Bob Dylans Radio:Freunde und Nachbarn auf der Tonspur des Lebens

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Bob Dylans Rundfunksendung "Theme Time Radio Hour" gehört zum Besten, was man über das Internet hören kann, und große Kunst ist es auch.

Johannes Waechter

Am vergangenen Mittwoch ging es in Bob Dylans Radiosendung um "Freunde und Nachbarn". Dylan spielte Songs von Hank Williams und Howlin' Wolf und erzählte, was Friedrich Nietzsche und Muhammad Ali, "einer der weisesten Männer, die ich kenne", zum Wesen der Freundschaft zu sagen hatten. Es war die siebzehnte Folge der "Theme Time Radio Hour", die seit Ende Mai von einer amerikanischen Rundfunkanstalt übertragen wird und schon Themen wie Autos, Augen, Blumen, Hunde, das Wetter und den Teufel behandelte.

"Ich kenne niemanden, der in den vergangenen zwanzig Jahren eine Platte aufgenommen hätte, die in Ordnung klang", sagt Bob Dylan. (Foto: Foto: David Gahr/Columbia Records)

Dylan hat in der wöchentlichen einstündigen Show bisher mehr als 250 Songs gespielt und sich dabei als leidenschaftlicher Musikliebhaber und ebenso luzider wie charismatischer Moderator erwiesen. Nachdem der Sänger den Kontakt zur Öffentlichkeit lange gemieden hatte, gibt er sich auf einmal erstaunlich mitteilsam. In der Tat ist die Sendung, als künstlerische Äußerung betrachtet, dem neuen Album "Modern Times" mindestens ebenbürtig - dabei aber viel unterhaltsamer als die stellenweise düstere Platte.

Retten, was zu retten ist

Beide Werke, Show und Album, haben mit Dylans Anliegen zu tun, die Erinnerung an amerikanische Folkmusik aus der Zeit der Schellackplatte am Leben zu erhalten. In Interviews hat er immer wieder die Kraft der alten Blues- und Countrynummern beschworen, und auch in der musikalischen Stilistik von "Modern Times" und des Vorgängers "Love And Theft" ist der Wunsch erkennbar, das Augenmerk des Publikums auf vergessene Musikrichtungen zu lenken.

Die "neuen" Songs, die Dylan präsentiert, beruhen überwiegend auf alten Blues- und Ragtime-Melodien, auf Hillbilly-Balladen und Rockabilly-Rhythmen. Zwar hat er diese Kompositionstechnik bereits in den Sechzigern verwendet, doch hat man den Eindruck, dass ein fortschreitender Kulturpessimismus seinen Aktivitäten in diesem Bereich inzwischen eine besondere Dringlichkeit verleiht.

Offensichtlich will er seine Prominenz und Medienmacht einsetzen, um die Leute zu einer Musik zurückzuführen, die seiner Meinung nach noch etwas bedeutete. Denn die Gegenwart sieht düster aus: "Ich kenne niemanden, der in den vergangenen zwanzig Jahren eine Platte aufgenommen hätte, die in Ordnung klang", hat er gerade dem Rolling Stone verraten.

Erste Anzeichen für Dylans neu erwachtes Mitteilungsbedürfnis finden sich in seiner Autobiografie, die im Herbst 2004 erschien. Zahlreichen Passagen des Buches merkt man an, was für ein großer Hörer Dylan ist, wie gerne er seine Lieblingsmusiker analysiert und anpreist.

Erst war er nur Hörer, jetzt macht Bob Dylan seine eigene Radio-Show. (Foto: Foto: dpa)

Sänger wie Roy Orbison, Harry Belafonte oder den Bluesmann Robert Johnson beschreibt er in "Chronicles" mit einem avancierten Vokabular, das an die Bücher des Rockkritikers Greil Marcus erinnert, und in einem Nebensatz bekennt er, wie wichtig Anfang der Sechziger das Radiohören für ihn gewesen sei: "Es war Teil des Soundtracks meines Lebens, so wie Züge und Glocken."

Das Radio von einst gibt es nicht mehr. Dem Hörgefühl von damals am nächsten kommt heutzutage der Sender XM Radio, eine digitale Satellitenstation mit mehr als 170 musikalischen Spartenkanälen von Gospel bis Hard Rock. Für den Empfang muss man eine Monatsgebühr bezahlen, bekommt dafür aber ein werbefreies Programm, in dem die Musik im Mittelpunkt steht.

Zeitlose Frische

Zu den sieben Millionen Abonnenten von XM Radio gehört auch Dylan selbst. Als der Programmdirektor des Senders davon erfuhr, trat er ans Dylan-Management heran, um zu sondieren, ob sich Dylan und der Sender irgendwie zusammenbringen ließen. Und es ging.

Sämtliche Stücke für seine Sendung wählt Dylan selbst aus. Gewiss dominiert dabei amerikanische Roots-Musik, und es tauchen obskure Künstler wie Fatso Bentley, Prince La La oder die Cannon's Jug Stompers auf. Dylan spielt aber auch moderne Stars wie die Pretenders, Blur, Beck, Prince ("wir kommen aus derselben Gegend, deshalb haben wir eine Menge gemeinsam") und den britischen Rapper Mike Skinner alias The Streets.

Leicht gelingt es ihm dabei, seine These von der Beständigkeit alter Musik zu untermauern: Fast jedes Blues-, Dixieland- oder Western-Swing-Stück, das er hervorzaubert, besticht durch eindringliche Performance-Elemente und zeitlose Frische im Ausdruck.

Dylan reichert seine aufwendig produzierte Show mit Werbejingles aus den Fünfzigern an, blendet Grußworte von Hollywoodstars ein und geht dem Thema der Woche mit Zitaten von Dichtern und anderen Weisen auf den Grund, unter ihnen Shakespeare, Picasso, Konfuzius und Buddha. Außerdem erzählt der Sänger Witze ("Gehen zwei Hunde zum Psychiater") und verliest Hörerpost.

"Ihr werdet nicht glauben, was ihr zu hören bekommt"

In der Sendung zum Thema "Vater" behauptete er zum Beispiel, eine E-Mail von Johnny Depp erhalten zu haben, mit der Frage, wer eigentlich der Vater des Kommunismus gewesen sei. Die korrekte Antwort: "Nun, Johnny, Karl Marx war der Vater des Kommunismus!"

Besonderen Reiz gewinnt die Sendung durch Dylans auf Tausenden Konzerten kaputtgesungene Stimme. Die Beschädigung seines Organs macht er durch prononcierte Aussprache wett, wobei er bei seinen Moderationen immer wieder in einen rhythmischen Tonfall verfällt, als deklamiere er gerade ein Gedicht.

So zitiert er herausragende Textstellen der gerade gespielten Songs, zählt 25 Blumenarten oder die zehn Namen des Teufels auf - und lässt sich gelegentlich sogar zu Begeisterungsstürmen hinreißen, zum Beispiel, wenn er den Bluessong "Devil Got My Woman" von "meinem Mann" Skip James ankündigt: "Skips Stil war überirdisch und göttlich, er klang, als käme er aus einer anderen Welt, Magie in den Rillen. Sein Stil war gespenstisch und jenseitig, rar und andersartig, mysteriös und unbestimmt. Ihr werdet nicht glauben, was ihr zu hören bekommt." Die Wärme, die Dylan plötzlich ausstrahlt, kommt aus der Musik: Kaum darf er Songs, die er liebt, im Radio spielen, so öffnet sich sein Herz.

© SZ vom 25. August 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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