(Foto: Foto: dpa)

Die nahezu 1800 geladenen Gäste passen aber, das wird sich bald bestätigen, nicht schlecht zur Aufführung. Der ging so viel Theaterdonner voraus, dass man geneigt ist, diesen im Nachhinein für das eigentliche Ereignis zu halten.

Also gut. Klaus Maria Brandauer eröffnet den großenteils sich noch im Rohbau befindlichen Admiralspalast Berlin mit der ¸¸Dreigroschenoper" aus Anlass von Bert Brechts fünfzigstem Todestag. Als 1928 daselbst eine Revue mit dem Titel ¸¸Schön und schick" gegeben wurde, erlebte die höhnische Opernparodie aus der Feder Kurt Weills schräg gegenüber im Theater am Schiffbauerdamm seine Uraufführung. Das beschreibt das Gefälle der beiden Häuser wahrscheinlich auch noch heute trefflich.

Man spült's runter

Es ist schon eine denkwürdige Postmauerfall-Goldgräber-Logik: Weil sich alles nach Mitte verlagert, wird das Theater am Kurfürstendamm dicht gemacht. Dafür eröffnet nun der Admiralspalast und beschwört damit zugleich die Goldenen Zwanziger, an die man wohl gern anknüpfen würde, weil sich auf diese Weise, Weltwirtschaftskrise und Börsencrash inklusive, zwei grauenhafte Vergangenheiten ausblenden ließen: die Jahre des Nationalsozialismus und die Zeit der Teilung mit ihrer Nachkriegsunterhaltung, für die das Theater am Kurfürstendamm exemplarisch steht. Wer den Admiralspalast wirklich braucht, wissen vielleicht die Investoren und die Deutsche Bank, vorzugsweise wohl Touristen.

Brandauer will die historische ¸¸Dreigroschenoper". Es sirren die Ringe der Brechtgardine über die Stange nach jedem Bild, eine Leuchtschrift buchstabiert ¸¸Dreigroschenoper" und wandert gen Bühnenhimmel. Eine Stimme kündigt aus dem Off an, was als Nächstes zu sehen sein wird. Ronald Zechner hat die Bühne mit viel Sperrholz möbliert, auf der die Darsteller, weil während der gesamten Vorstellung keinerlei Personenregie erkennbar ist, spielen, wie sie können. Und mancher kann eben nur bedingt. Sie wissen allesamt, wo sie zu stehen haben, dies immerhin: Vorn an der Rampe ist des Schauspielers und vor allen des Sängers bester Platz. Und bei Duetten hat sich seit Jahrhunderten der fixe 45-Grad-Winkel zueinander bewehrt. So auch hier.

Leider muss manch einer der sehr unterschiedlichen Darsteller tatsächlich singen, Gottfried John, zum Beispiel, als Peachum. Er bleibt trotz seines bedrohlichen Äußeren stets der harmlose Papi und als Widersacher Macheaths gänzlich unglaubwürdig. Er also hat gesanglich so seine Probleme, scheint nicht recht zu wissen, in welcher Tonart er Kurt Weills schmissige Songs denn nun vortragen soll, weshalb er vorsichtshalber mehrere ausprobiert.

Dem Peachum steht ein ebenso braves Frauchen zur Seite, in mentaler Kittelschürze sozusagen, Katrin Saß, die Mrs. Peachum, die sich mit den Songs aber um einiges leichter tut, weil sie im Osten das Schauspielern lernte und der Brecht-Song da auf dem Stundenplan stand. Töchterchen Polly, die sonst sicherlich begabte Birgit Minichmayr, hat sich als reizende Soubrette offenbar im Stück geirrt. Und Campino von der Band Die Toten Hosen, der in die Jahre gekommene Bad Boy zum Liebhaben im Bravo-Poster-Format? Der schlägt sich wacker, verheddert sich aber im skandierten Sprechgesang und anstatt zu schmettern, tut er, was er am besten kann: er grölt.

Campino, ganz nebenbei, dient prächtig als wandelndes Lehrbeispiel: Ein paar Monate Schauspielunterricht hätten ihm sicherlich genützt. Auch ein Hut und ein Stock machen nämlich noch keinen Mackie Messer, so bieder wie der Mörder und Räuber, der Zuhälter und Weiberheld hier herumsteht. Die erotischen Extravaganzen seiner Huren erschöpfen sich offenbar in Dessous-Partys, weshalb die ¸¸Ballade von der sexuellen Hörigkeit" mangels Stichhaltigkeit entfällt.

Macheath trägt übrigens am Ende ein Krönchen und darf auf Englisch ein Stück aus dem Schlussmonolog von Richard III. rezitieren. Das ist wohl als Parodie der Parodie gemeint und Klaus Maria Brandauers einziger Regieeinfall. Den rahmt er auch nicht mit Glühbirnen, wie sonst etliche Szenen dieser ¸¸Dreigroschenoper" als Zeichen von Verfremdung. So hangelt sich der völlig hanebüchene Plot unterm kalten Mond von Soho in Brecht/Weills Märchenlondon unbeholfen von Durchhänger zu Durchhänger. Der Text besteht in dieser Aufführung nur aus Längen, weil Brandauer offenbar nicht einmal versucht hat, einen spezifischen Ton, eine bestimmte Atmosphäre zu finden. Kyritz an der Knatter, frühe sechziger Jahre? Nein, Berlin, Friedrichstraße, Admiralspalast 2006, das ist die traurige Wirklichkeit.

Das Publikum stolpert nach nahezu drei pausenlosen Stunden und heftigen Buhs für den Regisseur über rohen Beton ins Untergeschoss zu den in feinsten Hölzern verschalten Toiletten oder zu den Bierhähnen ins Freie. In beiden Fällen: Sie spülen"s hinunter.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: