Bildband "Theater des Krieges":Wenn dir nicht auffällt, dass du tot bist

Afghanistan

"Es ist eine Trostlosigkeit in dieser Landschaft, von der nicht ganz klar ist, ob sie absichtlich mit nachgebildet wurde oder ohne Zutun entstanden ist."

(Foto: Michael Disqué)

Drei Wochen im Bundeswehrlager Masar-i-Scharif: Ein Fotograf und ein Schriftsteller zeigen ein beeindruckendes Bild vom Krieg - und der trügerischen Ruhe, die ihn so lebensgefährlich macht.

Von Cornelius Wüllenkemper

Der Krieg ist keineswegs immer spektakulär. Das eigentliche Kampfgeschehen ist eher die Ausnahme. Es ist die Unberechenbarkeit der Gewalt als tödliche Lücke in einer trügerischen Ruhe, die ihn so lebensgefährlich macht.

In ihrem Band "Das Theater des Krieges" über den Alltag im Bundeswehrcamp Marmal im afghanischen Masar-i-Scharif zeigen der Fotograf Michael Disqué und der Schriftsteller Roman Ehrlich vor allem das, was gemeinhin nicht als Kriegsgeschehen verstanden wird und dennoch im Mittelpunkt der Realität eines Einsatzes steht, nämlich die Sicherung und Organisation der Truppe.

Die säuberlich durchnummerierten Blankofelder zwischen den Texten und Bildern des Bandes über den Alltag im Camp machen die Bedrohungsatmosphäre umso spürbarer. Allein im Jahr 2016 starben im Krieg der internationalen und afghanischen Truppen gegen die Taliban fast 7000 Soldaten.

"Die erste Qualität des Soldaten ist die Geduld", notiert Ehrlich in einem der zahlreichen unkommentierten Zitate des militärischen Personals, mit denen er das Leben im Bundeswehrfeldlager in kleinste Momentaufnahmen zerlegt. Bilder und Texte sammeln die Teilstücke dieses extrem künstlichen Lebensraums im Militärlager wie Stücke eines Mosaiks, wobei die Autoren die Kombination der Einzelszenen zu einem großen Bild dem Betrachter überlassen.

Erklärtes Ziel dieser Perspektive auf das "Theater des Krieges" ist es, nicht auf die üblichen Narrative der journalistischen Reportage zurückzugreifen, sondern die Dinge ihre Geschichte selbst erzählen zu lassen.

Ausdruckslose Nicht-Orte einer künstlichen Gemütlichkeit

Dieser Ansatz spiegelt sich auch in Michael Disqués Fotografien. Sie zeigen in ihrer eigentümlicher Poesie vor allem das, was das Sehen verhindert: die Betonabsperrung des Feldlagers, ausdruckslose Nicht-Orte einer künstlichen Gemütlichkeit, graue Containerburgen, verstellte Blickachsen auf den Hindukusch und Spuren im Sand, die irgendetwas hinterlassen hat, das längst nicht mehr da ist.

Das "Theater des Krieges" zeigt sich Disqué und Ehrlich in all seiner Doppelbödigkeit gleich neben dem Schulungscontainer für die Neuankömmlinge im Camp: "Der Container befindet sich auf dem Sprengfallenübungsgelände, das die Landschaft außerhalb der Absperrung originalgetreu nachbilden soll", notiert Roman Ehrlich im Ton eines Militärberichterstatters. "Es gibt einige Hügel, Büsche, Gräser, Staubstraßen, einen ausgetrockneten Bachlauf, ein paar Lehmhütten und ausgebrannte Fahrzeuge. Es ist eine Trostlosigkeit in dieser Landschaft, von der nicht ganz klar ist, ob sie absichtlich mit nachgebildet wurde oder ohne Zutun entstanden ist."

Die Autoren verschließen sich den Schreckensbildern des Krieges mit Absicht

Afghanistan

Man macht es sich so hübsch, wie es geht: Im Bundeswehrcamp.

(Foto: Michael Disqué)

Während einer Übung wird die Szenerie von hochrangigen Soldaten verfolgt. "Sie tragen ihre Baretts gegen die unbarmherzige Sonne und haben ihre Daumen in die Gürtelschlaufen eingehakt. Etwas weiter abseits sitzen die anderen Zuschauer auf Bierbänken im Schatten einer Plane, die über einen Lkw gespannt wurde. (...) Die Übung wird von einem deutschen Soldaten in englischer Sprache moderiert."

Die meisten der derzeit bei Masar-i-Scharif stationierten Militärangehörigen haben das Camp Marmal nie verlassen. Seit die internationale Isaf-Mission 2014 offiziell endete, liegt die Hauptaufgabe der rund 800 verbleibenden deutschen Soldaten in der Ausbildung afghanischer Streitkräfte.

Wie abrupt man jederzeit aus den Übungskulissen in die tödliche Wirklichkeit katapultiert werden kann, zeigte sich zuletzt während des Überraschungsangriffs auf das nur wenige Kilometer entfernte afghanische Militärcamp Shahin, bei dem Kämpfer der Taliban über 140 afghanische Soldaten massakrierten. Fast täglich wird der Stützpunkt von rund siebzig deutschen und internationalen Militärberatern besucht.

Michael Disqué und Roman Ehrlich verschließen sich diesen Schreckensbildern des Krieges mit voller Absicht. Früher, so lernt man nur beiläufig über das laut der deutschen Bundesregierung "sichere Herkunftsland" Afghanistan, konnten afghanische Ortskräfte die Camp-Bewohner noch bei Ausfahrten nach Masar-i-Scharif begleiten. Heute sei das viel zu gefährlich für ihn und seine Familie, so beteuert ein Dolmetscher.

Der ebenso gegenwärtigen wie unberechenbaren Bedrohung begegnen die Autoren in Texten und Bildern mit einem feinen Ton der Ironie, mit dem übrigens auch die Soldaten ihren zumeist gleichförmigen Alltag in Afghanistan bewältigen.

Als ein "Herr K." darum bittet, sich die in einer Ecke aufgestellten Exponate genauer anzuschauen und wissen will, ob den Besuchern etwas auffalle, herrscht zunächst Ratlosigkeit. "Was soll mir denn auffallen? Dann höre ich das Klingeln eines Handys direkt neben mir. Das Telefon liegt auf einem Paket, das an die Wand geklebt ist. Ein paar Drähte verbinden die Teile. 'Dass du jetzt tot bist', sagt Herr K."

Roman Ehrlich, Michael Disqué: Das Theater des Krieges. Spector Books, Leipzig 2017. 216 Seiten, 28 Euro.

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