Biografie:Bis das Herz sich vollkommen erschöpft

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Manfred Mittermayer: Thomas Bernhard. Eine Biografie. Residenz Verlag, Salzburg 2015. 454 Seiten, 28 Euro. E-Book 19,99 Euro. (Foto: N/A)

Ein geborener Außenseiter, ein Nichtgewollter. In der dichten und diskreten Biografie von Manfred Mittermayer erlebt man den Wortwüterich Thomas Bernhard noch einmal in Aktion.

Von Frauke Meyer-Gosau

Was für eine grandiose, so rasante wie rücksichtslose Schriftsteller-Erfolgsgeschichte - und wie todtraurig, trostlos im Wortsinn, dabei von Anfang bis zum Schluss. Da ist zuerst ein Kind, Ergebnis einer Vergewaltigung, das seit seiner Geburt am 9. Februar 1931 im niederländischen Heerlen nur herumgeschoben und herumgestoßen wird (später wird es vonseiten eines österreichischen Ministers heißen, der aufgrund einer Arbeitsstelle seiner Mutter in Holland Geborene sei ja überhaupt ein Ausländer, er habe mit Österreich gar nichts zu schaffen und verdiene folglich auch dessen Stipendien und Preise nicht).

Den Vater, einen Bauernsohn, Tischler und Taugenichts, der früh stirbt, lernt der Junge nicht kennen. Der Großvater, der, aus einfachsten Verhältnissen stammend, in der Vorstellung lebt, ein Schriftsteller zu sein und wegen der wütig betriebenen Arbeit an seinem Werk seine Ehefrau und dann auch die Tochter zwingt, ihn ökonomisch zu unterhalten, ja, ihm ihr gesamtes Leben unterzuordnen (und der 1937 für seinen Roman "Philomena Ellenhub" nach Jahrzehnten der Erfolglosigkeit und Armut, auf Vermittlung seiner zeitweiligen Nachbarn Carl und Alice Zuckmayer, den Großen Österreichischen Staatspreis erhält) - dieser Tyrann und Alles-besser-Wisser wird zur männlichen Identifikationsfigur des Jungen; es ist auch schlicht niemand anders da.

Die Mutter heiratet in Österreich einen Friseurgesellen, bekommt zwei weitere Kinder. Thomas Bernhard bleibt in der neuen Familie das fünfte Rad am Wagen: ein Bettnässer, in der Schule verhaltensauffällig, von der Mutter gehasst. Man zieht mitsamt den Großeltern ins bayerische Traunstein, der Zwölfjährige wird in ein NS-Erziehungsheim für Schwererziehbare verschickt, von 1944 an zum Schulbesuch nach Salzburg. 1947 bricht er das Gymnasium ab, beginnt eine Kaufmannslehre, die er aber wegen einer verschleppten Grippe und daraus folgenden nassen Rippenfellentzündung - die Ärzte haben ihn schon ins Sterbezimmer des Krankenhauses schieben lassen - nicht beenden kann. Es folgt die Phase der lebensbedrohenden Krankheiten: Lungentuberkulose, Aufenthalte in Sanatorien und Heilstätten, dann Morbus Boeck; an der sich daraus entwickelnden Herzerweiterung wird Thomas Bernhard am 12. Februar 1989, gerade 58 Jahre alt geworden, sterben.

Einer, der an Hassliebe zu Österreich krankt und die Welt lustvoll daran teilnehmen lässt

Wie aber kann aus jemandem mit dieser Frühgeschichte der Abweisung und Ausgrenzung, nach zwei missglückten Selbstmordversuchen sowie Karriereanläufen als Sänger, Journalist, diplomierter Schauspieler und Regisseur, in den Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller, schließlich ein Weltautor werden - in Lyrik, Prosa und Drama? Einer, um dessentwillen sich Ingeborg Bachmann überlegt, nach Österreich zurückzukehren und dort in seine Nähe zu ziehen (im Roman "Auslöschung" setzt Bernhard ihr ein Denkmal). Einer, von dem so unterschiedliche amerikanische Kollegen wie William Gaddis, Paul Auster, Louis Begley oder Don DeLillo schwärmen.

Und einer "naturgemäß", der mit den meisten Zeitgenossen in glühender Feindschaft lebt, immer wieder Skandale verursacht, dessen Roman "Holzfällen" nach einem Gerichtsurteil eingezogen wird, dessen Preisverleihungen in Provokation und Aufruhr enden und dessen Uraufführungen zu Presseschlachten führen. Einer, der am Morbus austriacus, der nicht kurierbaren Hassliebe zu Österreich, krankt und die Welt lustvoll daran teilnehmen lässt.

Manfred Mittermayer hat dem bekennend geldgierigen, die längste Zeit durch Haus- und Wohnungskäufe hoch verschuldeten und seine Verleger mit Drohungen, dreisten Forderungen und gebrochenen Versprechen zur Verzweiflung treibenden Wortwüterich jetzt eine umfangreiche Biografie gewidmet, mit schier unermüdlichem Fleiß im Auffinden von Quellen, Dokumenten sowie Äußerungen verschiedenster Zeitzeugen. Durch Akribie und einen so klug wie behutsam ordnenden Zugriff auf die enormen Datenmengen besticht diese Arbeit allemal.

Vor allem aber hat sich Mittermayer zu Diskretion sowie, in der Darstellung, zu programmatischer Ruhe und Ausgeglichenheit entschlossen. So kommen etwa die eigentümlichen Frauen-Beziehungen Bernhards zwar vor, seine bisexuelle Orientierung wird erwähnt, doch bildet dergleichen nur die Hintergrund-Schattierung einer Lebens- und Werkgeschichte, die in ihrem Kern tumultuarisch genug ist: Der große "Bezichtiger" Bernhard eilt von Suada zu Suada, verfällt vom Angriff in Zerknirschung und dann wieder in neuerliche Attacken - der Biograf sammelt und ordnet, in allem Bedacht. Am Ende habe ein "vollkommenes Sich-Erschöpfen des Herzens" gestanden, "ein vollkommenes Sich-Verbrauchen und Auslöschen", sagt der Halbbruder Peter Fabjan, der über ein Jahrzehnt lang auch Thomas Bernhards Arzt war.

So wie Manfred Mittermayer sie vor uns hingestellt hat, lesen wir dies als die kürzestmögliche Zusammenfassung der Lebensgeschichte selbst.

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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