Bin Laden Biografie:Die schwarze Sphinx

Roland Jacquard hat eine Biografie Osama bin Ladens geschrieben

JOHANNES WILLMS

(SZ, v. 26.09.2001)

Bin Laden Biografie: Wie eine Spinne scheint bin Laden in einem Netz zu sitzen, dessen unsichtbare Fäden die ganze Welt umspannen und bis in die heiligsten Heiligtümer der globalisierten Gottesleugner reichen.

Wie eine Spinne scheint bin Laden in einem Netz zu sitzen, dessen unsichtbare Fäden die ganze Welt umspannen und bis in die heiligsten Heiligtümer der globalisierten Gottesleugner reichen.

Je mehr Einzelheiten über Werden und Wesen des Osama bin Laden bekannt werden, desto größer wird das Rätsel, das diese charismatische Figur des Terroristen mit den sanft-traurigen Augen umwittert. Was der französische Sicherheitsexperte Roland Jacquard an Fakten und Vermutungen in seinem "Geheimdossier über den meistgesuchten Terroristen der Welt", so der Untertitel seines soeben in Paris erschienenen Buchs "Au Nom d'Oussama ben Laden" (Verlag Jean Picollec, 180 Francs), zusammengetragen hat, ist sehr beeindruckend, bestürzend, erhellend. Letzten Endes aber gelingt es auch Jacquard nicht, mittels der Aufklärung, die er im Schilde führt, die numinose Drohung, die von bin Laden ausgeht, zu zerstören, geschweige Strategien aufzuzeigen, die ihm das Handwerk legen könnten. Eine solche Erwartung ist aber seit den Ereignissen des 11. September übermächtig, und es ist nur noch eine Frage von vermutlich wenigen Tagen, dass die politisch Verantwortlichen deren Druck standhalten können.

Umso verstörender ist aber die Wirkung des Buches, das in einem notwendig unscharfen Röntgenbild eine Anatomie des Bösen zeigt, das in jenem bärtigen Turbanträger inkarniert ist, der sich offenbar irgendwo in der Bergwelt Afghanistans versteckt hält. Wie eine Spinne scheint bin Laden in einem Netz zu sitzen, dessen unsichtbare Fäden die ganze Welt umspannen und bis in die heiligsten Heiligtümer der globalisierten Gottesleugner reichen, als welche ihm, dem zelotischen Moslem, die Protagonisten erscheinen, die global players der amerikanisch geprägten westlichen Zivilisation.

Ein weiteres Erschrecken, das dieses Buch auslöst, ist die Erkenntnis der bis zum 11. September weithin vorherrschenden Sorglosigkeit angesichts der Gefahren, die sich seit langem schon zusammenbrauten und die sich in vielen Anzeichen bemerkbar machten, von denen Jacquard einen ganzen Katalog aufstellt. Die bisher verbreitete Ignoranz - sei es aus schierer Wurschtigkeit oder aus falscher Selbstsicherheit, wofür einem jetzt mit bislang unvorstellbarer Brutalität die Augen geöffnet wurden, oder aus der Überlegung heraus, dass man den Gang der Welt und der Geschäfte nicht durch Hysterie stören dürfe - diese Ignoranz könnte schlimmstenfalls in eine Einsicht umschlagen, die die Legitimität unserer offenen Gesellschaften grundsätzlich infrage stellte. Innerhalb dieses Horizonts eines worst case scenario für die westliche Zivilisation muss man die Drohung, die von einem Osama bin Laden ausgeht, spätestens seit dem 11. September und die in ihrer Dimension noch längst nicht abschätzbaren Nebenfolgen sehen.

Die Person Osama bin Ladens, sein Herkommen aus einer weit verzweigten saudischen Unternehmerfamilie - angeblich ist er eines von 54 Geschwistern und Halbgeschwistern - , die ein Milliardenvermögen anhäufte, das aus Petrodollars gespeist wurde, tut dabei wenig zur Sache. Wichtig ist allein, dass es ihm gelang, vermutlich gestützt auf seinen Anteil an diesem Vermögen, zu einer Symbolfigur zu werden, in der sich die Hoffnungen und Erwartungen unterschiedlicher muslimischer Gruppen fokussieren. Deren gemeinsamer Nenner ist der Hass auf die westliche Zivilisation und vor allem deren Symbolmacht, die USA. Dem kommt entschieden entgegen, dass der Islam auch eine Erwartungs- Religion sein kann. Darin spricht sich ein seit Jahrhunderten genährtes Sehnen aus nach dem Kalifat, dem gleichermaßen spirituell-religiösen wie militärischen Führer, der die Weltherrschaft von Gottes Gesetz, wie es im Koran aufgezeichnet ist, verwirklicht. Diese Sehnsucht, auf die schon ein Napoleon spekulierte, als er wiederholt sagte, der Orient warte nur auf einen Mann, eine Führerfigur, hat sich in dem Maß radikalisiert, wie die Erfahrung der Muslime, in der Modernisierungsfalle zu sitzen, zunahm.

