Bilder von Wolfgang Herrndorf:Probieren, was geht

Bilder von Wolfgang Herrndorf: Ich weiß, was ich kann. Und du? Selbstbildnis - datiert auf Juni 1988.

Ich weiß, was ich kann. Und du? Selbstbildnis - datiert auf Juni 1988.

(Foto: Rowohlt Berlin)

Hitler in Picasso-Manier oder Milošević, der eine serbische "Titanic" präsentiert: Erzähler Wolfgang Herrndorf hat auch gemalt. Eine Ausstellung in Berlin zeigt die Bilder. Und ebenso wie für seine Texte gilt: Sie langweilen nicht.

Von Jens Bisky, Berlin

Im Jahr 1996 erhielt die Redaktion des Satiremagazins Titanic eine neue Lieferung von Wolfgang Herrndorf: ein Bild in der Manier Jan Vermeers. Sauberes Interieur, Licht von links, eine Karte hängt an der Wand, aber statt eines jungen Mädchens liest Kanzler Helmut Kohl den Brief. Titanic brachte den "Briefleser" als Plakat und verlangte mehr - Kohl war immer für einen Witz gut, und Herrndorf hatte dem Kohl-Scherz einen neuen Seitenweg eröffnet. Nicht die "Birne", nicht der Pfälzer Provinzler wurde verspottet, sondern der Klassiker verherrlicht und abgefeiert.

"Klassiker Kohl" hieß dann auch ein Kalender des Haffmanns Verlags für das Jahr 1998. Darin fand man das "Porträt des Reichskanzlers Kohl", Lucas Cranach dem Älteren zugeschrieben, Bilder mit Kohl von Edward Hopper, Georg Baselitz, Carl Spitzweg oder Caspar David Friedrich und anderen Meistern mehr. Das Bundeskanzleramt soll, so wird erzählt, einen beträchtlichen Teil der Auflage gekauft und die Klassiker-Kohl-Kalender Gästen geschenkt haben.

Wolfgang Herrndorf, damals Anfang dreißig, hatte an der Nürnberger Akademie der Bildenden Künste Malerei studiert und war inzwischen nach Berlin umgezogen. Geld verdiente er mit Illustrationen für den Haffmanns Verlag, den Tagesspiegel und Titanic. Auch schrieb er für das Internetforum "Wir höflichen Paparazzi" und das Weblog "Riesenmaschine". Anfang der Nullerjahre gab er die Malerei auf und veröffentlichte - vier Jahre nach der Abwahl Kohls - seinen Debütroman "In Plüschgewittern".

Die folgenden Stationen seines Lebens sind längst Legende: Im Februar 2010 wurde ein unheilbarer Hirntumor diagnostiziert, im Herbst 2010 erschien die Ausreißergeschichte "Tschick" und wurde zu einem der erfolgreichsten Romane der vergangenen Jahre. Mit Freunden und Lesern kommunizierte Herrndorf über das digitale Tagebuch "Arbeit und Struktur". 2011 erscheint der Wüstenroman "Sand", das schwarzromantische Gegenstück zu "Tschick", ein rasend klug komponiertes Buch. Herrndorf erhält Preise, verdient zum ersten Mal im Leben sehr gut, am 26. August 2013 setzt er am Ufer des Hohenzollernkanals seinem Leben ein Ende.

Postum veröffentlicht der Verlag Rowohlt Berlin "Arbeit und Struktur" sowie den unvollendeten Roman "Bilder deiner großen Liebe", ein letztes Beispiel der klaren, suggestiven Herrndorf-Prosa: "Verrückt sein heißt ja auch nur, dass man verrückt ist, und nicht bescheuert."

Am Freitag dieser Woche wäre Wolfgang Herrndorf fünfzig Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass zeigt das Literaturhaus Berlin eine Ausstellung zu Herrndorfs bildnerischem Werk. Hier kann man den Haffmanns-Kalender bewundern, Arbeiten des Studenten, Witz-Zeichnungen, Buchumschläge, viele kleinformatige Bilder. Herrndorf hat einige seiner Arbeiten selbst vernichtet, etwa 600 sind erhalten. Die Ausstellung und der schöne, informative Katalog bieten einen ersten Einblick in dieses Werk, von dem wir bislang nur wenig wissen.

War Herrndorf ein guter Maler?

Viele Bilder sind nicht datiert, welche wo publiziert wurden, welche Auftragsarbeiten waren, bliebe vielfach noch zu recherchieren. War Herrndorf ein guter Maler?

Sein handwerkliches Können sticht sofort ins Auge, an den größten Vorbildern der Kunstgeschichte hat er sich erprobt und gemessen. Auch auf seinen Buchumschlägen oder Witz-Bildern werden die Details nicht vernachlässigt. In einer Serie von Bildern, Acryl auf Papier, treibt Herrndorf die Sau durch die Kunstgeschichte: Da sieht man ein Schweinchen als Märtyrer oder in den Armen einer Raffael'schen Madonna. Aber Auge und Verstand des Betrachters werden weiter beschäftigt, auch nachdem die Pointe verstanden ist.

Provozierende Lässigkeit

Besonders interessant und mit 51 mal 100 Zentimetern das größte Bild in der Ausstellung ist das auf den 21. Juni 1988 datierte Selbstbildnis des Künstlers (unsere Abbildung). Der Betrachter liegt dem jungen Mann mit offenem, langem Haar zu Füßen: Oben sieht er eine Madonna Raffaels, rechts ein Bild von Donatellos Reiterstandbild des Condottiere Gattamelata. Es steht in Padua. Raffael und Donatello - das spricht für besten Geschmack. Das Selbstbildnis besticht durch provozierende Lässigkeit. Der da mit weit gespreizten Beinen sitzt, weiß, was er kann, was er will.

Das Bildnis schmückt auch den Schuber der gerade erschienenen Gesamtausgabe, die - wie der Autor es wünschte - auf philologisches Beiwerk verzichtet, aber doch so ziemlich alles bringt, was für die Kanonisierung dieses Schriftstellers erforderlich ist: neben seinen großen Werken Kleineres, verstreut Publiziertes. Erinnerungen der Freundin Kathrin Passig und des Lektors Marcus Gärtner, Michael Maars detektivische Lektüre des Wüstenromans, einige Fotos. Die drei Bände sind nun der Herrndorf für die Bibliothek.

Die Bilder in der Ausstellung überraschen immer wieder, etwa ein Hitler-Porträt in Picasso-Manier oder Milošević, eine serbische Titanic präsentierend. Und doch scheint es, als habe der Maler Herrndorf seine Handschrift nicht gefunden. Raffiniert eignet er sich Vorbilder, Muster an und verschwindet als Person wie Zeitgenosse in ihnen. Das Ethos kehrt in seiner Prosa wieder - als Treue zu den Figuren, zu Gedanken, Bildern. Sich überlegen, was man sagen wolle, und es dann sagen, so hat er sein Stilideal beschrieben.

Außer in seinen Selbstporträts scheint er als Maler vor allem probiert zu haben, was er kann, was geht. Eines haben der erzählende Maler und der anschauliche Erzähler Herrndorf gemeinsam: Sie langweilen nicht.

Wolfgang Herrndorf: Gesamtausgabe. Rowohlt Berlin, Berlin 2015. 3 Bände, 1840 S., 49,95 Euro. Die Ausstellung "Wolfgang Herrndorf: Bilder" läuft bis zum 16. August im Literaturhaus Berlin. Der Katalog kostet 18 Euro.

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