Botticelli-Ausstellung in Berlin:Die Wieder-und-wieder-Geburt der Venus

Botticelli-Ausstellung in Berlin: Der Amerikaner David LaChapelle lässt es in seiner "Wiedergeburt der Venus" an ironischer Deutlichkeit nicht missen (l.). Doch Sandro Botticellis schamhaftere "Venus" von 1490 ficht so schnell nichts an.

Der Amerikaner David LaChapelle lässt es in seiner "Wiedergeburt der Venus" an ironischer Deutlichkeit nicht missen (l.). Doch Sandro Botticellis schamhaftere "Venus" von 1490 ficht so schnell nichts an.

(Foto: Ausstellung, Gemäldegalerie Berlin)

Plötzlich ist jede nackte Frau am Strand ein Botticelli-Girl: Die Ausstellung "Botticelli-Renaissance" zeigt, wie das Werk des Meisters auf wenige Bilder schrumpfte, als sein Ruhm wuchs.

Von Lothar Müller

Die Venus der Berliner Gemäldegalerie rafft wie eh und je mit der linken Hand ihren lang herabfallenden goldblonden Haarschweif zusammen und hält ihn wie ein Tuch vor die Scham. Anstrengungslos erfüllt sie, die rechte Hand vor der Brust, das antike Modell der Venus pudica, der schamhaften Venus. Später wird man einer ihrer Varianten begegnen, die aus Turin gekommen ist. Es gehörte um 1490 zum Geschäftsmodell der Werkstatt Botticellis, die Zentralfigur aus dem wenige Jahre zuvor entstandenen Gemälde "Die Geburt der Venus" herauszulösen, ohne Muschel, ohne Zephyr, ohne Meer.

Warum wirkt sie hier, im ersten Raum der Ausstellung "The Botticelli Renaissance" auf andere Weise isoliert, fast verloren? Es ist der Botticelli-Saal der Berliner Gemäldegalerie, aber die Werke des alten Meisters sind ausgezogen. Die Venus spiegelt sich im polierten Aluminium, aus dem Robert Rauschenberg sie als nach Amerika ausgewanderte Statue hervorschimmern lässt. Die Muschel, in die auf David LaChapelles schreiend bunter "Rebirth of Venus" (2009) ein nackter junger Mann bläst, während ein anderer dem einen Model eine Muschel als zweite Vagina vor die Scham hält, wirkt wie ein Megafon, mit dem der großformatige Kitsch sich selber feiert. Und Modepuppen führen den Hosenanzug und den Dolce&Gabbana-Venusdress vor, in dem Lady Gaga 2013 auftrat.

Wir haben verstanden: Es geht hier um die Aneignung Botticellis durch die Nachlebenden, nicht um seinen Ort in der Malerei der Renaissance. Und die Jahreszahlen "2015-1445" im Untertitel wollen sagen: Hier wird eine Zeitreise rückwärts inszeniert. Botticelli wird zu Beginn als allgegenwärtig und bekannt vorausgesetzt, und dann führt der Parcours durch die Renaissancen, die er in der Moderne erlebte, zurück ins Florenz des 15. Jahrhunderts.

Botticelli ist aber nicht nur allgegenwärtig, er ist auch abwesend. Denn die "Geburt der Venus" und die "Primavera", der Markenkern, zu dem sein Werk geschrumpft ist, als es seinen globalen Siegeszug antrat, lassen sich außerhalb von Florenz nicht zeigen, sie sind an ihren Ort gebunden.

Nicht die schwarzhaarige Venus, die der Chinese Yin Xin durch ihre Augenform als asiatische Adaption der europäischen Ikone präsentiert, und auch nicht die Selbstverkleidung, in der sich Cindy Sherman ironisch dem "Allegorischen Porträt einer Dame" anverwandelt und Milch aus ihrer rechten Brust herausspritzen lässt, hinterlässt den stärksten Eindruck in diesem Auftakt. Sondern die karg-charmante Inszenierung, in der auf einer kolorierten Fotografie der aus Ägypten stammende Youssef Nabil vor dem Original der "Primavera" in den Uffizien liegt, schlafend auf der Bank vor dem Gemälde, mit bloßen Füßen in eine Dschellaba, die ägyptische Tunika, gehüllt - in Erinnerung an die Reproduktion, die in der Mitte der Siebzigerjahre in seinem Kairoer Kinderzimmer hing. Er hat sich einen Traum erfüllt - allein vor dem Original -, und was macht er? Er träumt.

Überall Venus-Reprisen

Im Nebenraum läuft Bill Violas Video "The Path", in dem Komparsen langsam durch einen Wald schreiten, der sich die Aura des Waldes aus Botticellis Bildern zu Boccaccios alter "Geschichte des Nastagio degli Onesti" ausleiht. Aber der unsichtbare Traum des schlafenden Ägypters ist stärker. Die Gefahr einer Ausstellung wie dieser ist klar: Wenn Botticelli überall ist, dann droht sie auszufransen, weil sich so ziemlich jede nackte Frau, die an einem Strand steht, durch assoziative Verknüpfung als Botticelli-Girl auffassen lässt. Die Girls müssen nicht einmal nackt sein, es muss nur der Wind in ihre Haare fahren wie auf den "Beach Portraits" der niederländischen Fotografin Rineke Dijkstra - schon gelten sie als Venus-Reprisen.

