Bildband: Nan Goldin / Luzifers Garten:Jedes Herz eine Zeitbombe, jeder Körper eine Handgranate

Beziehungsunfälle und neues Glück: Die Fotografin Nan Goldin arbeitet nach der Maxime: Nähere dich mit der Kamera nur denen, die dir nah sind! So entstanden faszinierende Fotos, die sich weniger für die Idee als vielmehr für die Tätigkeiten der Liebe interessieren.

OLIVER FUCHS

You've come a long way, baby ... Um Wege durchs Dickicht des Lebens geht es hier, um Irrwege, Umwege, Stolpersteine. Manchmal ist der Weg eben nicht, wie es in dem zu Tode zitierten Hippie-Spruch heißt, das Ziel. Es gibt gar kein Ziel. Am Ende ist der Mensch tot, und trotzdem hat sich kein Leben gerundet, kein Werk vollendet.

Bildband: Nan Goldin / Luzifers Garten: Valérie weinend, Paris, 2001

Valérie weinend, Paris, 2001

Die Fotografin Nan Goldin, 1954 geboren, hat eine ordentliche Portion von 1968 mitbekommen, als Kind in Kommunen gelebt, eine Summerhill-Schule besucht.

Ihr Werk riecht beim Erstkontakt auch wie ein Hippie-Projekt: Goldin fotografiert ausschließlich enge Freunde, begleitet sie über Jahre und Jahrzehnte, beim Spielen und Lachen, beim Essen und Baden, im Bett bei der Liebe, auf dem Sterbebett.

Kein räuberischer Paparazzi-Blick, kein Ranwanzen an fremde Intimbereiche: Es geht ihr darum, der Ästhetik eine Moral zu geben und der Moral eine Ästhetik. "Meine Fotos entstehen aus Beziehungen, nicht aus Beobachtungen", hat sie einmal gesagt. Die Maxime: Nähere dich mit der Kamera nur denen, die dir nah sind!

Wenn man Goldins neuen Fotoband "Luzifers Garten" (Phaidon Verlag, Berlin 2003, 95 Euro) näher betrachtet, wird klar, dass sie eher aus dem Geist des Punk schöpft als aus Hippie-Träumen.

Sie ist eine knallharte Materialistin: Liebe als Idee scheint sie nicht zu interessieren, Liebe als Tätigkeit dagegen sehr. Und so sieht man immer wieder Körper, schwitzend, sich verausgabend. Körper mit kleinen und großen Schönheitsfehlern. Körper, die sich erholen von den Orgien des Lebens, etwa in der Badewanne.

Nan Goldin ist mit der Fotografin Diane Arbus verglichen worden, doch genau so gut könnte man sie mit der Punksängerin Courtney Love vergleichen. Loves Plattentitel umschreiben Goldins Fotos ziemlich präzise: "Celebrity Skin", "My Body - The Handgrenade" und: "Live through this".Jedes Herz eine Zeitbombe, jeder Körper eine Handgranate.

Wobei man sagen muss: Goldins Freunde, die exaltierten Drag Queens, die sexuellen Freibeuter, die Geschöpfe der Nacht, sie sind ruhiger geworden, bürgerlicher. Da muss man durch! You've come a long way, baby ...

SZ v. 30.01.2004

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: