BR-Chor:Trommeln für den Krieg

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Howard Arman legt als neuer Chef des Rundfunk-Chors mit einem aktuellen Thema los: dem Krieg in der Welt.

Von Michael Stallknecht

"Friede auf Erden" lautet der Wunsch im letzten Stück dieses Abends, vertont von Arnold Schönberg in seinem Opus 13. Im Entstehungsjahr 1907 galt die extrem erweiterte Tonalität als kaum singbar, für den in Sachen Moderne regelmäßig geforderten Chor des Bayerischen Rundfunks ist das keinerlei Problem. Zur neuen Saison hat das Ensemble, das in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag feiert, einen neuen Chef bekommen. Howard Arman, der als Gastdirigent bereits ein alter Bekannter in München ist, hat viele Jahre den Chor des MDR geleitet, gilt in der historischen Aufführungspraxis als ebenso erfahren wie in den unterschiedlichsten Musikstilen der Gegenwart und hat als Musikdirektor des Luzerner Theaters einen regulären Musiktheaterbetrieb kennengelernt. Ideale Voraussetzungen also für einen Rundfunkchor, der das gesamte Spektrum der Stile von der Renaissance bis zur Gegenwart abdecken muss.

Den Chorkonzerten möchte der britische Dirigent in Zukunft ein stärkeres dramaturgisches Gerüst verleihen, das Chormusik auch mit gesellschaftlichen Realitäten verknüpft. Das Eröffnungskonzert im Münchner Prinzregententheater gibt ein mutiges Beispiel, wenn es unter dem Motto "Krieg und Frieden" weniger festlich als eher tief nachdenklich daherkommt. Schließlich ist der Krieg als Mittel der Politik in jüngster Zeit auch in Kerneuropa wieder spürbar näher gerückt, mit den Bürgerkriegen in Syrien und der Ukraine, aber auch den militärischen Drohgesten der regionalen und überregionalen Schutzmächte, die selbst die direkte Konfrontation zwischen Großmächten plötzlich wieder am Horizont des Möglichen auftauchen lassen. An allen Ecken der Erde wird inzwischen auf- statt abgerüstet.

Schließlich war der Krieg, so zynisch das heute klingen mag, über Jahrhunderte hinweg auch ein großes Gesellschaftsspiel, woran die das Konzert eröffnende Chanson "La guerre" von Clément Janequin erinnert. Der Renaissance-Komponist bildet darin mit lautmalerischen Elementen das Kampfesgetümmel der (extrem blutigen) Schlacht bei Marignano im Jahr 1515 auf durchaus unterhaltsame Weise ab. Am Ende des 16. Jahrhunderts nutzte Tomás Luis de Victoria die Chanson als Vorlage für seine neunstimmige "Missa pro victoria", die als "Messe zum Sieg" das beliebte Kriegsstück in die Vertonung des katholischen Messkanons integrierte. Und Howard Arman verlängert diese als "Parodieverfahren" bekannte Technik in die unmittelbare Gegenwart hinein, indem er mit einer Eigenkomposition Janequins Stück noch einmal überschreibt.

In einem berührenden Moment stellt sich der Dirigent als Komponist vor

Doch die alte Kriegsherrlichkeit dekonstruiert er dabei grundlegend. Von vier Schlagzeugern grundiert, brechen in "La bataille de Marignan" die Schlachtenrufe aus allen Türen des Zuschauerraums über das Publikum herein. Während auf der Bühne der Männerchor heiter tuschelnd die Kriegsräte in den Blackboxes der Gegenwart abbildet, geht vor den Türen der Klagegesang der Frauen in bitteres Weinen über.

Es ist ein tief berührender Moment, mit dem sich der neue Dirigent hier auch gleich als Komponist vorstellt. Woran er mit seinem neuen Chor noch wird arbeiten können, hat man in den klassischen Werken zuvor gehört. Das Ensemble klingt nicht immer homogen, zu oft stechen die Stimmen einzelner Sänger hervor. Zudem zeitigt die hohe Präzision des BR-Chors schon länger die Schattenseite, dass die Sänger bisweilen überkontrolliert agieren. Man wünscht sich manchmal einen frischeren, gestischeren, auch emotionaleren Zugang. Arman demonstriert an diesem Abend immer wieder, zu welch großen dynamischen Bandbreiten und feinen Abstufungen dieser Chor fähig ist. Aber gerade in de Victorias Messe gälte es, den bloßen Notentext auf ein spirituelles Erfülltsein hin zu überschreiten.

Warum der Krieg spätestens seit dem 20. Jahrhundert kein Spiel mehr sein kann, kann man im zweiten Teil aus "The Armed Man" von Gabriel Jackson erfahren. Auch der britische Komponist verwendet das alte Parodieverfahren, indem er die Chanson "L'homme armé" mit einem Gedicht von Robert Palmer überschreibt. Der britische Dichter fiel 1916 mit nur 27 Jahren im Ersten Weltkrieg, weil ganze Völker "zu Werkzeugen brutaler Barbarei" geworden waren, wie er in seinem Gedicht beklagt hatte. Die Lust an männlichen Provokationsritualen war im Schlamm der Massenschlachten versackt, die Technisierung des Kriegs degradierte die Opfer mehr denn je zur bloßen Zahl.

Den Weg dahin lässt "Curse Upon Iron" nachvollziehen, das Veljo Tormis 1972 als Reaktion auf den Kalten Krieg komponierte. Als Vorlage wählte der estnische Komponist einen Ausschnitt aus dem finnischen Nationalepos Kalevala, der einen Ursprungsmythos für das verfluchte Eisen erzählt. Zu den Schlägen einer Schamanentrommel drängen die geflüsterten Verse in unerbittlicher Rhythmik voran. Man hört den fatalistischen Vorwärtsdrang, mit dem sich auch heute noch kriegerische Spannungen aufbauen und sich ab einem gewissen Punkt der Kontrolle zu entziehen beginnen. Plötzlich beginnen Kanonen, Panzer, Flugzeuge in den alten Text einzuwandern. Bei der Atombombe angekommen, explodiert die Komposition in einem einzigen Schrei. "Wandelnde Zeiten, moderne Götter": Die Menschheit hat die Waffen zu ihrer Selbstzerstörung in der Hand.

Als sich Arnold Schönberg 1907 nach dem "Frieden auf Erden" sehnte, konnte er den Sturz der Moderne in den Ersten Weltkrieg nicht verhindern. Für die Zukunft kann man nur auf die Vernunft aller Beteiligten hoffen.

© SZ vom 17.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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