Die alte Venus, die sie nun einrahmen, sieht darüber hinweg. Sie ist ja selbst aus der Aneignung einer fernen Kunst, aus der Wiederbelebung der Antike entstanden. Nur war die Antike damals nicht allgegenwärtig, erst die Gesamtanspannung aller ästhetischen und intellektuellen Energien der Epoche brachte eine Renaissance hervor, in der die Antike gerade nicht zurückkehrte, sondern verwandelt wurde.

Dalì setzt der Venus einen Fischkopf auf

Andy Warhol trägt im mittleren Raum des Parcours mit flächigen Venus-Köpfen in Pop-Farben und durch ein frühes Beispiel digitaler Kunst zum Siegeszug der wehenden Haare bei. René Magritte appliziert einem seiner schwarzen Herren mit Melone die Flora der "Primavera" auf den Rücken, Dalí lässt sich nicht lumpen und setzt der Venus einen Fischkopf auf und Alain Jacquet kontert den Surrealismus mit schlichtem Pop und verwandelt die Venus in eine Zapfsäule - richtig geraten, wegen Shell und der Shell-Muschel, und wer will, kann, weil Benzin "Essence" (Wesen) heißt, über Botticellis Beziehungen zum Neuplatonismus nachdenken.

Es ist gut, dass wir die Sphäre der widerstandlosen Zirkulation von Fragmenten der "Venus" und "Primavera" bald verlassen, nachdem wir den mittleren Ausstellungsraum betreten haben. Hier tritt der Beliebigkeitsfaktor zurück und es wird eine Aneignungsbewegung im Zusammenhang sichtbar: die Wiederentdeckung Botticellis seit dem mittleren 19. Jahrhundert im viktorianischen England und in Frankreich. Hier liegt der Schlüssel zum modernen Nachleben Botticellis, der Schlüssel auch zur grausamen Schrumpfung und Verkürzung seines Werks.

Natürlich war er nie verschwunden, schon durch die - freilich tendenziöse - Darstellung in Giorgio Vasaris "Vite" blieb er der Nachwelt immer bekannt. Aber allgegenwärtig war er nicht, und als Walter Pater und John Ruskin ihn um 1870 aufzuwerten begannen, konnte Dante Gabriel Rossetti das Porträt einer Dame, der Smeralda Bandinelli, noch für zwanzig Pfund erwerben. Das nun in Berlin zu sehende Gemälde gehört heute dem Londoner Victoria & Albert Museum, dem Partner der Gemäldegalerie und zweiten Station der Schau. Es trägt zum Gastspiel von Mode und Design in den Räumen der Alten Meister bei.

"Primavera" im Werkzentrum

In der Welt von William Morris, Rossetti und Burne-Jones rückt die "Primavera" ins Werkzentrum, aber das Kopieren von Tafelbildern und Zeichnungen Botticellis, seine Integration in den Buchdruck, in die Fotografie, die Werbegrafik und die Mode erfolgen noch im Blick auf das Werkspektrum. Das lässt sich im Blick auf Rossetti, Edward Burne-Jones und ihre Zeitgenossen hier nachverfolgen: Oft beziehen sich die Blumen und Frauen ihrer Bilder auf von Sammlern oder der National Gallery gerade erworbene Werke. Dass Frankreich nicht nachsteht, zeigt der Blick auf Gustave Moreau und Edgar Degas, der Botticellis Venus in den Uffizien zeichnet, und an der "Primavera"-Kopie in Originalgröße, die einer Pariser Gobelinmanufaktur als Vorlage für einen Wandteppich diente.

Die Kuratoren Ruben Rebmann und Stefan Weppelmann haben in der Ausstellungsarchitektur des Bühnenbildners Hansjörg Hartung eine starke Zäsur gesetzt. Im Durchgang zum letzten, historischen Teil, der Gemälde Botticellis und seiner Werkstatt, aber auch Fälschungen zeigt, empfängt ein leerer Rahmen, schwarz ausgeschlagen, den Besucher. Er ist rund wie der Tondo an seiner Seite, Botticellis "Madonna del Magnificat" mit Kind und Engeln. Das Bild im Schinkel-Rahmen ist 1945 verbrannt, die Gattung, der es angehört, die Rundbilder ("Tondo") mit der Madonna gehören ins Zentrum des bis hierhin weitgehend abwesenden Botticelli, des Malers religiöser Sujets.

In dieser Kabinettausstellung tritt mit dem Berliner Heiligen Sebastian, mit Giuliano Medici und ihren Nachbarn aus dem mythologischen Frauenmaler der Porträtist der Männerfiguren seiner Zeit heraus. Es wird immerhin ahnbar, was im Prozess der Verknappung auf die "Botticelli"-Girls auf der Strecke blieb.

Mit mehr Pathos als Ironie schließt die Ausstellung: In einer rot ausgeschlagenen, fast leeren Kapelle hängen nur zwei Bilder, es sind die einzigen, die Botticellis Signatur tragen. Die "Mystische Geburt" (1500) aus dem Spätwerk und eine der Zeichnungen zu Dantes "Paradiso". Hier könnte eine Botticelli-Ausstellung beginnen, die ihn in die Renaissance zurückversetzt.

Botticelli Renaissance, bis 24. Januar, Gemäldegalerie, Kulturforum Berlin. 5. März bis 3. Juli im Victoria and Albert Museum London. Katalog: 29 Euro.

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