Biographie: Ryszard Kapuscinski:Mein Freund Che

Reportagen aus Tausendundeiner Nacht: Der polnische Starjournalist Ryszard Kapuscinski gab sich als Vertrauter der Mächtigen - aber Dichtung und Wahrheit lagen nah beieinander.

Thomas Urban

Erst an diesem Montag kommt die Biographie Ryszard Kapuscinskis, des berühmten Reporters und in viele Sprachen übersetzten Buchautors, in die polnischen Buchläden. Doch hat sie schon eine heftige Kontroverse hervorgerufen. Denn der Biograph Artur Domoslawski demontiert in diesem Buch ein Denkmal. Das stößt vielen Polen, die stolz auf den Erfolg ihres Landsmannes gewesen waren, bitter auf.

Die Witwe des vor drei Jahren gestorbenen Reporters hat versucht, das Erscheinen des Buches mit dem mehrdeutigen Titel "Kapuscinski - non-fiction" zu verhindern. Das Gericht hat ihren Eilantrag, die Auslieferung zu untersagen, abschlägig beschieden. In der Tat hat sie bislang keine konkreten Angaben dazu gemacht, was denn an dem 560 Seiten dicken Band falsch sein solle. Es ist die fünfte Biographie, die ersten vier trugen eher hagiographische Züge.

Heimlicher Dissident

Dabei geht Domoslawski, der Auslandsreporter der linksliberalen Gazeta Wyborcza ist, ohne alle Häme vor. In nüchternem Ton stellt er die Ergebnisse seiner jahrelangen Recherchen dar. Seine These, sehr zurückhaltend formuliert: Kapuscinski, der im preis- und ordenssüchtigen Polen als "Journalist des Jahrhunderts" ausgezeichnet worden ist, habe immer wieder die "Grenzen zwischen Reportage und Literatur" überschritten. Er habe manche Passagen in seinen weltweit erfolgreichen Büchern, gepriesen als unbestechliche Berichte über die Dritte Welt sowie die zerfallende Sowjetunion, schlicht erdichtet. Nebenbei widerlegt Domoslawski das von Kapuscinski vor allem in seinen letzten Lebensjahren mit Eifer gezeichnete Selbstbild, er sei eigentlich ein heimlicher Dissident in der Volksrepublik Polen gewesen.

In Westeuropa und Nordamerika war der polnische Reporter zum Kronzeugen des linksliberalen Bürgertums geworden, das, wie er, die ehemaligen Kolonialmächte für die Zustände in der Dritten Welt verantwortlich macht. Bücher wie "König der Könige", "Schah-in-Schah", "Afrikanisches Fieber", die in Dutzende von Sprachen übersetzt wurden, hatten von zunehmend der Realität entrückten und von Hofschranzen umgebenen Alleinherrschern erzählt, die vor allem von den USA gestützt worden waren. In "Fußballkrieg" arbeitet er in großen Spannungsbögen und mit viel Kolorit heraus, wie die korrupten herrschenden Clans zweier kleiner lateinamerikanischer Länder unfähig sind, eine schließlich für beide Seiten fatale Entwicklung zu stoppen: 1976 war nach einem Länderspiel zwischen El Salvador und Honduras ein Krieg ausgebrochen.

Kapuscinski hat sich in den siebziger Jahren gerühmt, er habe in Angola dem sowjetischen und kubanischen Besatzungskontingent zugearbeitet, sich an Kämpfen mit der Waffe in der Hand beteiligt. Ob dies stimmt, konnte Domoslawski, der den Reporter gut gekannt und lange mit ihm zusammengearbeitet hatte, nicht klären. Jedenfalls hat dieser nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem großen Westschwenk Polens nicht mehr an diese Aussagen erinnert werden wollen.

Der Biograph räumt ein, der langjährige Korrespondent der staatlichen polnischen Presseagentur PAP habe die jeweiligen Herrschaftsmechanismen präzise und plastisch beschrieben. Doch habe er in nicht wenigen Fällen Aussagen und Handlungen von namentlich genannten Personen stark verzerrt dargestellt oder sogar erfunden. Der Biograph hat nämlich einige große Auslandstouren Kapuscinski wiederholt, er hat einige seiner Reportagehelden ausfindig gemacht und deren Aussagen mit den Darstellungen des preisgekrönten Meisters verglichen.

Dramaturgische Zuspitzung

So ist er zu dem Schluss gekommen, dass dieser immer wieder bewusst manipuliert habe. Eines von vielen Indizien: Als er von seinem amerikanischen Verlag gebeten wurde, die korrekte Wiedergabe aller Fakten und Zitate per Unterschrift zu bestätigen, hat er den bereits übersetzten Text nachträglich ändern lassen: Bei einigen Personen hat er den Namen ganz weggelassen, bei anderen hat er nur die Anfangsbuchstaben wiedergegeben.

Vor allem aber hat Domoslawski verstört, dass Reporterkollegen überaus zurückhaltend, sogar kühl über Kapuscinski reden. Da mag bei manchen Neid mitschwingen. Doch hält sich der Vorwurf, er habe immer wieder "die Wirklichkeit" umgebaut, wenn dies der dramaturgischen Zuspitzung seiner Texte gedient habe. Eine bekannte äthiopische Journalistin zitiert der Biograph mit den Worten, vieles in dem Buch "König der Könige" über den Sturz der Monarchie in ihrem Heimatland gehöre eher "in Tausendundeine Nacht" als in ein Sachbuch.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, in welchem Bücherregal man Kapuscinskis Werke suchen sollte.

Kontakte zum Spitzenapparat

Doch mit der Arroganz eines Stars tat Kapuscinski stets alle Einwände ab. Bezeichnend hierfür war seine Reaktion auf die Anfrage eines amerikanischen Che-Guevara-Biographen gewesen, wann er denn den kubanischen Revolutionär kennengelernt habe. Kapuscinski schrieb ihm privat, bei dem Hinweis auf seine Freundschaft mit Che auf dem Klappentext eines seiner Bücher handle es sich um einen Fehler des Verlags. Doch auch in allen späteren Ausgaben findet sich dieser Hinweis, und Kapuscinski erzählte in Interviews weiterhin von Che, als habe er diesen bei gefährlichen Unternehmungen begleitet.

Patriotische Legenden

In gleicher Weise beschrieb er als Augenzeuge das Wirken des kongolesischen Patrice Lumumba, des Freiheitshelden des schwarzen Kontinents. Sein Biograph aber konnte nun den Nachweis erbringen, dass Kapuscinski das erste Mal nach Afrika reiste, als Lumumba schon nicht mehr lebte. Auch die Episode, er sei im Kongo erst im letzten Moment vor einem Exekutionskommando gerettet worden, verortet sein Biograph unter den Rubriken Phantasie und Wichtigtuerei.

Erfunden ist auch die Geschichte, sein Vater sei aus dem Militärtransport geflohen, mit dem der sowjetische Geheimdienst im Zweiten Weltkrieg mehrere tausend polnische Offiziere in den Wald von Katyn brachte, wo sie dann erschossen wurden. Diese Legende verschaffte ihm bei seinen Landsleuten den Ruf, aus einer patriotisch gesinnten Familie zu stammen; sie trug ihren Teil dazu bei, dass ihm seine Nähe zu den Mächtigen nachgesehen wurde.

Ausgerechnet die linksliberale Polityka, die selbst nicht wenig zur monumentalen Verehrung Kapuscinskis durch seine Landsleute beigetragen hatte, druckte nun auf vier Seiten ein Interview mit Domoslawski. Er berichtet, ihm seien die ersten Zweifel an dem überlebensgroßen Reporter gekommen, als dieser auf präzise Fragen zu Schauplätzen seiner Bücher und einzelnen Stationen seines Lebens nur ausweichende Antworten gegeben habe.

