Bilder sollen zur US-Jugend sprechen:Schaut her, ich zeig euch was

Amerikanische Schulen werden mit Reproduktionen nationaler Kunstwerke ausgestattet. Das ist löblich, doch mit der allzu patriotischen Auswahl wird den Schülern jeder Blick auf die Kunst außerhalb der USA verwehrt.

Willi Winkler

Ein Bild, so heißt es immer, sage mehr als tausend Worte - aber kann es wirklich sprechen? Und was, wenn es sprechen kann, sagt es eigentlich? Sagt es: Ich bin schön, bunt, quadratisch, groß! Oder sagt es: Schaut her, ich zeig euch was! Schweigt das Bild nachts, wenn niemand kommt, um es zu betrachten?

Bilder sollen zur US-Jugend sprechen: Bedürfnis nach einem Kompromiss: Ausschnitt aus dem Gemälde Winslow Homers (1836-1910): "The Veteran in a New Field" (1865).

Bedürfnis nach einem Kompromiss: Ausschnitt aus dem Gemälde Winslow Homers (1836-1910): "The Veteran in a New Field" (1865).

(Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

In deutschen Ärztehäusern hängen Bilder, die eine verständliche Sprache sprechen. Es sind meist fröhliche Kleinformate, die lyrischen Expressionismus mit spätimpressionistischem Farbauftrag vermählen und die Laufkundschaft auf keinen Fall verstören sollen.

Es ist nicht erwiesen, dass der Blick auf Fischerkähne, die unter sommerträgem Himmel an einer halbverfallenen Mole vertäut liegen, die Heilung beschleunigte, aber derlei heiter-melancholische Ansichten schaden dem Patienten jedenfalls nicht mehr als der Arztbesuch selber.

Nationale Werte der Kunst und der Historie

Der amerikanische Schriftsteller John Updike möchte, dass gute und schöne Bildwerke zur Jugend sprechen und sie empfänglichen machen für die nationalen Werte der Kunst und der Historie.

Auf Updikes Anregung geht eine Initiative des National Endowment for the Humanities (NEH) zurück, wonach amerikanische Schulen jeweils mit vierzig Reproduktionen amerikanischer Kunst ausgerüstet werden sollen.

Bis Anfang Juni sind nicht weniger als 26.320 Schulen in dieses volkspädagogische Programm aufgenommen worden. Bis zum Beginn des nächsten Schuljahrs im August wird jede von ihnen den kompletten Satz an Kunstwerken erhalten.

Kontroverse wie bei jedem Versuch einer Kanonisierung

Um die Auswahl ist sofort eine Kontroverse entbrannt, wie sie bei jedem Versuch einer Kanonisierung entsteht: Welche vierzig Meisterwerke, die repräsentativ und zugleich bedeutend wären, kommen für diesen Bildungsauftrag in Frage?

Bevor jetzt deutsche Ordnungspolitiker vor Begeisterung über dieses Projekt aus dem Häuschen geraten und sich mit dem Spruch, dass dieses Beispiel bei uns "Schule machen" sollte, zitieren lassen, sollte man die ausgewählten Bilder sprechen lassen.

Damit sie nicht ganz stumm bleiben, sind sie zu Paaren gekoppelt: Albert Bierstadts Blick ins Yosemite-Tal von 1865 wird mit den Indianern kombiniert, die Black Hawk Anfang der Achtziger des 19. Jahrhunderts gezeichnet hat.

In der Auswahl regiert weniger der Kunstsinn als das Bedürfnis nach einem Kompromiss: Winslow Homer und ein bisschen präkolumbianische Kunst, eine Alltagsszene Norman Rockwells und Dorothea Langes noch immer ergreifende Fotografie der Einwanderin.

Reiter und Silbergeschirr

Vor allem ist es ein sehr patriotisches Unternehmen geworden: Statt Jackson Pollock und Andy Warhol vorzustellen, den originär amerikanischen Beitrag zur Weltkunst, verlässt sich die Auswahl auf den vaterländischen Appell: Paul Revere reitet zur Rettung der Nation, George Washington überquert den Delaware, Lincoln schaut kühn, und für den schwarzen Bevölkerungsanteil gibt es eine Hommage an Booker T. Washington. John Singer Sargent darf nicht fehlen, ein Whistler ist auch dabei, und dazwischen irritiert eine Auswahl an Silbergeschirr.

Das von Updike angestoßene Unternehmen ist mehr als löblich. Das kleine Schulmuseum wird niemandem schaden. Kinder, die mit Bildern aufwachsen, sehen mehr von der Welt.

Der Initiator ist nicht bloß einer der bedeutendsten lebenden amerikanischen Schriftsteller, sondern auch ein großer Kunstkenner. In seinen Aufsätzen zeigt er ein gewisses Faible für die klassischen europäischen Maler. Manchmal sprechen Bilder doch eine deutliche Sprache: Wie es die Verbindung von guter Absicht und patriotischer Ausführung so mit sich bringt, wird den amerikanischen Schülern mit diesem gutgemeinten Sendungsbewusstsein jeder Blick auf die Kunst außerhalb der USA verwehrt.

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