Neu im Kino: "Creed":Rocky ist zurück

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Unter Boxern: Sylvester Stallone als Rocky Balboa mit seinem Schüler Adonis (Michael B. Jordan).

(Foto: Warner Bros. Pictures/dpa)

Mit "Creed" ist ein kleines Wunder gelungen: eine gute Fortsetzung der "Rocky"-Serie mit dem großen Erzähler Sylvester Stallone.

Von David Pfeifer

Der größte Fehler, den man bei der Bewertung von Sylvester Stallones Oeuvre machen kann, ist, ihn als Schauspieler einschätzen zu wollen. Es liegt so nahe, sich an seiner Minimalmimik, den genuschelten Einzeilern und seinen Muskelbergen aufzuhalten, dass bereits Generationen in genau diese Falle getappt sind.

Tatsächlich ist Sylvester Stallone vor allem: ein guter Geschichtenerzähler. Er hat den Boxer Rocky ja nicht nur etwas zu häufig dargestellt, sondern auch erfunden. Die kurzen, poetisch-klugen Lebensweisheiten stammen alle aus seiner Feder ("Weder du noch ich noch sonst irgendjemand schlägt so hart zu wie das Leben").

Große Märchenfiguren

Er schrieb das Drehbuch zum ersten und zu allen folgenden "Rocky"-Filmen - bis auf den nun tatsächlich siebten Teil, der nicht "Rocky" heißt, sondern "Creed", und am Donnerstag in die deutschen Kinos kommt. Apollo Creed war Rockys Gegner in den ersten zwei Teilen, sein Trainer und Freund im dritten, und er musste den Opfertod im vierten Teil der Saga sterben. Gleich am Anfang des Films wurde er vom russischen Maschinenmenschen Ivan Drago im Ring totgeschlagen, um später von Rocky gerächt zu werden.

"Creed" handelt von Adonis, dem Sohn, den Apollo unehelich gezeugt, aber nicht mehr kennen gelernt hat. Und wo wir schon bei der griechischen Mythologie sind: der Film setzt die "Rocky"-Story nicht etwa fort, sondern erzählt eine völlig neue Geschichte - nutzt dabei aber die alten Helden und Sagen, um eine Tiefe und Schicksalhaftigkeit herzustellen, die es ohne die vorherigen Teile nicht gäbe. Man könnte sagen, dass Stallones Erfindung damit in den Reigen der großen Märchenfiguren eingeht, neben Robin Hood, Superman oder Herkules.

Die physische Präsenz, die 40 Jahre Hantelheben mit sich bringen

Die Qualitäten des Geschichtenerzählers Stallone bemerkt man vor allem, wenn er vor einem steht und persönlich erzählt, wie etwa vor drei Jahren bei der Premiere des "Rocky"-Musicals in Hamburg. Wie so viele Hollywood-Stars ist Stallone kleiner als vermutet. Er würde im echten Leben höchstens als gedrungener Halbschwergewichtler durchgehen. Doch er verfügt über die physische Präsenz, die 40 Jahre Hantelheben nun mal mit sich bringen.

Dazu eine Stimme, die angenehm warm tönt und mit den Jahren auch ein bisschen so, als würde er zum Frühstück nicht sechs Eier trinken, sondern auf einer rostigen Fahrradkette kauen. Mit diesem tief brummenden, seltsam vertrauten Timbre erzählt er also die Geschichte, wie er mal vom echten Ex-Schwergewichtsweltmeister Joe Frazier verprügelt wurde.

Als Stallone sich 1982 auf den dritten Rocky-Teil ("Das Auge des Tigers", ohjemine) vorbereitete, war er ein Superstar, der es sich leisten konnte, mit den Größten des Profiboxens zu trainieren. Stallones Ausdruck findet bei dieser Schilderung, wie auch auf der Leinwand, weniger im Gesicht statt, als dass er sehr viel mit den Händen erzählt. Er gestikuliert, boxt in die Luft, fasst sich an die Schläfe. "Joe Frazier nahm mich innerhalb von einer Minute so auseinander, dass meine Arme und mein Oberkörper anschließend grün und blau waren." Zufriedenes Fahrradkettenlachen, wenn eine Pointe gelingt. "Ich habe Frazier gefragt: Joe, warum hast du mich so übel verprügelt? Du weißt doch, dass ich nur spiele. Und Frazier sagte: Es tut mir leid - ich habe einfach Rocky vor mir gesehen!"

Ikone aller Eingeölten

Stallone wäre kein so guter Erzähler, wüsste er nicht, wie viel diese Anekdote aussagt. Zunächst über seine Hybris als jüngerer Mann, der damals als Superstar die Relationen verloren hatte. Er lief in weißen, bodenlangen Pelzmänteln herum, heiratete Brigitte Nielsen und hielt sich offenbar tatsächlich für unschlagbar.

Wenn Sylvester Stallone - mittlerweile faltig und grau - nun in "Creed" auftritt, hört man das Kinopublikum schlucken. Denn Stallone ist nicht nur ein gealterter Star, sondern einer, den man ganz anders im Kopf behalten hat. Eingefroren als Ikone aller Eingeölten, als schweißglänzender Rocky (oder Rambo), der mit Föhnwelle und roher Gewalt ganz alleine die Russen fertig machte, während der Reagan-Ära. Der mal ganz groß war, von Erfolg zu Erfolg eilte und Mist baute. Sich manchmal sogar lächerlich machte und dabei immer älter und irgendwann wieder vernünftig wurde, wie andere Menschen auch.

