Biopic:Ein Grantler in der Krise

Der Spielfilm "Churchill" ist ein Porträt des jähzornigen Premierministers, eines der größten Staatsmänner Englands, während des Zweiten Weltkriegs. Außerdem geht es um die Heldinnen, die hinter ihm standen.

Von Anke Sterneborg

Die Geister vergangener Kriege verfolgen den alten Mann am Meer. Dunkelrot färbt sich die See zu seinen Füßen. Das Blut der gefallenen Soldaten von Gallipoli schwappt über seine schwarzen Schuhe. Überwältigt von der Wucht der traumatischen Erinnerungen strauchelt er. Auf dem idyllisch mit Schilf bewachsenen Strand sieht Churchill im April 1944 nur das Grau von Stacheldrahtgewirr und verkrümmten Leichen. Die Vergangenheit entzieht der Gegenwart alle Farben. "Ich darf das nicht noch einmal zulassen", murmelt der Mann, dessen gewaltige Statur brüchig wirkt. Aus der Ferne nähert sich seine Frau, um ihn nach Hause zu führen, auf den Boden der politischen Tatsachen.

Biopic: Der alte Mann und das Meer: Brian Cox als Churchill.

Der alte Mann und das Meer: Brian Cox als Churchill.

(Foto: Square One/Universum)

Er gilt als einer der größten Staatsmänner Englands, ja, der Welt, doch Regisseur Jonathan Teplitzky erzählt keine Heldengeschichte. Sein Spielfilm ist eine Momentaufnahme als Studie eines Gebrochenen in der Krise. Winston Churchill ist bei ihm ein alter, grantiger, widerspenstiger Mann, der den Jüngeren in die Quere kommt und überall wo er auftaucht, nur Kopfschütteln und Händeringen provoziert. Selbst sein treu ergebener Chauffeur und seine liebevoll zugewandte Frau Clementine (Miranda Richardson) verlieren langsam die Geduld, den Schaden zu begrenzen, den er mit seinem aufbrausenden und widerspenstigen Temperament anrichtet.

Einen Monat lang haben die Alliierten den D-Day geplant, die Großoffensive, mit der im April 1944 die Befreiung Frankreichs von Hitler eingeleitet werden soll. Da stellt Churchill plötzlich die ganze Aktion infrage und will einen neuen Plan ausarbeiten lassen, mit einem auf zwei Angriffslinien aufgeteilten Vorstoß. Der britische König, der amerikanische General Eisenhower und der britische Oberbefehlshaber Montgomery reagieren fassungslos. Doch gegen die Argumente der Oberbefehlshaber ist Churchill immun. Tatsächlich wirkt er wie ein Gefangener der Vergangenheit, und der Film erzählt davon, wie er sich in sechs langen Tagen aus dieser Sackgasse befreien lässt. Wenn der Chauffeur, die Ehefrau und schließlich sogar König George VI auf ihn einwirken, dann sieht es aus als würden sie mit einem bockigen Kind verhandeln. Ein irrer Graben öffnet sich zwischen seinem Verhalten und seiner Erscheinung, mit ausladender Statur, faltiger Haut, wässrig müden Augen, unablässig grunzend, schnaubend, polternd, eingehüllt in Whiskydunst und Zigarrenqualm. Die eigentliche Geschichte aber, die dieser Film erzählt, ist die über die Macht der Frauen, die hinter den berühmten Männern im Verborgenen das Schlimmste verhindern.

Churchill, GB/USA 2017 - Regie Jonathan Teplitzky. Buch: Alex von Tunzelmann. Kamera: David Higgs. Mit: Brian Cox, Miranda Richardson, Ella Purnell. Verleih: Square One / Universum, 98 Minuten.

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