Bildergalerie:Traurig schön

Eigentlich sollten sie Waren anpreisen, die Schaufensterpuppen vom Hollywood Boulevard in Los Angeles, aber der Fotograf Eckhart Schmidt hat etwas anderes in ihnen entdeckt. Die Bilder.

14 Bilder

Eckhart Schmidt, "Window Girls"

Quelle: SZ

1 / 14

Eigentlich sollten sie Waren anpreisen, die Schaufensterpuppen vom Hollywood Boulevard in Los Angeles, aber sie blicken am Passanten vorbei, verstummt und wissend, als hätten sie alle Ekstase und alle Schmerzen der Stadt als stumme Beobachter erlebt.

Eckhart Schmidt setzt den Puppen in seinem Bildband "Window Girls" ein Denkmal. Der in Sternberg/Mähren geborene und in Süddeutschland aufgewachsene Autor, Regisseur und Fotograf hat drei Jahre lang daran gearbeitet, das in Bildern festzuhalten, was dem Untergang geweiht ist: Die Schaufensterpuppen der Bekleidungs-Shops für so genannte "leichte Mädchen", Stripperinnen, Pooldancer. Denn heute ...

Alle Fotos: Eckhart Schmidt

Text: Sarah Ehrmann

Eckhart Schmidt, "Window Girls"

Quelle: SZ

2 / 14

... sehen die meisten Schaufenster auf dem rund zwei Meilen langen Abschnitt des Hollywood Boulevards so aus: 6711 Cinderella - Everything must go! "Alles muss raus"-Plakate verdecken die Schaufenster. Bald werden die Bekleidungsshops neuen Geschäften und Wohnhäusern weichen müssen, der Boulevard wird zu einer Einkaufsstraße.

Die schäbigen, schon fast vergessenen Läden, die man als eine der vielen Subkulturen L.A's betrachten kann, werden aufgelöst - die Puppen, die seit den Vierzigerjahren den Hollywood Boulevard säumten, abgebaut.

Eckhart Schmidt, "Window Girls"

Quelle: SZ

3 / 14

Deshalb will Schmidt die Schönen in ihrem "natürlichen" Umfeld abbilden. Die makellosen Körper und ausdruckslosen Gesichter, die nicht nur als Projektionsfläche für Kleidung und Schmuck, sondern auch für Wünsche und Sehnsüchte dienen, werden auf den Fotos des Künstlers von den Glasscheiben wiedergespiegelt, in denen sich gleichzeitig die Außenwelt bricht.

Eckhart Schmidt, "Window Girls"

Quelle: SZ

4 / 14

Aus dem Schaufenster eines Perückengeschäftes: Die wilden feuerroten Haare der Puppe umschmeicheln ihr Gesicht wie Lavaströme. Der Gesichts-Ausdruck: schmerzlich-resigniert. Der Oberarm: getackert. "Der Puppe fährt ein Auto durch den Kopf", weist Schmidt den Zuschauer an, noch genauer hinzuschauen.

Eckhart Schmidt, "Window Girls"

Quelle: SZ

5 / 14

Der Fotograf nutzt das Vexierspiel zwischen Kunst und Realität, indem er die Spiegelungen des Glases in seine Fotografien einbezieht. In manchen Bildern liegt das Hauptaugenmerk gar mehr auf dem sich spiegelnden Boulevard als auf den "Window Girls":

Hier scheint das blaue "Hollywood"-Schild im Hals der brünetten Schönheit zu stecken, das Feuerwehrauto rechts fährt aus ihrem Brustkorb heraus, der Shop "Roma" im Hintergrund wird in der Spiegelung zu "Amor" - ein Hinweis auf die käufliche Liebe, deren Bekleidung die Puppe zur Schau stellt.

Eckhart Schmidt, "Window Girls"

Quelle: SZ

6 / 14

Das Chinese-Theater als Kopf - Realität und Traum scheinen zu verschmelzen, das illusionistische Spiegelspiel kommt zum Höhepunkt: Das Gebäude wirkt wie ein fernöstlicher Samuraihelm. Die eigentlich kopflose Puppe verwandelt sich in eine Kriegerin des vorindustriellen Japan.

Eckhart Schmidt, "Window Girls"

Quelle: SZ

7 / 14

Eckhart Schmidts Fotos werden nach eigenen Aussagen nicht mit Photoshop bearbeitet. Auch die Ausschnitte verändert er nicht. Alles soll so bleiben, wie vom Augenblick kreiert. Tausende von Fotos hat Schmidt auf diese Weise in den vergangenen drei Jahren produziert. Woher diese Manie? "Die Puppen sehen aus, als hätten sie alles gesehen, was es auf dem Boulevard zu sehen gibt. Sie bleiben dennoch stets Beobachter, deren Blick sich im Nirgendwo verliert. Unbewegt und doch voller Geschichte", erklärt der Künstler den Reiz, der für ihn von den Unbeweglichen ausgeht.

In seinem Bildband "Window Girls" geht es es daher alles andere als unbewegt zu: Nicht nur die Puppen verändern ihr Kleid, sondern auch die Bäume, die sich in den Schaufenstern spiegeln, wechseln ihr Blätterkleid mit der Saison. Die Jahreszeiten scheinen mit den Puppen zu spielen.

Eckhart Schmidt, "Window Girls"

Quelle: SZ

8 / 14

Dennoch wird die Fotoserie von einer düsteren Grundmelancholie bestimmt. Der Künstler, der unter anderem durch seine Arbeit an einer Verfilmung von E.T.A Hoffmanns "Der Sandmann" eine Beziehung zu Puppen aufgebaut hat, will durch seine Fotografien die Tristesse und Morbidität des Mythos Hollywood aufdecken.

