Charlotte Roche:Monogamie - ein riesiger Fehler

Sie ist die Fürsprecherin der vom Hygienewahn gequälten Frauenwelt und polarisiert nur zu gerne die Post-Alice-Schwarzer-Generation - sei es mit dem aufgrund von Fadenwürmern verschobenem Bordellbesuch oder dem Bruch der Monogamie. Nun meldet sich Charlotte Roche mit ihrem neuen Roman "Schoßgebete" zurück. Eine ungewöhnliche Karriere in Bildern.

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Sie ist die Fürsprecherin der vom Hygienewahn gequälten Frauenwelt und polarisiert nur zu gerne die Post-Alice-Schwarzer-Generation - sei es mit dem aufgrund von Fadenwürmern verschobenem Bordellbesuch oder dem Bruch der Monogamie. Nun meldet sich Charlotte Roche mit ihrem neuen Roman "Schoßgebete" zurück.

Es war vor sechs Jahren, als sich die quirlige Extrovertierte zusammen mit Christoph Maria Herbst auf Lesereise quer durch Deutschland begab und Auszüge einer Dissertation von Theimuras Michael Alschibaja aus dem Jahre 1978 mit dem vielsagenden Titel "Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern" vortrug. Ausverkaufte Konzerthallen, grölendes Publikum - der Siegeszug des Phänomens Charlotte Roche begann.

Dabei hat die Karriere der heute 33-jährigen ganz harmlos begonnen. Roche wurde 1998 Moderatorin der Sendung "Fast Forward", die sich auf die sogenannte alternative Szene konzentrierte, beim Musiksender VIVA 2.

Doch schon innerhalb kürzester Zeit plauderte sich Charlotte Roche zum Aushängeschild des Senders hoch, wurde 2001 für ihren "kompetenten und doch eigenen Moderationsstil" für den Adolf-Grimme-Preis nominiert, bekam ihn drei Jahre später. Harald Schmidt bezeichnete Roche für ihre unkonventionelle Art der Interviewführung als "Queen of German Pop Television".

Text: Sarah Ehrmann/Christin Müller/sueddeutsche.de

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Bald bestätigt sich Roche als Autorin. Mit ihrem Erstlingswerk "Feuchtgebiete", einem Plädoyer gegen Intim-Hygiene-Stress und Körpersekret-Phobien, vertritt Charlotte Roche einen Sex-positive feminism - und wettert auch schon mal gegen Bilderbuch-Feministin Alice Schwarzer: "Frau Schwarzer möchte Sadomaso-Sex verbieten. Frauen sind aber total masochistisch, das wird auch sie nicht mehr ändern können. Ich habe keine Lust, Frau Schwarzer um Erlaubnis zu fragen, bevor ich im Bett richtig loslege", maunzte Roche in einem Interview.

Bei den "Feuchtgebiete"-Lesungen, mit denen die 30-Jährige quer durch Deutschland tingelte, sollen angeblich schon Besucher in Ohnmacht gefallen sein.

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Roche, Ausriss: Zeit-Magazin

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Eine Rächerin der Entrechteten außer Rand und Band im Morast der Fluide: Für die 22. Ausgabe des Zeit-Magazins vom 22. Mai 2008 flanierte Charlotte Roche in Höschen und Hemdchen dreckverschmiert durch "Deutschlands Feuchtgebiete". Dass "Miss Germany", wie das Zeit-Magazin titelte, durch die Talkshows braust, daran hatten wir uns ja inzwischen schon gewöhnt - aber jetzt auch noch halbnackt als Fotostrecke?

Ausriss: Zeit-Magazin

Roche, Ausriss: Bildzeitung

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In der Öffentlichkeit gibt sich Roche grundsätzlich hemmungslos: Vor fünf Jahren präsentierte sie bei "Harald Schmidt" vor laufenden Kameras eine Zahnlücke - ihr fehlt ein Schneidezahn. Spontan pulte sie die Zahnprotese aus ihrem Mund. "Man sieht doch sofort aus wie so 'ne asoziale Alkoholikerin, ne?", lispelte sie und erzählte von galoppierender Parodontose und Damm-Massagegeräten für schwangere Frauen. Da war sogar der geübte Showmaster verblüfft. Als Krönung setzte das Showtalent noch eins drauf - indem sie die Prothese in die Luft warf, mit dem Mund auffing und mit der Zunge wieder an die richtige Stelle dirigierte.

In der Sendung trug Roche übrigens ein schwarzes Kleid mit einem Schriftzug der Bild-kritischen Watchblogs Bildblog.de. Denn Roche ...

Ausriss: Bildzeitung

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... ist bekennende Kritikerin der Bildzeitung und fühlt sich als Opfer der Boulevard-Presse. Einen Tag vor ihrer für den 30. Juni 2001 in London geplanten Hochzeit war nämlich das Fahrzeug von Roches Mutter in Belgien auf dem Weg zur Feier verunglückt und Roches drei Brüder kamen ums Leben. Ein Journalist, der sich Roche gegenüber als Bild-Reporter ausgab, habe daraufhin ein Interview mit Charlotte Roche erzwingen wollen und drohte mit negativer Berichterstattung. Trotz der Weigerung von Roche, ein Interview zu geben, gab es im Folgenden keine negative Berichterstattung, vielmehr bestritt die Bild, mit den Vorkommnissen etwas zu tun habe.

