Biographien:Rebellische Mädchen

100 Frauen machen vor, wie sie wurden, wer sie waren, weil sie der Neugier folgten, den Leidenschaften nachgaben und großmütig Fehler beurteilen.

Von Ulrike Schuster

Als hätten alle auf das Märchenbuch mit den echten Heldinnen, auf die 100 starken Frauen mit ihren aufregenden Leben gewartet. Als fänden alle die Grimmschen Märchen über mutige Ritter, die machen, und schöne Prinzessinnen, die warten, ganz nett - aber untauglich für 2017. Nie zuvor hat ein Buchprojekt über Crowdfunding so viel Geld gesammelt wie die "Gute-Nacht-Geschichten für rebellische Mädchen". Menschen aus mehr als 70 Ländern haben mehr als eine Million Euro gespendet. Die Autorinnen, die italienische Journalistin Elena Favilli und die Theaterregisseurin Francesca Cavallo, wollten, dass Mädchen über das, was ist, hinausträumen; sie ermuntern, sich die Ziele höher zu stecken, als es die Vernunft vorschreibt. Jede der 100 Frauen-Geschichten sagt den Mädchen: "Mach das, was du willst, überwinde die Hindernisse - sei eine Rebellin."

Die mexikanische Malerin Frida Kahlo ist eine der hundert. "Wozu brauche ich Füße, wenn ich doch Flügel habe", sagte sie. Selbst in Ganzkörpergips und Stahlkorsett, nach einem schweren Verkehrsunfall, malte sie weiter und wurde eine weltberühmte Künstlerin. Es gibt aber auch die Piratin von Haiti, die wohl unerschrockenste Kämpferin der Karibik im 17. Jahrhundert. Mit feuerrotem Haar führte Jacquotte Delahaye eine Hunderterschaft von Piraten an. Sie sagte: "Ich könnte keinen Mann lieben, der mir befehlen will."

Keinem Mann, dafür ihrer Depression, gehorchte die Schriftstellerin Virginia Woolf. Passierte etwas Schlimmes, war sie wochenlang traurig, nicht fähig zu funktionieren. "Ich bin verwurzelt, aber ich fließe", sagte sie. Aber weil Woolf so intensiv fühlte, schrieb sie einige der wunderbarsten Gedichte und Romane des 20. Jahrhunderts. Auch die Eiserne Lady, die Politikerin Margaret Thatcher, taucht auf. Ihr Beispiel zeigt, was ein Mädchen nicht erwarten darf: von allen geliebt zu werden. Wer regiert, braucht den eisernen Willen.

Die ältesten Vorbild-Frauen wurden vor Christus geboren, die jüngsten in den 1990er-Jahren, aber jede hat das Gleiche erlebt. Eltern, die sagen: "Was sollen die Nachbarn denken?", Unternehmen, die das "Schon-immer-so-gemacht" feiern; stumpfe Kollegen, die "Schaffst du nicht" sagen. Jede Frau erkannte: Sie kriegt nichts geschenkt. Will sie was, muss sie es sich holen. Das ist irre anstrengend.

Dabei fielen sie hin, heulten, waren traurig. Dann aber standen sie auf, zogen sich die Socken an, kämmten sich die Haare schön und machten weiter. Die hundert Frauen sind nicht deshalb fabelhaft, weil sie die Welt veränderten, sondern weil sie wussten, was ein erfolgreiches Leben will: der Neugier folgen, den Leidenschaften nachgeben und mit Großmut über Fehler urteilen.

Elena Favilli und Francesca Cavallo: Good night stories for rebell girls. Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann. Hanser Verlag, München 2017. 224 Seiten, 24 Euro.

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