Bohlen und "DSDS":"Aber geknutscht hast du schon?"

Der Superstar und andere Absurditäten im Typenkabinett: Eine Jury mit Dieter Bohlen testet wieder Sänger. Diesmal waren die Brüste echt.

Alexander Kissler

Soll man sich über Deutschland sucht den Superstar noch aufregen? Über die Dauer-Castingshow auf RTL, die von Bild liebevoll begleitet wird? Über Dieter Bohlens Grimassenballett und Fäkalfloskelei? Über den Ehrgeiz, nassforsche Möchtegernsänger aus prekären Milieus in maximal peinliches Licht zu rücken? Über das Püppchen an der Seite des Patriarchen, Nina Eichinger, die sich ihr Ja oder Nein vom Mund klauen lässt und ansonsten schweigt, wenn Männer reden? Über den Dritten im Bunde der Jury, Volker Neumüller, dessen Augen noch keinen weiblichen Liebreiz übersahen?

Dieter Bohlen, ddp

Wer sich bei RTL in die Hände von Dieter Bohlen begibt, muss mit allem rechnen. Im günstigen Fall hilft

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vor allem den Nachwuchssängerinnen der Castingshow mit einer Fotostrecke.

(Foto: Foto: ddp)

Vielleicht sogar über das Heer der Anwärter, die wiederkäuen, was die Veranstalter hören wollen? Diesmal sollen es 35.000 Kandidaten gewesen sein, 3000 mehr als im vorherigen Jahrgang. Sie alle lockt ein Preis, den es nicht gibt, der Status nämlich als Superstar. Ihnen allen droht eine Rolle in der Klischeefabrik DSDS, der Weekly-Soap.

Die siebte Staffel schickt sich an, das Reißbrett, an dem sie entstanden ist, nicht mehr zu kaschieren. Alles ist Kopie, alles Konzept. Das Déjà-vu wurde Prinzip. Am Mittwochabend etwa wurde die 19-jährige blonde ostdeutsche Abiturientin Steffi in jenes Raster gepresst, das vor einem Jahr die 19-jährige blonde ostdeutsche Auszubildende Annemarie quotenträchtig ausfüllte - jenes des freizügigen "Luders".

"Ja, sie sind echt", sprach sie in Beantwortung einer wie stets unhörbaren Außenreporterfrage im unvermeidlichen Filmchen, und schaute an sich herab. Die Kamera fokussierte sich auf ihr Dekolleté, als Dieter Bohlen von einer "sehr interessanten" Persönlichkeit sprach, wenngleich mit "ätzender Stimme".

Merke: Zuerst müssen die Typen im Klischeekabinett besetzt werden, die Sangeskunst folgt danach. Steffi übrigens warf sich wie einst Annemarie für die begleitende Fachzeitung Bild textilarm in Posen.

Wie bei jedem Industrieprodukt ist die Normerfüllung alles, die Individualität nichts. Dem 16-jährigen Christian aus Recklinghausen, schüchtern, doch lautstark, ist die Nesthäkchenrolle zugedacht, die 2009 ein gewisser Florian Ehlers innehatte. Er soll Beschützerinstinkte wecken. Christian wird weit kommen, aber gewiss nicht siegen.

Der für die Kleinmädchenklientel unverzichtbare Wuschelkopf und Tagträumer wiederum heißt aktuell Eugen, ist 17 Jahre alt und stammt aus Berlin. "Siehst gut aus, singst toll", urteilte Bohlen, "unglaublich" fand ihn Neumüller, und Nina Eichinger strahlte mit verschleiertem Blick. Nicht anders verhielt sich die Jury 2009 bei einem jungen Herrn namens Dominik Büchele, der es unter die besten vier schaffte.

Gute Karten für den Part der schrillen Ulknudel, 2009 in den Händen der Petticoat-Trägerin und Trude-Herr-Imitatorin Vanessa Neigert, hat diesmal die 18-jährige Carmen in ihren silbernen Leggings. RTL blendete bei Carmens Auftritt praktischerweise die Rollenbeschreibung mit ein: "Frohnatur aus München".

Für die seltenen Fälle, wenn für das Typenkabinett nicht genügend Nachwuchskräfte zur Verfügung stehen, müssen die Kopien aus den vorherigen Jahren noch einmal ran. Die damals 16-jährige Kim etwa, im Februar 2009 mit den Worten "das war keine gute Leistung" aus dem DSDS-Tonstudio verabschiedet, erscheint wieder. Ihr Schlusssatz von damals bleibt nicht das letzte Wort: "Ich bin sehr traurig, aber vielleicht ist es zu früh." Die Rolle des zerbrechlichen Kindes mit der traurigen Familiengeschichte (die Mutter habe einen Hirntumor) ließ sich wohl anderweitig nicht besetzen.