Das Erbrecht der Liebe

In "Creed" steht nun ein junger schwarzer Boxer vor diesem alten Rocky und will trainiert werden, was dieser ablehnt. Weil er ja weiß, wie das wird, mit den Pelzmänteln und den falschen Frauen. Aber da Adonis nicht irgendein Boxer ist, sondern der Sohn seines Freundes, kann Rocky ihm seinen Wunsch nicht lange abschlagen. Das Erbrecht der Liebe tritt in Kraft und im Zusammenhang mit der mythologischen Erzählebene entfaltet sich dadurch eine harte, aber auch tief romantische Geschichte.

Die Figur Rocky hat sich vom Kino gelöst

Was die Joe-Frazier-Anekdote darüber hinaus erzählt: wie sehr Stallone selber immer Rocky war und bleiben wird. Dass Figur und Darsteller amalgamieren, davon berichten Generationen von James-Bond-Darstellern. Aber keine Figur der Filmgeschichte ist so eng mit ihrem Erfinder und Darsteller verbunden - und hat es gleichzeitig geschafft, alle Persiflagen und die teilweise grausam schlechten Fortsetzungen zu überleben. Die Figur Rocky hat sich vom Kino gelöst.

Sylvester Stallone wurde als eine der wenigen fachfremden Berühmtheiten in die "Boxing Hall of Fame" aufgenommen. Bis zu Joe Fraziers Tod stand in dessen Heimatstadt Philadelphia (wo auch Rocky beheimatet ist), nur eine Boxerstatue - und die sieht aus wie Sylvester Stallone. Sie war als Requisit für "Das Auge des Tigers" errichtet und nicht wieder abgerissen worden. Jeden Tag seit dem Riesenerfolg des ersten "Rocky" von 1976, rennen Touristen die Stufen des "Philadelphia Museum of Art" hinauf, um oben ihre Arme in die Höhe zu reißen und ihre Fäuste in die Luft zu boxen. Mittlerweile machen sie Selfies.

In einer der schönsten Szenen von "Creed" hilft Adonis seinem alternden, von einer Krankheit geschwächten Trainer nun diese Treppe nach oben. Rocky schnauft schwer und nuschelt einen typischen Rocky/Stallone-Satz: "Die müssen noch ein paar zusätzliche Stufen drangemacht haben." Wer da nicht gerührt ist, hat kein Herz oder die vergangenen 40 Jahre hinterm Mond verbracht. Im Übrigen muss man keinen "Rocky" gesehen haben, um von "Creed" gerührt zu sein. Man sieht und spürt, dass etwas Neues beginnt, aber bald etwas Großes enden wird, und damit immerhin auch ein Stück Filmhistorie.

Film und Realität vermischen sich

Der Rocky-Mythos beinhaltet ja auch die Hintergrund-Geschichte des arbeitslosen Darstellers Stallone, der sich Anfang der 1970er-Jahre als Komparse in einem Woody-Allen-Film durchschlug und Softpornos drehte, um seine Miete bezahlen zu können. Und der dann ein Drehbuch über einen Außenseiter schrieb, der sich mit einem Kampf gegen den Weltmeister aus seinem prekären Dasein befreit - und seinen Darsteller Stallone gleich mit.

Was Film und was Realität ist, vermischt sich im Hintergrund von "Creed" nun bis zur Unkenntlichkeit. Es spielen so viele echte Boxer, Ringrichter und TV-Kommentatoren mit, dass man manchmal glaubt, man sehe einen guten Kampfabend auf HBO. Sogar die Szenen im Ring wirken faszinierend authentisch - bisher technisch gesehen immer eine Schwäche der "Rocky"-Filme, in ihrer comichaften Überzeichnung. Sogar eine interessante Frauenfigur gibt es. Alles wirkt unglaublich real und bleibt dabei doch märchenhaft. Dabei beachtet "Creed" die simple, wie gültige Lebensregel aus dem ersten "Rocky" - also eine Regel des Autoren Stallone: dass sich die wahre Größe eines Menschen nicht im Sieg zeigt, sondern darin, wie er mit Niederlagen umgeht.

Sylvester Stallone spielt in "Creed" eine Nebenrolle, aber sobald er auftaucht, beherrscht er die Szene. Er braucht eben nicht viel mehr als zwei große, gestikulierende Hände und eine gute Zeile. Ein gereifter, weise gewordener Mann, der keine Fehler macht. Schon in "Rocky Balboa", dem sechsten und eigentlich letzten Teil, hatte Stallone zu seinen Wurzeln zurückgefunden und seinem Alter Ego einen würdigen Abschied von der Leinwand gegönnt. Entsprechend ablehnend war die Reaktion, als sich der gerade mal 29-jährige Regisseur Ryan Coogler, der zuvor nur einen größeren Film gemacht hatte, an Stallone wandte, mit der doch recht irrwitzig klingenden Idee, den Rocky-Mythos weiter zu erzählen. Nachdem Stallone aber das Drehbuch gelesen hatte, übernahm er sogar die Produktion. Wie alle großen Geschichtenerzähler liebt er gute Geschichten - auch wenn sie nicht von ihm sind.

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