"Die Bildzeitung habe ich noch nie ernst genommen", sagte Roche in einem Interview.

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Roche, dpa

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Die guten alten Zeiten: Die Viva-Moderatorinnen Jessica Schwarz, Milka und Charlotte Roche (von rechts) zusammen mit Martina Bruder (oben) von der Viva-Geschäftsführung und Stefan Kauertz (links), Viva-Fernsehen-Programmdirektor. 2001 hatte der Musikkanal Viva eine umfangreiche Programmreform in Angriff genommen, bei der alle Sendungen des damaligen Senders Viva 2 in das neue Sendeschema integriert werden sollten. Doch schon 2004 wurde Roches Sendung "Fast Forward" abgesetzt. Roche trat daraufhin in einen Fernsehstreik und verweigerte auch die Moderation der letzten noch geplanten Folgen.

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Sie wechselte zu Arte und übernahm die monatliche Musiksendung "Tracks". Auf den Vorwurf, dass sie nur als Farbklecks ins den Kooperationssender eingekauft wurde, antwortete sie: "Das war bei Viva doch nicht anders. Dort gab es eine schwarze Moderatorin und eine asiatische, eine kluge und eine dumme, eine mit großen und eine mit kleinen Brüsten - und eine Verrückte, das war halt ich. Instrumentalisiert wird man doch überall."

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Auch dieses Gastspiel war eher von kurzer Dauer. Doch dann zog "No-Tabu"-Charlotte andere Seiten auf: Mit dem von Roche und Brainpool gestarteten Medienunternehmen "Punani Enterprises" produzierte Roche die Pilotfolge einer Fernsehversion des Gesellschaftsspiels "Wahrheit oder Pflicht" mit verschiedenen Prominenten und Roche selbst als Gastgeberin. Da war sich die Mutter einer inzwischen fünfjährigen Tocher auch nicht zu schade, in die Badewanne zu pinkeln, während Autor und Gast Roger Willemsen neben ihr das Pissoir in Beschlag nahm. Glücklicherweise filmte das Kamerateam während des "Pinkel-Alarms" einzig die Badezimmertür.

Das Format fand keinen interessierten TV-Sender und wurde nie ausgestrahlt. Auf YouTube stießen im April 2007 vier jeweils sieben Minuten lange Teile der aufgenommenen Sendung jedoch auf jede Menge Schaulustige.

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Roche, Peymann, dpa

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"Feuchtgebiete" entwickelte sich 2008 zum Bestseller und war der erste deutschsprachige Titel, der den ersten Platz der internationalen Bestsellerliste des Online-Versandes Amazon erreichte. Die Lesungen füllten Turnhallen und Festsäle. Hier mit Intendant Claus Peymann bei einer Lesung im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals "Lit.Cologne" im Schauspielhaus in Köln. Kein Wunder also, ...

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Feuchtgebiete, dpa

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... dass der Roman der gebürtigen Engländerin noch nicht einmal ein Jahr später auch auf Englisch übersetzt wurde. Konnte der deutsche Titel "Feuchtgebiete" noch verständlich in "Wetlands" übersetzt werden, bereiteten die provokative, mitunter nicht sehr seriöse Wortwahl dem Übersetzer Tim Mohr hin und wieder mehr Schwierigkeiten. Eine Lösung fand der amerikanische Playboy-Redakteur dann in Wortneuschöpfungen. So wurde aus dem deutschen "Kupferdach, immer feucht im Keller" das anrüchige "Ginger hair, always moist down there". Mohrs Kommentar zu Bild.de: "Das gibt es nicht in Englisch, so habe ich das selbst kreiert. Klingt doch gut, oder?"

Kurz darauf erschien das scheinbar tabulose Hämorrhoidal-Werk um die Protagonistin Helen Memel dann auch noch als Theaterstück. Den Zuschlag für die Uraufführung erhielt das Neue Theater Halle - "Feuchtgebiete" wurde bis dorthin bereits eine Millionen Mal verkauft. Da erschien es infolge dessen nur noch eine Frage der Zeit, dass auch...

Charlotte Roche

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...das Medium Fernsehen sein Interesse verkündet. Das ZDF möchte den Stoff verfilmen und soll auch bereits ein Drehbuch in Auftrag gegeben haben. Allerdings ist sich der Sender weder über Besetzung noch Regie bisher im Klaren. Wäre Charlotte Roche mit ihren 33 Jahren nicht zu alt für die Rolle der gerademal volljährige Helen, ...

Eden

Quelle: SWR/Bernhard J. Widmann

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... dann hätte sie eventuell als Hauptdarstellerin einspringen können. Denn neben ihrem Job als Moderatorin sammelte sie auch Erfahrung beim Film. Ihr Kinodebüt "Eden" wurde 2006 veröffentlicht, im Juni sogar im Ersten gespielt. Roche in der Rolle der unbefriedigten Hausfrau kann nicht genug bekommen von den aphrodisierenden Gerichten des einsamen und schüchternen Küchenprofis Gregor (Josef Ostendorf), der somit ihre bereits verkümmerte Ehe gefährdet.