Machosprüche, Machoposen

Überhaupt nehmen, wie es sich für ein "Soap"-Format gehört, die effektvoll zugespitzten Geschichten einen weitaus größeren Raum ein als die Gesangsversuche. Geplanter Höhepunkt der aktuellen Sendung war der Auftritt von "Deutschlands berüchtigtstem Superstar-Bewerber". Im RTL-Stakkatostil lautet die traurige Vita: "Staatsanwalt, Gerichtstermine, im Gefängnis".

Zu einer zweijährigen Haftstrafe ohne Bewährung sei der Teilnehmer von 2005, Hasso "Menowin" Fröhlich, verurteilt worden. Er selbst gibt in jenem fast verbfreien Deutsch, das RTL hören will, zu Protokoll: "Computerbetrug, Körperverletzung, Waffenbesitz". Mittlerweile aber kann er von sich wie von einem Produkt reden - er habe "an dem Menschen Menowin gefeilt".

Nun wolle er tun, was alle tun wollen, "durchziehen, Gas geben und gewinnen."

Ob man Hasso Fröhlich wünschen soll, er möge nicht gewinnen? Damit er nicht spätestens 2011 durch die Neubesetzung der Rolle des Raubeins mit Herz ins Vergessen geschubst wird? Damit er nicht Gas gibt, um als Rummelbelustigung zu enden?

Nervtötende Effekte

Auf Dauer nämlich besteht hier nur die Jury. Nur sie bleibt und kehrt wieder und ändert sich nicht. Im Kern ist DSDS eine Einübung in Unterordnung, Gehorsam und Wegducken. Der Kasernenton triumphiert, die Aufmüpfigen werden der Lächerlichkeit preisgegeben - so wie die 16-jährige Jana. Zeremonienmeister Bohlen fragte sie instinktsicher: "Hast 'n Freund?". Das Nein war die Vorlage für Neumüllers anschließende Dreistigkeit, "aber geknutscht hast du schon?". Die Braven hingegen mit den knapp überdurchschnittlichen Stimmen und dem passgenauen Rollenprofil winkt man durch. Ihnen bleibt es erspart, in einem Meer anzüglicher Cartoons und Animationen zu ertrinken.

Nie war die Dichte an nervtötenden Effekten größer. Kein bildungsferner Vorsänger wird ohne Gefiepse und Geschnarre wie im Zeichentrickfilm verabschiedet. Fast keine Sekunde vergeht, ohne dass ein Comic-Bohlen als fliegender Superman oder schwebender Engel oder genüsslicher Paddler über die Scheibe huscht. In Großaufnahme und Zeitlupe werden seine schrillen Blicke ebenso vervielfältigt wie die feuchten Gesichter, die Speichelfäden und Hosenflecken überforderter Kandidaten.

Machosprüche, Machoposen

Dass, wie nun bekannt wurde, mancher Fäkal- und Flatulenzspruch nachträglich montiert wurde, vollendet den künstlichen Charakter der Veranstaltung. Ist es nicht egal, mögen die Macher sich denken, wer denn tatsächlich mit seltsamen Sprüchen ("Lieber Cholera auf dem Pillermann als dein Gesang" oder "Deine Stimme erinnert mich an 'ne volle Windel") bedacht worden ist? Es treffe ja wohl die Richtigen.

Jeweils rund sieben Millionen Menschen versammelte DSDS 2010 bisher pro Folge vor dem Bildschirm. Es dürften, wenn die Endrunden anstehen, eher mehr denn weniger werden. Bohlen, der konsequent die Poloshirts ein und derselben Marke trägt und für diese Marke zeitgleich wirbt, wird es freuen. Sein Werbewert bleibt hoch.

Auch Nina Eichinger, die "Trendexpertin", wird es freuen. Sie darf viele junge Menschen anlächeln und muss weiter nichts tun. Volker Neumüller wird es freuen, denn wo sonst bleiben Machosprüche, Machoposen derart zuverlässig unwidersprochen? Und wenn am Ende der Sieger für ein knappes Jahr den Markennamen "Superstar" tragen darf, ohne es zu sein, wird auch die Plattenfirma sich freuen.

Alle selbstgesetzten Ziele und Zwecke wird DSDS erreichen, und zwecklos ist hier rein gar nichts: Die Effizienz feiert sich selbst.

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