Die überwältigende Faszination, die von bin Laden auf viele radikale Muslime ausgeht, erklärt sich daraus, dass er keine religiös-charismatische Führerfigur wie beispielsweise Ayatollah Khomeini abgibt, sondern die behauptete und inbrünstig geglaubte spirituelle Überlegenheit des Islams über den dekadenten Westen durch spektakuläre Terrortaten praktisch unter Beweis stellt. Damit weist er einen Weg aus jener Modernisierungsfalle, in der sich sowohl die rückwärts gewandten Taliban, die um jeden Preis die Ungleichzeitigkeit ihres Mittelalters behaupten wollen, als auch jene Muslime gefangen wähnen, die zwar für ihr eigenes Fortkommen von der westlichen Zivilisation profitierten, aber dennoch an einem Unterlegenheitsbewusstsein zu leiden scheinen.

Für das westliche Denken ist überaus schwer nachvollziehbar, dass allein das Versprechen, einen Ausweg zu weisen, die dominante Rolle bin Ladens ausmacht. Der Mann vertritt keine systematische Ideologie, sondern handelt lediglich aus einer in fundamentalem Hass auf den Westen verwurzelten Überzeugung, die durch ihre Umsetzung für die "Gläubigen" den Beweis erbringt, sie von ihren Ängsten und Komplexen befreien zu können. Allein das erklärt, wie Roland Jacquard überzeugend zu belegen vermag, die große Flexibilität, die Effizienz wie die den spähenden Augen des Westens sich weit gehend entziehende Unübersichtlichkeit des von seinem Beispiel inspirierten islamistischen Terrorgeflechts. Dabei handelt es sich bekanntlich nicht um ein hierarchisch organisiertes Netzwerk, in dessen Kommandozentrale bin Laden alle Fäden in der Hand hielte, sondern um ein Zusammenspiel höchst unterschiedlicher Gruppierungen, die, und das ist das besonders Infame, sich keineswegs alle offen wie die Hisbollah oder die algerische GIA zu terroristischen Mitteln bekennen. Zu ihnen gehören, wie Jacquard ausführt, auch viele der Koranschulen in aller Welt oder islamische Wohlfahrtsorganisationen, die als Steigbügelhalter fungieren, sich für die Übermittlung von Nachrichten nutzen lassen, indoktrinieren oder aus purer Gefälligkeit allerhand Hilfen gewähren.

Auf die große Frage, ob Osama bin Laden der Chef einer "islamistischen Galaxie des Terrors " oder nur der Guru einer mehr nebelhaften als wirklichen terroristischen Internationale des fundamentalistischen Islam ist, gibt Roland Jacquard die scheinbar paradoxe Antwort: "Die Bedeutung von Osama bin Laden ist in Wirklichkeit weit geringer, gleichzeitig jedoch viel größer. Er ist vor allem ein Erneuerer des Pan-Islamismus, einer, der es sich angelegen sein lässt, die Sunniten und die Schiiten zu vereinigen, und er ist der geistige Führer der mächtigen 'Bruderschaft Bin Laden', die bis heute vor allem mit terroristischen Attentaten hervortrat. Er bekleidet weder als Militärchef noch als Ideologe noch als religiöser Führer irgendein Amt, aber sein Einfluss ist gleichwohl umfassend und wirklich. Er fordert nie etwas, aber er hat immer einen Kämpfer zur Hand, der darauf brennt, ihm einen Gefallen zu tun. Er selbst gibt nie präzise Anweisungen, aber er kann sich stets auf einen Mudschahed irgendwo auf der Welt verlassen, der blindlings dem folgt, was er für einen Befehl hält, ja seine Wünsche schon im voraus zu erfüllen sucht."

Auf welche strukturellen und mentalen Voraussetzungen sich Bin Laden dabei stützen kann, schildert Jacquard im siebten Kapitel seines Buches, in dem er die Genese seines Einflusses in der islamischen Welt seit der Niederlage der Sowjetunion in Afghanistan nachzeichnet. Dieses Kapitel lässt die möglichen Dimensionen jenes Kampfes erahnen, mit dem sich die westliche Welt seit dem 11.September konfrontiert sieht und der sich seiner schieren Größe wegen allein mit militärischen Mitteln nicht wird führen lassen.

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