Krasser Opportunismus

Dazu gehörte das unbequeme Thema seiner Beziehungen zum Zentralkomitee der kommunistischen Arbeiterpartei und zum Staatssicherheitsdienst SB, die die Presseagentur PAP streng an die Kandare genommen hatten. Ohne das Plazet des ZK und des SB hätte er nie Auslandskorrespondent werden können. Er habe sehr intensiv Kontakte zu Spitzenapparatschiks gepflegt und ihnen immer Geschenke von seinen Reisen mitgebracht, wie auch den Kulturfunktionären, die für den Verkauf der Buchrechte in den Westen zuständig waren.

Domoslawski versucht, Verständnis für Kapuscinskis Haltung zu wecken: Er habe sich arrangieren müssen, um überhaupt ins Ausland fahren zu dürfen, ganz abgesehen davon, dass der Reporter auch an das Regime geglaubt habe. Er habe nämlich den Westen zunächst nur über die Auswirkungen der Kolonialpolitik kennengelernt; es sei daher logisch gewesen, dass er den real existierenden Sozialismus verteidigt habe. Doch ist mit dieser Argumentation der Biograph selbst unter Beschuss geraten. Seine Kritiker werfen ihm nun vor, er verteidige, dass Kapuscinski sich unkritisch auf die Fraktion in der Arbeiterpartei gestützt habe, die die antisemitische Kampagne des Jahres 1968 durchgesetzt habe. Dies sei vielmehr Beleg für seinen krassen Opportunismus gewesen.

Unstreitig ist, dass der Reporter nie das System in Frage stellte. Als er unter dem Kriegsrecht in den achtziger Jahren seinen Parteiausweis abgab, war dies wohl eher nur eine Geste gegenüber den Reformern in der Partei. Manche polnischen Kommentatoren wollen nicht ausschließen, dass er dies auch im Hinblick auf seine Verlage und Leser im Westen getan habe. Jedenfalls wurde nicht bekannt, dass er sich jemals für die damals vom Regime brutal verfolgten Berufskollegen einsetzte, die ihre Hoffnungen auf die Demokratiebewegung um die verbotene Gewerkschaft "Solidarität" gesetzt hatten. Auch blieben ihm trotz seines Austritts aus der Partei alle Privilegien als staatlich bestallter Auslandsreporter erhalten.

Konkurrenzloser Reporterkönig

Nach Darstellung seines Biographen sah sich Kapuscinski in den letzten Jahren des Parteiregimes selbst als konkurrenzloser, unangreifbarer Reporterkönig. Doch habe ihm dies nicht gereicht. Er habe schließlich angestrebt, als Denker wahrgenommen zu werden, der seinen Lesern auf der ganzen Welt, philosophisch überhöht, die Mechanismen der Zeitgeschichte darlege. Ein oft nachgedrucktes Photo aus dieser Zeit zeigt, wie er, vor einer großen Karte der Sowjetunion sitzend, in die er seine Reiserouten eingetragen hat, über einem kleinen Globus in seinen Händen sinniert - ein Mittelding aus Hamlets Monolog mit dem Totenschädel und Rodins Denker.

Domoslawski berichtet, er habe bei seinen Gesprächen mit Kapuscinski den Eindruck gewonnen, dieser habe geradezu panisch die Öffnung der SB-Akten gefürchtet. Offenbar irritierte ihn auch, dass nach dem Ende des Regimes Dutzende von jungen Reportern ohne jegliche Kontrolle frei durch die Welt reisen durften, durch die bisher Kapuscinski vorbehaltene Welt. Dieser hatte nun erstmals echte journalistische Konkurrenz und verlor somit seine privilegierte Stellung, die er der Partei zu verdanken hatte, für immer.

Doch melden sich auch zahlreiche Verteidiger Kapuscinkis zu Wort: Ein paar Kratzer am Denkmal nähmen ihm nichts von seiner einzigartigen Stellung im Journalismus. Domoslawski erwidert darauf sehr zweideutig, Kapuscinski sei in der Tat ein blendender Schreiber gewesen: "Er war Künstler, er experimentierte." Dann schließt er ein vergiftetes Lob an: Ein Teil seiner Bücher gehöre nicht in die Regale für Sachbücher, sondern für Belletristik.

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