Bildband über den Film noir:Alle Schattierungen von Schwarz

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Der smarteste Marlowe - Dick Powell als Privatdetektiv mit Claire Trevor in "Murder, My Sweet", 1944. (Foto: Taschen)

Beim Film Noir geht es um die Kunst, die bösesten inneren Zustände bloßzulegen - von "Das Cabinet des Dr. Caligari" bis hin zu "The Dark Knight". Ein Bildband widmet sich dem zeitlosen Genre.

Von David Steinitz

"Ich habe es wegen des Geldes gemacht, und wegen des Mädchens - bekommen habe ich keins von beiden". So leitet der Protagonist von Billy Wilders "Double Indemnity/Frau ohne Gewissen", 1944, eine seiner amour fou-Variationen ein, eine der fiesesten der Filmgeschichte - und fasst auch gleich zusammen, was es im Film noir kaum je gibt: ein Happy End.

Der Bildband "Film noir. 100 All-Time Favorites" ( Taschen Verlag, Köln 2014, 688 Seiten, 39,99 Euro) ist ein Streifzug durch die Geschichte eines Phänomens, das bereits in der Frühzeit des Films begann und bis heute reicht, zum sogenannten Neo-noir. Noir, das war und ist, wie der Band mit seiner Filmauswahl unterstreicht, nie einfach nur ein Genre. Es geht um Stimmungen und Atmosphäre, um die Kunst, die bösesten inneren Zustände mit äußeren Formeln bloßzulegen. Noir ist Tragödie, Komödie, Thriller - oft alles zugleich.

Vom deutschen Expressionismus bis Hollywood

Eingeleitet mit einem zwar nicht mehr ganz neuen, aber immer noch hervorragenden Essay von Paul Schrader, der unter anderem für Martin Scorsese "Taxi Driver" schrieb, arbeitet sich der Band vom deutschen Expressionismus ("Das Cabinet des Dr. Caligari", 1920) bis zum zeitgenössischen Hollywood-Film ("The Dark Knight", 2008) durch alle Aspekte des Noir. Beziehungsweise in Schraders Worten: durch "alle Schattierungen von Schwarz". Jeder der hundert Filme wird neben den Bildern von einem Begleittext und Zitaten aus und über den Film flankiert.

Auch heute noch sind Filmemacher wie Nicolas Winding Refn ("Drive") vom Film Noir inspiriert. (Foto: Taschen)

Seinen Höhepunkt hatte der Film noir im US-Kino der Vierziger- und Fünfzigerjahre, also jener Periode des Hollywoodfilms, in der die Desillusionierung der Kriegs- und Nachkriegszeit und die Tradition der Hard- boiled-Krimis das Programm und der Einfluss der deutschen Emigranten in Hollywood die Ästhetik vorgaben.

Die Zigaretten und der Whiskey in den Hinterzimmern, die Neonreklamen, die sich in Regenpfützen spiegeln, die finsteren Kerle, die sich in Hauseingängen herumdrücken, das etwas zu schrille Lachen der Mädchen - ein Sprung ist hier in allem, auch ganz bildlich, denn der Film noir ist das Kino der zerbrochenen Spiegel, in denen sich Storys von Wahn, Besessenheit und Obsession brechen: "The Maltese Falcon" mit Bogart, "Murder, My Sweet", "Boulevard der Dämmerung" und "Das verlorene Wochenende" von Wilder, Hitchcock mit "Rebecca" und "Shadow of a Doubt". Die Frauen sind gefährlich und die Männer naiv, manchmal ist es umgekehrt.

Von diesen Klassikern sind natürlich auch die Kinoratten und Starregisseure von heute beeinflusst, Steven Soderbergh, Quentin Tarantino, Christopher Nolan, Nicolas Winding Refn - weil sie wissen, dass man auch im Zeitalter des digitalen Kinos am besten eines trägt: Schwarz.

© SZ vom 29.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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