Bildband "The Rolling Stones":Vom Küken zum Mick-Blick

Wie Mick Jagger und Co. zur Marke wurden: Im monumentalen Bildband "The Rolling Stones" sind vor allem die frühen Bilder der britischen Über-Band faszinierend.

Von Bernd Graff

5 Bilder

Mick Jagger

Quelle: David Bailey/Taschen

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Die Rolling Stones sind nicht nur die größte und härteste Rockband aller Zeiten, sie sind auch die am besten beobachtete, am häufigsten zitierte, interviewte, nachgesungene, vor allem fotografierte Band der Welt. Nicht einmal Elvis kommt da mit. Allenfalls Bob Dylan, aber von dem weiß man ja, dass er ein freundliches Alien aus einer fernen Galaxie ist, das uns hier unten nur besucht.

Anders als Dylan sind die Stones kein lebender Mythos. Es gibt keine Transzendenz, keine Idee: Sie sind einfach allgegenwärtig - und sei es als die von John Pasche entworfene "Tongue and Lip"-Ikone. Sie sind reine Präsenz. Und seit sie 1963 Werbung gemacht haben für Kellogg's Rice Krispies und danach für American Express wie für Volkswagen sind sie auch Teil einer banalen Wertschöpfungskette.

Die Stones sind eine bestens eingeführte Marke im globalisierten Kapitalismus, so etwas wie Coca-Cola oder Adidas, nur eben in der Branche Rock 'n' Roll. Zu dieser Marke aber mussten sie erst werden.

Rolling Stones

Quelle: Guy Webster/Taschen

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Der Taschen-Verlag hat nun einen monumentalen Bildband herausgebracht, der auf mehr als 500 Seiten die autorisierte Geschichte dieser Über-Band in teils nie gesehenen Bildern dokumentiert (The Rolling Stones, hrsg. v. Reuel Golden, Taschen Köln 2014, 524 Seiten, 4,5 Kilogramm, 99 Euro).

Faszinierend sind darin vor allem die frühen Bilder. Das, was heutige Fotos von Mick Jagger, Keith Richards, Ron Wood und Charlie Watts mit großer Selbstverständlichkeit an Stones-Imprägnierung zeigen, verdankt sich einer tastenden Suche nach der geeigneten Rockstar-Pose, einem wie im Modelgeschäft zu erlernenden Blick, einer Gestik und Mimik also, die heute nicht mehr auffallen, weil sie stonestypisch sind und genau so erwartet werden. Damals aber waren diese Posen und Blicke noch nicht gefunden.

Wie sah ein Rockstar aus, wie zog er sich an, wie war sein Wohnzimmer eingerichtet? Das wollte man wissen. Frühe Bilder inszenieren die damals nicht einmal 25-Jährigen in skurril-synthetischen Biotopen, merkwürdigsten Denkmalposen und symbolbildhaften Witzigkeiten. Guy Websters Bilder aus dem Jahr 1965, unter anderem ist das Coverbild der britischen Ausgabe von "Aftermath" darunter, zeigen die Stones etwa zu einem Helden-Fries arrangiert oder in merkwürdiger Naturverbundenheit. Doch trotz der gestellten Posen und Verrenkungen sieht man unbedarft, ungekünstelt dreinblickende Passbild-Automaten-Gesichter, so harmlos und unverrucht, wie die Band auf der Bühne da schon nicht mehr war.

Rolling Stones

Quelle: Gered Mankowitz/Taschen

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Bent Rej, ein dänischer Fotograf, inszeniert die Stones als hübsch geföhnte Dandys wie aus einem Möbelkatalog: Mick Jagger steht auf frisch gesaugter Auslegware und zwischen Nussbaumfurnier, zwei blauen Telefonen und einem Marmortischchen und hält sich an komplett leeren Bücherregalen fest. Das sollte dem Bild wohl das Flair einer Homestory vermitteln.

Aber auch hier fällt auf: Mick hat noch nicht den Mick-Blick der späteren Jahre, er schaut wie ein frisch geschlüpftes Küken. Ist das wirklich der Mann, der nur vier Jahre später den Mascara-Stift für sich entdeckt, den Bühnenveitstanz entwickelt hat und sich vor jedem Auftritt eine Socke vorne in die Hose gesteckt hat?

Auch die vielen Fotos, die Gered Mankowitz 1966 schoss, das Cover von "Between the Buttons" ist darunter, für das er sein Kamera-Objektiv mit Vaseline beschmierte, um das Gruppenporträt weichzuzeichnen, belegen, dass die Stones ihren Blick noch nicht inszenieren konnten. Sie posen zwar jetzt - schnell zu Wohlstand gekommen - vor eigenen Landsitzen und Bentleys, aber sie schauen immer noch wie Landeier, denen man erstmals die große Stadt zeigt: Sie sind verblüfft, wollen sich aber nichts anmerken lassen.

