Biografie von Rose Lagercrantz:Wenn es einen noch gibt

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Rose Lagercrantz, die große schwedische Kinderbuchautorin, erzählt die Geschichte ihrer jüdischen Familie.

Fantastisch wirkliche Figuren hat die Schwedin Rose Lagercrantz im Lauf ihrer langen Karriere als Kinderbuchautorin geschaffen. Zuletzt die kleine Dunne in "Mein glückliches Leben". Gerade mal sieben, acht, neun Jahre alt sind ihre Hauptpersonen, noch voller Neugier aufs Leben, voller Glauben an die Zukunft, voller Fantasie und Witz, umgeben von Menschen, die sie lieben, aber auch von gleichgültigen, vielleicht sogar böswilligen Zeitgenossen. Rose Lagercrantz' Geschichten siedeln nicht in einer heilen Welt, aber sie ereignen sich in einer Welt, die heilbar erscheint, zumindest in den Dimensionen, in denen die Kinder unmittelbar leben. Ihre Botschaft: Wir zusammen werden die Nöte überstehen - komme, was da wolle.

Dass es wesentlich dunklere Nöte gibt als die eines Kindes der schwedischen Gegenwart, das war für die Schriftstellerin einige Male Thema einer Geschichte für Jugendliche, und ist es nun wiederum in einem Familienporträt, das sie für Erwachsene - und für sich selbst - geschrieben hat. Wenn es einen noch gibt, ein schmales Buch über Rose Lagercrantz' jahrzehntelange Versuche, ihre Familiengeschichte zu ergründen - wurde, wie alle bei uns veröffentlichten Werke der Autorin, mit bewundernswerter Empathie von Angelika Kutsch übersetzt. Bereits 1995, in Das Mädchen, das nicht küssen wollte, erzählte die Schriftstellerin von der ersten großen Liebe ihres jüdischen Vaters Georg zu der jungen Jüdin Annie Karpe, die ihm 1938 das Leben rettete, als sie ihm ein auf einen falschen Namen ausgestelltes Visum für Schweden besorgte. In der Hoffnung, Georg bald folgen zu können, blieb sie bei ihren Eltern in Prag, wurde deportiert und ermordet. Nach dem Krieg heiratete Georg in Schweden Ella, eine junge Jüdin aus dem rumänischen Sighet. Rose kam 1947 zur Welt.

Die Fragen, welche die überlebenden Eltern und nahen Verwandten den Nachgeborenen hinterließen, diese Fragen machen das Schreiben für Rose Lagercrantz zu einer Identifikations-, ja zu einer ideellen Überlebensfrage: Warum gibt es mich? "Damals", schreibt sie am Anfang ihrer Recherchen, "verstand ich noch nicht, dass es die höchste Aufgabe eines Schreibenden ist, die schwarzen Löcher des Vergessens zu füllen, die immer wieder entstehen." Befriedigende Antworten bekommt sie weder von den Eltern noch von den Verwandten. Antworten erhielt sie, wenn überhaupt, nur in Bruchstücken der Erinnerung. Hassen oder Vergessen - resümiert Rose Lagercrantz - scheinen für die überlebenden Familienangehörigen die einzigen Möglichkeiten zu sein, mit dem Leid umzugehen. Dank Rose Lagercrantz' rigoroser Wahrhaftigkeit und ihrer literarischen Fingerfertigkeit verknüpft dieses Skizzenbuch die gesellschaftliche Dimension dieser größten Tragödie des 20. Jahrhunderts mit dem individuellen Leben bürgerlich-jüdischer Familien. "Meine Seele war ein bisschen grau, weil so viel Unglück geschehen war. Aber jedes Mal, wenn ich ein Kinderbuch schreibe, erlebe ich eine neue Kindheit, dann gibt es für mich nur ein Ziel: Ich muss zu einem Happy End kommen, das keine Lüge ist. Es muss irgendwie geschehen können."

Rose Lagercrantz: Wenn es einen noch gibt. Ein Familienporträt. Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch. persona verlag Lisette Buchholz 2015. 176 Seiten, 17,50 Euro.

© SZ vom 29.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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