Bob Woodward: "The War Within":Der Reporter hat frei

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Macht korrumpiert nicht nur den Mächtigen: Einst hat Bob Woodward die Watergate-Affäre mit aufgedeckt. Nun folgt er Bush mit seinem Buch brav in den Untergang.

Willi Winkler

Das Buch beginnt so schön wie ein historischer Roman: Einsam steht der amerikanische Präsident auf der Veranda seiner Botschaft in Bagdad. Es ist die Stunde der großen Worte. Große Ereignisse verlangen nach diesen Worten, sie brauchen die große Bühne, und der Beleuchter darf keinesfalls am Watt-Einsatz sparen. In Bagdad ist es Abend geworden, und "ein trüber Sonnenuntergang hatte sich über die glühend heiße, gewalttätige Hauptstadt gesenkt". In der Dämmerung setzt sich der Präsident mit seinem oberkommandierenden General zusammen, die beiden stecken sich Zigarillos an, schmauchen ein bisschen, und dann spricht George W. Bush die ehernen Worte: "Wir müssen gewinnen."

Bob Woodward: Was will ein Kammerdiener mehr? (Foto: Foto: afp)

So muss es sein. Aber war es so?

Bob Woodward schildert die Szene in seinem Buch "The War Within" (Der interne Krieg), doch wer hat sie ihm erzählt? Der für seine lyrische Ader bekannte Bush? Der durch sein unbezähmbares dramatisches Talent aufgefallene General Casey?

Hegel maulte einst über die "psychologischen Kammerdiener", die ihrem Herrn schon zu oft in die Schuhe oder ins Bett hineingeholfen haben, als dass sie ihn noch als Helden wahrnehmen könnten. Woodward ist nicht so, sondern der Kammerdiener neuen Typs; er kann wieder verehren. Seine Methode heißt in der Fachsprache fly on the wall. Der Reporter berichtet die Geschehnisse und Gespräche, als wäre er bei allem wie eine Fliege an der Wand dabei gewesen.

Er referiert seitenweise Dialoge, vor allem so schneidige oneliners, mit denen die Mächtigen Weltgeschichte machen wollen. Damit ist er für diese Mächtigen zu einem geschätzten Gesprächspartner geworden und konnte seine Bücher über Alan Greenspan, William J. Casey und jetzt schon zum vierten Mal über Bush verfertigen. Was will ein Kammerdiener mehr?

Keine Widerworte

Woodward, der immerhin vor Jahrzehnten zusammen mit Carl Bernstein die Watergate-Affäre enthüllte, war zwar nicht dabei, aber er kann es so scheindokumentarisch erzählen, als wäre er dabei gewesen. Zum Beispiel wie sich beim ausbleibenden Erfolg tiefe Zwietracht durchs Kriegskabinett frisst, ein Personal wie im Untergang: Wie schließlich niemand mehr mit Verteidigungsminister Rumsfeld redet, wie Außenministerin Condoleezza Rice vom Chef abgebürstet wird, wenn der schlechte Laune hat, wie Vizepräsident Cheney zu allem bedeutungsvoll schweigt, während sich die unteren Chargen nicht trauen, den Mund aufzumachen, weil der Chef nun einmal keine Widerworte duldet. Dafür ist Bush ganz begeistert, als ihm der Kammerdiener hinterbringt, dass ihn einer mit dem britischen Kriegspremier Winston Churchill verglichen hat.

Wenn Woodward den Churchill im Weißen Haus nicht umfächelt, frönt er dem Feuilleton. Wenige Seiten nach der Eingangsszene stehen wieder zwei Männer über der Stadt und schauen auf das beherrschte Bagdad hin. Wieder rauchen, sinnen, schmauchen sie. Und als die Zigarren ausgeraucht sind, sagt der eine zum anderen (diesmal handelt es sich um zwei Offiziere): "Wir stecken in Schwierigkeiten." Platter geht's nicht, das sind die Sätze, um die ihn andere beneiden.

Es interessiert keinen

Doch, Männer sind so, insbesondere Männer, die Krieg führen müssen, und Woodward findet ihnen die Sätze, die ins götterdämmernde Bühnenbild fahren wie die Faust ins Auge des Gegners. Aber dann verrät der Schmock Woodward doch, was der einstmals investigative Reporter Woodward nicht herausfinden will. General Casey, immerhin der Chef der amerikanischen Truppen im Irak, stellt dem anderen cigarero eine Frage, die zu beantworten vor allem er in der Lage sein sollte: "Was ist eigentlich los im Irak?" Das scheint in diesem Buch niemand zu wissen, und in Wahrheit interessiert es auch keinen.

