BKA in der Hand von Alt-Nazis?:Die braunen Wurzeln des BKA

Spät, aber wahr: Das Bundeskriminalamt entdeckt in diesen Tagen seine NS-Vergangenheit. Offenbar waren noch Ende der 50er Jahre die meisten Beamten ehemaliges Führungspersonal der SS. Warum beginnen die Ermittlungen erst jetzt?

Hans Leyendecker

Als nach dem Krieg die Kommandohöhen der deutschen Polizei neu besetzt wurden, waren die alten Kameraden sofort wieder zur Stelle: Der Chef-Fahnder des Berliner Reichskriminalpolizeiamts (RKPA) Kurt Amend, Ex-Mitglied im Sicherheitsdienst der SS, der im Großdeutschen Reich nach "Elementen" hatte jagen lassen, wurde Chef-Fahnder des Wiesbadener Bundeskriminalamts (BKA).

Sein Kollege, der Chef-Biologe Otto Martin, der sich unter anderem in der SS-Forschungsgemeinschaft "Das Ahnenerbe e.V." bewährt hatte, wurde wieder Chef bei den Biologen. Und der Chef der Personenfeststellungszentrale und der Fingerabdrucksammlung im RKPA Heinz Drescher wurde Chef des Erkennungsdienstes des BKA. Ihre Lebensläufe weisen Unterschiede auf, aber jede Kritik, die sich ans scheinbar Individuelle heftet, würde in die Irre führen: Die moralische Schieflage war beim Aufbau des BKA die Norm.

Noch Ende der fünfziger Jahre waren fast alle leitenden Positionen der im März 1951 gegründeten Behörde mit ehemaligen Nazis besetzt: Von den 47 Beamten auf der Führungsetage hatten nur zwei eine weiße Weste. Die anderen waren bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) gewesen, bei marodierenden Einsatzgruppen oder bei der Geheimen Feldpolizei. Allein 33 der Führungsbeamten hatten zum Führungspersonal der SS gehört.

Ungebrochene Überzeugungen

Der Neuaufbau war also ein Wiederaufbau. Organisator der Seilschaften war der frühere SS-Mann Paul Dickopf gewesen, der sich erst eine Widerstands-Legende zugelegt hatte, dann als graue Eminenz im Bundesministerium des Innern wirkte und 1965 vierter BKA-Präsident wurde. Hochgeehrt ging er in Pension: Der Strippenzieher der Polizei-Kameradschaft wurde von Politikern als "Vorbild für die gesamte deutsche Polizei" gewürdigt.

Mit Hilfe von drei öffentlichen Fachtagungen versucht in diesen Tagen die Hausspitze des BKA die dunkle Gründungsgeschichte der Behörde aufzuhellen. Die Polizei sei, so hatte es BKA-Präsident Jörg Ziercke bei seinem Einführungsvortrag am 8. August gesagt, "Stütze" des menschenverachtenden Systems der Gewaltherrschaft gewesen. Polizeiverbände seien "in den Vernichtungskrieg und Völkermord systematisch einbezogen" worden: Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, politisch Andersdenkende wurden von der Polizei verfolgt, ermordet.

Die Täter kamen zumeist ungestraft davon. Nach dem Krieg hätten sich "Cliquen und Seilschaften" von SS- und Gestapo-Leuten "gegenseitig bei der Wiedereinstellung in die Polizei geholfen". Es waren Spezialisten, die zum Teil ihren Kommissarlehrgang an der "SS-Führungsschule - Schule der Sicherheitspolizei" in Berlin Charlottenburg gemacht hatten und im BKA meist "die Charlottenburger" genannt wurden. Ein verschworener Haufen von Leuten, die Pflicht und Gehorsam auch dem Bösen gegenüber praktiziert hatten. "Altkriminalisten" wurden sie auch genannt: Staatsdiener ohne Staatsgefühl.

Das letzte Kolloquium, auf dem BKA-Mitarbeiter auch über Führungsgrundsätze und Ausbildungsinhalte in den fünfziger und sechziger Jahren sprechen werden, findet am heutigen Mittwoch in Wiesbaden statt. Konsequenz aller Befragungen wird vermutlich die Einsetzung einer unabhängigen Kommission aus Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen sein, die die Verflechtungen früherer Spitzenbeamter mit dem Naziregime untersuchen soll.