Auf ihr bisher unbekannten Pfaden wandelte die Neu-Feminstin ...

Charlotte Roche unter Müllmännern

Quelle: Jochen Schmitz/ZDF

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... dann aber für das 3sat-Format "Charlotte Roche unter...". In fünf Folgen begleitet sie im Herbst 2008 Menschen in ihrem Beruf, der weder mit Sex noch Skandalen viel zu tun hat - ein Teil deutschen Alltags eben. Wo findet der sich am leichtesten? Offensichtlich unter Müllmännern, Jägern, Bestattern, Altenpflegern und Truckern. Roche zu der mitunter eher langweiligeren Sendung, die eigentlich nur durch ihren Charme besticht: "Ich kaspere alle meine Vorurteile ab." Auch wenn deren Aufklärung dann doch eher auf der Strecke blieb. Aber zur Verjüngunskur des Senders trug sie trotzdem bei. Deshalb durfte sie auch weiterhin ...

Roche und di Lorenzo werden '3 nach 9'-Moderatoren

Quelle: ddp

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... auf der öffentlich-rechtlichen Schiene fahren. Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit, trennte sich in der Radio Bremen-Talkshow "3 nach 9" nach langer Fernseh-Ehe von Co-Moderatorin Amelie Fried, da bekam er auch schon die quirlige Roche beiseite gestellt. Die ARD wollte frischen Wind in das Format bringen und auch die jüngeren Zuschauer ansprechen. Doch die Britin eckte an, sie fragte zu viel, zu direkt, einige Zuschauer empfanden sie schlicht als naiv. Darauf sank die Quote und die Produzenten bekamen kalte Füße. In beidseitigem Einvernehmen trennte sich das Format dann von ihr - nach nur vier Monaten. Jedoch müssen ihre Anhänger nicht um Roches Wohlergehen bangen, ...

Charlotte Roche Anti-Atom

Quelle: dpa

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... denn die aufmüpfige "Skandalnudel" weiß ihre Zeit auch anderweitig zu Nutzen. Als Anti-Atom-Gegnerin erregte sie im November 2010 für Aufsehen. Denn sie sei "gegen Gewalt gegen Polizisten, aber absolut für Sachbeschädigung im Dienste der guten Sache", wie sie der Nachrichtenagentur dpa unterbreitete. Dafür war sie dann auch mit vollem Körpereinsatz dabei: Um Bundespräsidenten Christian Wulff daran zu hindern, das Gesetz zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten zu unterschreiben, offerierte sie ihm im Spiegel ein unmoralisches Angebot: "Ich würde anbieten, mit ihm ins Bett zu gehen, wenn er es nicht unterschreibt." Auch ihr Mann sei damit einverstanden. Doch statt des Sex-Vetos bekam Roche nur Ärger mit der Staatsanwaltschaft. Denn der Passauer Jurist Till Zimmermann stellte gegen die unerschütterliche Moderatorin eine Strafanzeige wegen Bestechung. Im Spiegel heißt es, er erkenne in der Unterbreitung "politische Korruption". Von der AKW-Demo fand die Provokateurin mit fehlendem Schamgefühl dann wieder ...

Charlotte Roche Schoßgebete

Quelle: Youtube

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... in den heimischen Keller, um ihr zweites Buch zu vollenden. Nach "Feuchtgebiete" beehrt sie den Leser nun mit "Schoßgebete". Sorgte sie in ihrem literarischen Debüt noch durch Anti-Hygiene-Wahn und die trotzige Liebeserfahrung einer Noch-Teenagerin öffentlich für Aufregung, soll es in ihrem zweiten Werk sogar noch extremer zugehen. Ihr Mann sei beim Lesen zumindest "hinten rüber gefallen". Und sie selbst verkündet: "Wer dachte, Feuchtgebiete ist krass, der muss sich hierbei richtig anschnallen". In dem Buch geht es um den Alltag der 33-jährigen Elizabeth Kiehl, die genauso alt ist wie die Autorin. Vielleicht ist das auch kein Zufall, denn es finden sich weitere Parallen zwischen Protagonistin und Autorin. Auch den Unfall ihrer drei Brüder scheint Roche in dem Roman zu verarbeiten. Über die Hauptakteurin merkt sie jedoch an: "Die hat leider nicht mehr alle Tassen im Schrank". Zusammen mit ihrem Ehemann stellt Elizabeth Kiehl dann auch noch fest, dass Monogamie ein riesiger Fehler sei.

Statt verrissen zu werden, erntet der Roman sogar Lob von der als eher konservativ geltenden FAZ. "Schoßgebete" sei demnach komplexer, reifer und anspruchsvoller als der Erstling. Es sei "eine Erzählerin am Werk, die sehr genau weiß, was sie tut".

Der Verkauf startet am 10. August mit einer Rekordauflage von 500.000 Exemplaren.

© sueddeutsche.de/cris/cag
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