Mit seiner neuen Kriegschronik deckt Woodward die Jahre 2006 bis 2008 ab. Der Krieg, der so bald schon gewonnen schien, zieht sich in die Länge, fordert immer mehr Tote und könnte, das ist das Schlimmste daran, den Sieg bei den Kongresswahlen kosten. Der Reporter geht dabei wie ein General über die Toten hinweg, es sei denn, es handelte sich um amerikanische Soldaten.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie Woodward es den Mächtigen recht macht.

Im Unterschied zu den Generälen, die er hingebungsvoll zitiert, verfügen die Irakis nicht über Rangabzeichen, sind womöglich Zivilisten, sind die da draußen im nur scheinbar beherrschten Bagdad: unberechenbar, unheimlich, Feinde eben; 's ist Krieg, Politik findet deshalb nicht statt, oder allenfalls in Form von Power-Point-Präsentationen.

Keine Gelegenheit zum Weltkrieg: der trockene Alkoholiker im Weißen Haus. (Foto: Foto: oh)

"Es hat sich so entwickelt", lautet des Präsidenten Begründung dafür, dass er Rumsfeld nach den verlorenen Wahlen entlässt. Der Sicherheitsberater Stephen Hadley ist von der Formulierung seines Chefs gleich so begeistert, dass er Woodward empfiehlt, sie in sein Buch aufzunehmen, was der natürlich brav tut.

Mit seiner Methode kann Woodward gar nicht anders, als es den Mächtigen Recht zu machen. Er zeigt sie beim Rauchen, beim Nachdenken und lässt sie reden, und immer fallen diese schweren Sätze, mit denen ein handlungsarmer Roman vorangetrieben wird. Eine Analyse findet nicht statt, der Wortschwall der Großen regiert, der Reporter hat frei. Macht korrumpiert nicht bloß den Mächtigen, sondern auch den, der sie nicht hat.

So schlecht Woodward als Analytiker ist, so segens- und materialreich ist er manchmal als Protokollant. Beiläufig gelingt ihm mancher Hinweis auf den paranoiden Zustand in der Umgebung des Präsidenten, den amerikanische Karikaturisten schon zu Beginn seiner Amtszeit gern in einem Bunker dargestellt haben.

Wie viele haben wir heute umgebracht?

Selbst ihn, der sich wie Plastilin um die Helden seiner Bücher schmiegt, fasst gelegentlich das Grauen vor diesem überreifen Kindskopf, der sich als Führer der freien Welt fühlt und greint, wenn seine Redenschreiber wenigstens einmal auf das Wort "Sieg" verzichten wollen. In der Schublade bewahrt er verschweißte Steckbriefe der Guerillachefs auf, mit denen er sich im Krieg wähnt, nur um die Getöteten dann befriedigt durchzuixen. An der Kampagne im Irak interessiert ihn nur eine aus dem Vietnamkrieg bekannte Statistik: Wie viele haben wir heute umgebracht?

Seit Herbert Hoover, der 1933 von Franklin Roosevelt abgelöst wurde, hatten die USA keinen unfähigeren Präsidenten. Dabei war er von eifernden Kriegsnarren unterstützt, die erst neuerdings von der Einsicht ereilt werden, dass sie sich alle getäuscht haben könnten, dass der Irakkrieg nicht bloß von Anfang an herbeigelogen, sondern, schlimmer noch: ein Fehler war.

Josef Joffe hat neulich in der Zeit mit den großen Strategen dieses Krieges gesprochen. Sie alle wollen nichts mehr davon wissen und schieben alle Schuld auf ihren Oberbefehlshaber. Wenn es vorher angeblich der Patriotismus verlangte, sich für den Krieg zu begeistern, so erfordert der Opportunismus heute, sich davon zu distanzieren.

Der ehemalige Soldat Bob Woodward, der seinem Präsidenten in den ersten beiden Bänden seiner Kriegschronik kritiklos in den Krieg gefolgt war, entdeckt am Ende der Bush-Ära plötzlich seinen Mannesmut. Er, der große Woodward, habe ihn als "begeisternden Führer" dargestellt, aber er, der dann doch nicht so große Bush, habe es "zu oft versäumt zu führen". Da ist die Enttäuschung natürlich groß.

Was Bob Woodward tunlich vermeidet, bleibt also späteren Historikern aufgegeben, nämlich diese acht irren Jahre zu analysieren und sich dabei nachträglich zu bekreuzigen, weil der trockene Alkoholiker im Weißen Haus keine Gelegenheit zum Weltkrieg erhielt.

© SZ vom 4.11.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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