Bill Cardoso:Der Pate des Gonzo

Gonzo-Journalismus kennt man vor allem von Hunter S. Thompson. Ein Mitbegründer des Gonzoismus ist nun wieder zu entdecken: Bill Cardoso.

Von Sofia Glasl

Bill Cardoso: Bill Cardoso: Das Massaker im Goldenen Drachen. Bandenkrieg, Kidnapping und Helden. Aus d. Englischen von Norbert Hofmann und Franz Dobler. Edition Tiamat, Berlin 2017. 238 Seiten, 20 Euro.

Bill Cardoso: Das Massaker im Goldenen Drachen. Bandenkrieg, Kidnapping und Helden. Aus d. Englischen von Norbert Hofmann und Franz Dobler. Edition Tiamat, Berlin 2017. 238 Seiten, 20 Euro.

Mit Essen haben Malteser Sandwiches nicht vorwiegend zu tun. Zumindest nicht in den Reportagen des Journalisten Bill Cardoso (1937 - 2006). Vielmehr sind sie der Inbegriff seiner Gonzo-Attitüde, die man vor allem Hunter S. Thompson zuschreibt. Die Legende geht so: Cardoso las Thompsons Bericht über das Kentucky Derby, und schrieb ihm einen begeisterten Brief: "Das ist Gonzo!" Ob das stimmt? Ist im Prinzip egal, gerade das macht ja Gonzo aus - Fakten und Fiktion verschwimmen ununterscheidbar ineinander, die Objektivität des Reporters macht assoziativer Erzähllust Platz.

Anders als Thompson blieb Cardoso eher unbekannt. Er schrieb zwar für bekannte Zeitungen und Magazine wie den Boston Globe und Rolling Stone, veröffentlichte aber nur ein einziges Buch: Eine Sammlung ausgewählter Reportagen aus den 1960er- und 70er-Jahren erschien 1984 unter dem Titel "The Maltese Sangweech & Other Heroes". In "Das Massaker im Goldenen Drachen" sind sechs dieser Reportagen auf Deutsch versammelt (auch die bereits vorliegende über den Ali-Foreman-Kampf in Kinshasa, "Rummel im Dschungel").

Um in den Restaurants bei Mafialeuten nicht aufzufallen, trinkt er Martinis wie Wasser

Es geht oft um Verbrecher und Gangster. Und die mit italienischem Akzent ausgesprochenen Malteser Sandwiches? Sie sind Titel zweier semifiktionaler Restaurantkritiken, und eine Verneigung vor Dashiell Hammetts Roman "Der Malteser Falke" aus der Unterwelt von San Francisco. Cardoso indes begab sich mit einem jungen Kollegen in zwei italienische Restaurants in San Francisco, um deren Pasta und Mafiaverbandelungen unter die Lupe zu nehmen.

Schnell verwirft er den Vorsatz, rational und nüchtern an die Sache heranzugehen, und trinkt Martinis wie Wasser - um nicht aufzufallen, selbstverständlich. Und aus Angst, von den vermeintlichen Mafiosi als Journalist enttarnt zu werden!

Cardoso ist ein genauer Beobachter und Rechercheur, der Zusammenhänge erkennt. Das klingt dann braver als bei Hunter S. Thompson, seltener verfallen die Texte in drogeninduzierte Gedankenströme. Cardoso berichtet vielmehr rückblickend von der eigenen Paranoia und von psychedelischen Begegnungen mit den Zaungästen der Ereignisse, über die er schreiben sollte, Kellnern und Ladenbesitzern, Politiker und Polizei. Das macht die jahrzehntealten Berichte über "Bandenkrieg, Kidnapping und Helden" auch heute noch lesenswert, vermittelt Cardoso doch das Gefühl, mit dabei gewesen zu sein.

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