Like a Rolling Stone (1995)

Quelle: Anton Corbijn/Taschen

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Die Anmutung von Stars gewinnen die Stones zuerst über ihre Outfits, etwa von 1967 an. Man steckte sie in Anzüge, niemals sahen sie darin wie die Beatles aus: Dicken Längsstreifen, gepunkteten Jacketts, Seidenschals und riesigen Hüten, den Insignien einer urbanen Yuppie-Aristokratie, folgte nur ein Jahr später ein psychedelischer Gothic-Mix aus glänzendem Samt, Satin und wuchtigen Sonnenbrillen.

Die wichtigste Veränderung aber hat Mick Jagger durchgemacht. Er kann jetzt in jeder Porträtsituation selbstbewusst schauen, er kann jetzt Kameras verführen. Cecil Beaton macht solche Jagger-Fotos von 1968an , David Bailey, der die Promo-Fotos für die Single "Jumpin' Jack Flash" aufnahm, hat die Stones wie Guy Webster zum Heldendenkmal arrangiert: Aber wie anders schauen alle Stones da!

Jetzt ist es das Kamera-Auge, das an ihrem Blick abperlt. Spätestens seit der Werbefotograf Michael Joseph dann 1968 die Aufnahmen für die Stones-LP "Beggar's Banquet" gemacht hat, ist klar: Es mag nur Rock 'n' Roll sein, aber die Stones lieben ihn jetzt - weil sie es sind, die bestimmen, wo es langgeht.

Jim Marshall, der die Studio-Arbeit zu "Exile on Mainstreet" Ende 1971 dokumentiert hat, und Peter Beard, der die anschließende Tournee begleitete, sind dort mit dem Jagger in der Hochzeit des Jaggerismus konfrontiert, er besteht nur noch aus Mund und Mähne - und einem sehr in sich gekehrten Blick.

Rolling Stones

Quelle: Bent Rej/Taschen

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Helmut Salzinger, einst Musikkritiker dieser Zeitung und Verfasser des 1972 erschienenen Buchs "Rock Power. Wie musikalisch ist die Revolution", schreibt darin: "The Rolling Stones sind die bad boys des Rock 'n' Roll. Sie gelten als die schmutzigsten, die bösen, die aggressiven Exponenten einer neuen proletarischen Musik. Sie haben den Blues, das Getto-Lied der unterdrückten amerikanischen Farbigen, zur Hymne der zeitgenössischen Jugendbewegung gemacht. Anders als ihre Konkurrenten, die Beatles, sind sie im Bewusstsein ihrer Anhänger die Kellerkinder geblieben, die Rebellen des Rock."

Und doch ist diese neuerliche Wendung in der Rock 'n' Roll-Star-Anmutung der Rolling Stones nicht jedermanns Sache. Es ist wiederum Salzinger, der den Auftritt der Stones beim nordkalifornischen "Altamont Free Concert" am 6. Dezember 1969 beschreibt, zu dem mehr als 300 000 Menschen kamen, ein Open-Air-Ereignis, das zur Tragödie wurde: Ein Fan, Meredith Hunter, wird unmittelbar vor der Bühne von den Hells Angels erstochen.

Sie waren als Ordnungskräfte von den Stones angeheuert worden. Doch nach der Tat geht das Konzert mit dem Lied "Sympathy for the Devil" weiter. Während sich Jagger hampelnd in einem Papageien-Outfit auf der Bühne verausgabt, wird er hasserfüllt von einem der Angels angeschaut.

Salzinger schreibt: "Was für ein Hit für einen Angel, Mick Jagger die Zähne einzuschlagen. Sie haben seiner Tanzerei und seinen wilden Gesten mit angewiderten Grimassen und höhnischem Gelächter zugeschaut und sich dabei in die Rippen gestoßen. In ihren Gesichtern konnte man lesen: 'So was von billig - ich könnte dieser schwulen Sau ganz leicht die Scheiße rausprügeln, ich könnte diesen Arschficker auspusten.'"

Von David Bailey stammen dann auch die Heroin-Chic-Porträts der abgemagerten "Goats Head Soup"-Phase um 1973. Jagger und die Seinen sind hier schließlich in ein Stadium von Androgynität übergegangen, von dem ein David Beckham wohl immer träumte. Der Rock der Stones hatte da schon endgültig seine Unschuld verloren, die Drogen waren genommen, die Posen wurden beherrscht.

© SZ.de/danl
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