"Borat" - der Film:Die kasachische Tanga-Katastrophe

In diesem Slip die ganze Welt: Sacha Baron Cohens Film "Borat" ist nach Kritikermeinung beides zugleich: Krank und unwiderstehlich. Wie dem auch immer sei - er zerdeppert alle Vorstellungen von politischer Korrektheit.

Fritz Göttler

Ungeheuerlich ist mittlerweile die Euphorie um diesen Film, der Hype im angelsächsischen Kulturbereich, und seine Glanzstücke sind dort fast zum Volksgut geworden. Die nervöse Hatz nach dem entlaufenen Huhn in einem vollbesetzten Wagen der New Yorker U-Bahn. Die mit feierlichem Ernst angestimmte Nationalhymne im vollbesetzten Rodeo-Stadion irgendwo in Texas, der Text aus der kasachischen, die Musik aus der amerikanischen Hymne. Und manchmal ertappt man sich dabei, wie man das breitmaulartig gedehnte niiiice, das Borat so permanent und penetrant in den Mund nimmt, selbst gern benutzen würde. Bei Borat ist es, wenn er es zu einer vorübergehenden Frau sagt, meistens gefolgt von einem "How much?" Dass die Welt sich in einem Zustand der Prostitution befindet, ist die Botschaft des Films - die mit einer Direktheit wie Borat in der jüngsten Zeit sonst eigentlich nur Russlands Präsident Wladimir Putin vermittelte, als er unwillkürlich dem israelischen Kollegen Mosche Katzav für dessen angebliche Vergewaltigungen seine Hochachtung ausgesprochen haben soll. Gegen soviel Realsatire tut sich auch ein so drastisches Kinostück wie "Borat" - Moviefilm würde Borat in seiner charmant radebrechenden Art sagen - ziemlich schwer.

"Borat" - der Film: Grenzen werden pausenlos überschritten in diesem Film - zwischen Dokument und Fiktion.

Grenzen werden pausenlos überschritten in diesem Film - zwischen Dokument und Fiktion.

(Foto: Foto: Fox)

Das hat etwas Erschreckendes, etwas Imperialistisches, dieser Triumphzug des Borat Sagdiyev und seines Films, dessen Titel im Original - ziemlich schwer ins Deutsche übertragbar, das gilt im Übrigen für den ganzen Film - "Borat: Cultural Learnings of America for Make Benefit Glorious Nation of Kazakhstan" lautet. Es kommt einer Kapitulation gleich, diese Bedingungslosigkeit, mit der beinharte, ausgebuffte Kritiker alle Bedenken fahren lassen. Dabei waren sie durchaus gewarnt, durch die Figur des Ali G, den der Komiker Sacha Baron Cohen für MTV kreierte und auf die moderne Alltagswelt losließ. Ein weißer schwarzer Rapper, der die Leute vor versteckter Kamera zu den schlimmsten Reaktionen provozierte. In "Borat" hat er diesen Effekt noch einmal radikalisiert, wenn er als Reporter Boris Sagdiyev loszieht, um in einem Feature - einem Moviefilm! - das große Vorbildland Amerika - the US and A - zu porträtieren, zum Nutzen - benefit! - der kleinen Nation Kasachstan.

Deeply sick, utterly irrestistible - so fand der Time-Filmkritiker Richard Corliss, als er den Film auf dem Festival in Toronto sah. Krank und absolut unwiderstehlich . . . das heißt, Protest ist von Anfang an einkalkuliert bei diesem Projekt. Sein Weg ist gepflastert mit den Aufschreien von betroffenen, reingelegten, diffamierten Kreaturen, die Borat vor die Kamera lockte und, nachdem sie nationalistische, rassistische oder einfach dumme Sätze daherplapperten, wieder entließ. Im besten Fall schauen sie hilflos, unfähig zu jeder sinnvollen Reaktion. Die Regierung von Kasachstan hat zuerst wütend gegen den Film und seine Verunglimpfung ihres Volkes protestiert, dann eine Seite Gegenpropaganda in der New York Times geschaltet, und schließlich seufzend den Filmemacher ins Land geladen, auf dass er sich selbst ein Bild mache, wie schön es eigentlich dort ist. Wie Usbekistan reagierte, der Erzfeind - ein degenerierter Schurkenstaat -, ist nicht bekannt.