In diesem Bild richtet sich der Blick des Betrachters zuerst auf die staubige, befahrene Straße und den jungen Mann an der Laterne. Erst auf den zweiten Blick sieht man die beiden Puppenköpfe, die die Szenerie stumm zu beherrschen scheinen. Sie stehen über den Dingen, unbeeindruckt, unbewegt, teilnahmslos.

Eckhart Schmidt, "Window Girls"

Quelle: SZ

9 / 14

Von diesem Bild wollte sich der Fotograf um keinen Preis trennen - obwohl es nicht so richtig in die Fotoserie passt: "Aus einer bestimmten Perspektive sah es so aus, als würde das Zelluloid Marilyn erhängen. Man steht lange davor und sucht die richtige Perspektive - ich suche solche Sachen", erklärt der Künstler bereitwillig. Mit den Gästen seiner Ausstellung lässt er sich gerne auf weitere Entdeckungsreisen durch seine Bilder ein. Hier ist er sich sicher: Das Zelluloid stehe stellvertretend für die Filmindustrie, und diese brachte die schöne Schauspielerin um. Ihr trauriges Hollywood-Schicksal wird von der lachenden Papp-Marilyn, die in dem schäbigen Schaufenster von rosa Plüsch-Pudeln umringt wird, persifliert.

Eckhart Schmidt, "Window Girls"

Quelle: SZ

10 / 14

"Was denken Sie denn, wie lange es dauerte, die richtige Perspektive für dieses Bild zu finden?", fragt der Fotograf den Betrachter. "Stunden." Der Kopf der Schaufensterpuppe scheint die Krone des Baumes zu sein, der Hals ist verschwunden, der Baumstamm an seine Stelle gerückt.

Die Puppe hat ihre Bestimmung verloren, ist eins geworden mit der Natur, entrückt ihrem Schaufenster. Ihr bisheriger Sinn, Kleidung, Schmuck, Schönheit zu verkaufen, wurde scheinbar ausgetauscht gegen eine höhere Aufgabe: Eine Baumkrone zu sein.

Mit diesen Bildern möchte Eckhart Schmidt einen Teil des Hollywood Boulevards zurück erobern, der den meisten Passanten verborgen bleibt: die Erkundung zu Fuß. Der Boulevard ist längst eine Autostraße geworden, die vorbeihetzenden Einkäufer werfen höchstens kurze, unbedachte Blicke in die Fenster der Subkultur.

Eckhart Schmidt, "Window Girls"

Quelle: SZ

11 / 14

Dabei scheint es hier einiges zu entdecken zu geben - wenn man sich, wie Schmidt, intensiver mit den Einblicken auseinandersetzt: Auch hier führt der Baum auf der anderen Straßenseite zufällig das Muster der Jacke weiter und kleidet die Puppe mit einem Blätterkragen nach Jugendstilart ein.

Rund zwanzig Bekleidungs-Shops für "leichte Mädchen" findet man entlang des Boulevards. Daneben vor allem Geschäfte für Rap-Musik und -Mode. Der Hollywood Boulevard beginnt am Sunset Boulevard und verläuft in Richtung Nordwest zur Vermont Avenue.

Eckhart Schmidt, "Window Girls"

Quelle: SZ

12 / 14

Noch eine Natur-Schönheit: Das Laub eines Boulevard-Baumes umrahmt den Kopf der Puppe wie eine Krone. In Kleidern mit knallbunten Tattoo-Motiven im Stil der japanischen Yakuzza und der Biker-Mode à la Ed Hardy wirkt die Puppe wie die heimliche Königin des Boulevards. Dass zwei Autos durch ihren Bauch fahren, scheint sie gekonnt zu ignorieren.

Der Begriff "Girl" habe Schmidt seit jeher fasziniert, schreibt Hans Schifferle im Vorwort des Kataloges zu "Window Girls". "Das 'Girl', verstanden als mystery-Wesen, als Rebellin gegen alles Herkömmliche und Vorhersehbare, als melancholy baby auch, das mit Francois Sagan die Tristesse begrüßt, und sei es nur, um zu beweisen, dass es keine Schönheit geben kann, außer Traurigkeit."

Eckhart Schmidt, "Window Girls"

Quelle: SZ

13 / 14

Viele Motive aus der Window-Girls-Serie sind asiatisch angehaucht - sie geben Schmidts Vorliebe für Ritus, Maske und das asiatische Kino wieder. Der Fotograf möchte damit dem "exotischen Orientalismus" folgen, den er zurzeit als Trend in Kalifornien wahrnimmt.

Eckhart Schmidt, "Window Girls"

Quelle: SZ

14 / 14

Viele der Puppen sind nur halb bekleidet - diese Puppe trägt dazu zwei ganz besondere Accessoires: Zwei Palmen scheinen auf ihren Schultern zu trohnen.

Wehe, wenn die Puppen freikämen, wenn ihre Sehnsüchte freigesetzt würden. Noch sind sie durch ihre Bondage-Accessoires ruhig gestellt. Auf den Fotografen wirken sie wie Gefangene. Seine Fotoserie, so hofft er, haucht ihnen Leben ein.

Vom 29. April 2008 an sind Eckhart Schmidts "Window Girls" vier Wochen lang in der Galerie Stephen Hoffmann in München ausgestellt

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: