Bildband:Frühe Schwermut

Bildband: Skandal im Bauch von Paris. Als Szenerie für eine Modestrecke entscheidet sich Guy Bourdin 1954 gegen Idyllen an der Seine und schickt seine Modelle in die Schlachthöfe von Les Halles.

Skandal im Bauch von Paris. Als Szenerie für eine Modestrecke entscheidet sich Guy Bourdin 1954 gegen Idyllen an der Seine und schickt seine Modelle in die Schlachthöfe von Les Halles.

(Foto: Steidl Verlag)

Guy Bourdin war für seine extravagante Modefotografie berühmt. Ein Bildband entdeckt nun seine Anfänge in Schwarz-Weiß.

Von Maximilian Sippenauer

Der Bildband "Guy Bourdin, Untouched" endet gewissermaßen dort, wo die Karriere Bourdins beginnt: im Schlachthof von Les Halles de Paris. Eine der letzten Fotografien des Buches zeigt eine elegante Dame mit dunklem Wagenradhut, dessen Krempe ein flaches Gesteck aus Blüten und Schleier ziert. Sie posiert vor den ausgeweideten Kadavern sechs toter Kaninchen. "Chapeau choc" nannte Guy Bourdin diese Aufnahme, mit der er 1954 in der Pariser Modeszene einen veritablen Skandal auslöste. Das Enfant terrible Guy Bourdin war geboren und die Zeiten waren vorbei, da die französische Haute Couture ihre Kostüme nur weiter brav vor dem Eiffelturm ablichten ließ.

Von Mitte der Fünfzigerjahre an fotografierte Guy Bourdin für das Magazin Vogue und krempelte von hier aus zusammen mit seinem kongenialen Pendant Helmut Newton die Modefotografie um. Unter Bourdins extravaganter Handschrift verschmolzen Schönheit, Begierde, Sex, Tod, Vanitas zu den unwahrscheinlichsten Kompositionen. Immer schimmerte durch den grellen, poppigen Plastikglanz seiner oft surrealen Collagen ein geheimnisvolles Dunkel. Dieses postmoderne Vexierspiel zwischen Oberflächlichkeit und freudianischem Unterbau machte Bourdin zu einem der wichtigsten Fotokünstler seiner Zeit. Maßgeblich beeinflusste er Kollegen wie David LaChapelle, aber auch Popgrößen wie Madonna oder den Filmregisseur David Lynch.

Schlägt man den bei Steidl erschienenen Bildband "Guy Bourdin, Untouched" auf, ist von diesem Eskapismus nichts zu spüren. Zu sehen sind zweihundert Fotografien, allesamt in Schwarz-Weiß, alle unaufgeregte, stille Beobachtungen. Der Band resultiert aus einer zufälligen Entdeckung im Nachlass des bereits 1991 verstorbenen Bourdin. Vergessen in einer Fotokiste, schlummerte unberührtes Material aus einer Zeit, in der sich Bourdin noch halb zur Malerei berufen fühlte. Die Aufnahmen aus den Jahren 1950 bis 1955 dokumentieren eine stetig zunehmende Vertrautheit mit dem Medium der Fotografie.

Bourdin arbeitet gern mit Strukturen, auch denen des menschlichen Körpers

Bourdin findet seine Motive im Alltag. Er fotografiert am Strand, in Cafés, auf der Kirmes. Er sucht die einfachen Menschen - aber ohne die humanistische Agenda seiner Pariser Fotografenzeitgenossen, wie etwa Robert Doisneau. Mit ihnen teilt Bourdin allenfalls die Lust am Skurrilen - etwa wenn ein Hund vor einem Laden sitzt und zufrieden in die Kamera lächelt, während ein Menü im Hintergrund nahelegt, dass ihm wohl der Duft von gebratenem Hähnchen in der Nase hängt. Gleichzeitig wird vor dieser Schlichtheit augenfällig, welch großen Wert bereits der frühe Bourdin auf die Organisation seiner Bilder legte. Die Fotografien illustrieren ein immer freieres Experimentieren mit Strukturen, Formen und Raum.

Vermehrt interessiert ihn, als ein Teil dieser geometrischen Zergliederungsprozesse, auch der menschliche Körper. Sein Blick exponiert Beine, Köpfe, Rücken, fetischisiert sie. Hier fühlt man Bourdins Wurzeln im Surrealismus. Selbst aus einer Karussellfahrt gelingt es ihm, alle Bewegung zu tilgen und damit die symbolische Anlage seiner Bilder gegen jeden Anflug von Impressionismus zu feiern. Gerade in der Abwesenheit des später so charakteristischen Farbspiels offenbaren diese Fotografien damit die Grundlagen von Bourdins faszinierender Handschrift.

Dass es sich bei dem Band "Guy Bourdin, Untouched" trotzdem um keine bloß genetische Auseinandersetzung mit dem Frühwerk handelt, liegt vor allem an den vereinzelten Aufnahmen von Kindern und Jugendlichen. Guy Bourdin, der später so hemmungslos stilisierte und provozierte, bewahrt sich hier eine Art Schnappschuss-Effekt, erlaubt seinen Bildern eine Schwermut, die ohne ironische Distanz auskommt. Da blickt etwa ein kleiner Junge halb schüchtern, halb aufmüpfig in die Kamera. Er steht hinter einer Glastür und kaut auf seinem Daumen. Der fotografierende Bourdin erscheint als schwache Reflexion in dem Türfenster, das beide trennt und auf dem sie verschwimmen. Es wirkt, als schaue er durch den Sucher in den Kopf des Kindes, auf dessen Sicht der Dinge und von dort zurück auf sich selbst. So hat man Bourdin noch nicht gesehen.

Pascal Dangin: Guy Bourdin, Untouched. Steidl Verlag, Göttingen 2017. 256 Seiten, 55 Euro.

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