Inzwischen kann man kaum noch unterscheiden zwischen Aktion und Reaktion, zwischen dem, was Teil des Films ist und dem, was drumherum geschah - welche der Proteste wirklich von den Betroffenen stammen und welche fake sind, von Produzent und Verleih geschaltet. Es macht auch nichts mehr aus, im Hype hat alles den gleichen Effekt, Borat ist eine allesverschlingende Fun-Maschine.

Die Welt in Schwarz-Weiß, davon erzählt dieser Film, in diesem Sinne ist der rasende Reporter Borat ein verwandter im Geiste des Simplicissimus und des Don Quijote wie der Leute der South-Park-Serie. Das derbe Wir-versus-Sie-Feeling treibt den Film an - wir hier drinnen, ihr da draußen. Der Film fängt an wie die guten alten Kulturfilme, sogar die Flusen und Kratzer tauchen auf, die man von abgenudelten Kopien kennt - was denn auch bei abgebrühten Cineasten echte heimatliche Gefühle erweckt.

Borats Heimat ist Provinz pur, ein kasachisches Dorf, das wie ein osteuropäischer Themenpark daherkommt. Also küsst Borat eine schmuddelige Blondine und erklärt dann stolz: meine Schwester. Und erklärt seinen Stolz: viertbeste Prostituierte in ganz Kasachstan. Und sie hebt stolz einen kleinen Goldpokal hoch. Neben der Degeneration gibt es noch jede Menge Antisemitismus, echt folkloristisch verbrämt. Das geht dann auch so weiter, wenn Borat durch die USA zieht und sich über die Lebensart dort informiert. Er fährt in einem alten Eisverkäuferwagen. Zu fliegen traut er sich nicht, aus Angst vor einer Wiederholung der 9/11-Attacke - von der er glaubt, die Juden hätten dahinter gesteckt. Was für ein Gewehr würden Sie empfehlen, fragt er in einem Waffenladen, um einen Juden zu erschießen? Und: Wenn ich mit diesem Wagen in eine Gruppe Zigeuner fahre, fragt er einen Autohändler, wird der Wagen davon beschädigt werden?

Das ist verletzend und grob, und es gibt viele, die darüber nicht lachen können. Wobei in der alten Diskussion über die Wirkung von Komik, ob sie befreiend ist oder terroristisch, wie stark sie verletzen kann oder muss, dieser Film uns sicher nicht sehr viel weiter bringen wird. Gerade wo er drastisch ist, ist er auch schnell ein wenig langweilig. Und die Visage ist sowieso geklaut, diese wacklige Elendsgestalt, dieser dicke Groucho-Schnauzer. Ja, Sacha Baron Cohen ist Jude, und sein Film richtet sich natürlich nicht gegen die Juden oder andere diskreditierte, verfolgte Minderheiten dieser Welt, sondern gegen die Fabrikation und den Einsatz von Ressentiments und Vorurteilen, wie sie in der westlichen Welt das Denken bestimmen. Die Verlockung des Untermenschen-Diskurses.

Grenzen werden pausenlos überschritten in diesem Film - zwischen Dokument und Fiktion, Authentischem und Gespieltem, Korrektem und Inkorrektem. Es gibt kein Zurück, auch in Fragen des Geschmacks. Der Filmemacher ist nun mal ein Wegelagerer, der die Wirklichkeit überrumpelt. Aber wie ernst meint es Borat wirklich mit seiner Liebe zu Pamela Anderson? Hat der Mensch kein Gefühl? Macht ihn ein New Yorker Hotelzimmer glücklich, auch wenn es nur der Hotelfahrstuhl ist? Und wann, überlegt Time-Kritiker Corliss, wird es die ersten Borat-Touristen-Touren geben ins glorreiche Kasachstan?

BORAT: CULTURAL LEARNINGS OF AMERICA FOR MAKE BENEFIT GLORIOUS NATION OF KAZAKHSTAN, USA 2006 - Regie: Larry Charles. Buch: Sacha Baron Cohen, Anthony Hines, Peter Baynham, Dan Mazer. Kamera: Luke Geissbuhler, Anthony Hardwick. Mit: Sacha Baron Cohen, Pamela Anderson. 20th Century Fox, 82 Min.

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