Die braunen Wurzeln des BKA

Nun hat sich die junge westdeutsche Republik nach 1949 in fast allen Sparten auf Täter, Mittäter und rasende Mitläufer gestützt. Die Funktionsträger des alten Regimes saßen in der Politik, in den Chefetagen der Wirtschaft, in Medien, in Behörden, Kirchen und Verbänden - und in der Polizei. Aus Judenverfolgern wurden praktischerweise Kommunistenjäger; wer beispielsweise Sinti und Roma verfolgt hatte, konnte munter weiter verfolgen.

Der Hauptorganisator der "Zigeuner-Transporte" im Dritten Reich beispielsweise übernahm nach dem Krieg das "Zigeuner-Referat" beim bayerischen Landeskriminalamt. Einer seiner Kollegen stellte als Referent im BKA fest: "Alle Maßnahmen und Verfolgungen haben den Lebenswillen der Zigeuner nicht zu brechen vermocht". Der Nazi-Jargon, die alten Feindbilder blieben bis in die siebziger Jahre. Verheerender noch als die ungebrochenen Karrieren waren die Mentalitäten und Überzeugungen, die der Verbrechensbekämpfung auch nach dem Krieg zugrunde lagen.

Ein strenger deutscher Beigeschmack haftet dieser Geschichtsaffäre an. So suchte Hans Globke, der Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, das Spitzenpersonal der Polizei mit aus. "Wir sollten jetzt mit der Nazi-Riecherei Schluss machen", hatte 1951 sein Chef Konrad Adenauer, der erste Kanzler der Republik, erklärt. Im Gründungsjahr des BKA wurde der Artikel 131 des Grundgesetzes verabschiedet, der die Wiedereinstellung von Beamten regelte, die wegen ihrer NS-Vergangenheit entlassen worden waren. Der Ost-West-Konflikt eskalierte, kalte Krieger waren gefragt.

Ignoranz und Besserwisserei

Diese Welle der heimlichen Amnestie erfasste auch den jungen Rudolf Augstein, der eine Weile SS-Leute und NS-Propagandisten beschäftigte. In der längsten Serie, die jemals im Spiegel erschien, "Das Spiel ist aus - Arthur Nebe" (30 Folgen), hatte sich das Blatt ab 1949 mit den Kriminalgeschichten des SS-Gruppenführers und ehemaligen Chefs des Reichskriminalpolizeiamtes Nebe beschäftigt.

Der Autor der Serie, die anonym erschien, war ein Ex-Hauptsturmführer der SS Bernhard Wehner, der Nebe einen "anständigen, ehrlichen Ausrottungshäuptling" nannte und sich für die Wiedereinstellung der "alten Sherlock Holmes" einsetzte. Augstein kommentierte 1950 die Serie: Den "heutigen Polizei-Verantwortlichen" sei "vor Augen geführt worden", dass die Kriminalpolizei "auf ihre alten Fachleute zurückgreifen muss, auch wenn diese mit einem SS-Dienstrang angeglichen worden waren".

Warum hat es so lange gedauert, bis das BKA mit den Ermittlungen in eigener Sache beginnt? Ein paar Versuche hatte es schon vor Ziercke gegeben. Der sechste BKA-Präsident, Heinrich Boge, bat 1984 einen Mitarbeiter der Behörde, die "belastende und stürmische Entwicklung des Amtes" aufzuarbeiten. Große Verdienste um Aufklärung hat sich der frühere Kriminaldirektor des BKA, Dieter Schenk, erworben, der in einer Monographie 2001 "die braunen Wurzeln des BKA" beschrieb.

Prompt warfen ihm Kritiker eine "Überdosis Moralin" oder "die Anmaßung eines normativen Absolutheitsanspruches" vor. Eher auf Ignoranz und Besserwisserei deutete eine Antwort, die 2001 das damals SPD-regierte Bundesinnenministerium auf eine einschlägige Anfrage im Bundestag gab. O-Ton: Das BKA hat "keine nationalsozialistische Vergangenheit. Es ist im Jahre 1951 gegründet worden".

Die neuen Ermittlungen des BKA in eigener Sache sind aus vielerlei Gründen verdienstvoll. Hausinterne Untersuchungen, Forschungsprojekte und öffentliche Erörterungen müssten jetzt auch bei anderen Sicherheitsbehörden wie dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) folgen, aber das kann dauern.

Der Auslandsnachrichtendienst plant schon seit etwa einem Jahrzehnt angeblich die Aufarbeitung seiner Geschichte, und beim 1950 gegründeten Inlandnachrichtendienst fehlt es angeblich an Akten. Ob die branchenübliche Mimikry durchzuhalten sein wird, ist ungewiss.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: