Bildband:Animal Farm

Bildband: Der Blick der Kreatur: In den besten Fällen funktionieren die Bilder wie kleine Fabeln.

Der Blick der Kreatur: In den besten Fällen funktionieren die Bilder wie kleine Fabeln.

(Foto: Henk van Rensbergen/Knesebeck Verlag)

In dem beeindruckenden Bildband "No Man's Land" montiert der belgische Fotograf Henk Van Rensbergen Tiere in verlassene Landschaften.

Von  Jonas Lages

Diese Kirche ist so verfallen, dass hier selbst Caspar David Friedrich aufatmen könnte. Man würde sich nicht wundern, wenn gleich sein Trauerzug aus dem Eichwald um die Ecke käme. Für den Empfang wäre auch schon gesorgt: es wartet ein Schweinepriester. In den Trümmern der Fotografie steht ein einsames Ferkel.

Wie sähe ein Welt ohne Menschen aus, in der die Tiere ihren Platz eingenommen haben? Lustig wie Disneys "Zootopia"? Totalitär wie Orwells "Animal Farm"? Und wie stünde es um die Fotografie? Das wunderbare Selfie des Makaken Naruto, dem vergangenes Jahr das Recht an seinem Selbstbildnis abgesprochen wurde, weckte hier ja bereits erste Hoffnungen.

Die Antwort des Fotografen Henk Van Rensbergen indes fällt deutlich düsterer als das charmante Lächeln des indonesischen Primaten aus. Vor vier Jahren veröffentlichte der Belgier mit "Abandoned Places" ein globales Kompendium verlassener Orte. Nun geht er in "No Man's Land" einen Schritt weiter: Er fotografiert Tiere und montiert sie in die Ruinen der westlichen Konsumgesellschaft. Da steht dann eine Kuh an der Rolltreppe einer zerfallenen Mall und wirft dem Betrachter diesen Blick der reinen Kreatürlichkeit zu, wie er nur im Gesicht eines Rindes liegen kann. Oder eines Mall-Besuchers.

Man fragt sich natürlich, was diese morbiden Orte so anziehend für Tiere macht. Marc Augé scheinen sie jedenfalls nicht gelesen zu haben. Der französische Anthropologe prägte den Begriff der "Nicht-Orte" und sah ihre Besonderheit darin, dass sie keine Identität stiften, sondern einsam machen. Und das scheint hier auch für Tiere zu gelten. Verängstigt kauert ein Schimpanse auf dem Bett eines düsteren Krankensaals; traumschwer schaut ein Löwe aus dem Fenster einer Villa, als wollte er ein "tableau vivant" von Vermeers Briefleserinnen aufführen. Überhaupt wirkt es, als sei die komplette Besatzung eines Zoos ausgebrochen und hätte die Arche Noah 2.0 nicht gefunden. In den besten Fällen funktionieren Van Rensbergens Bilder wie kleine Fabeln. Da sieht man in der Abenddämmerung zwei Pferde unter einer fernen Autobahnbrücke, das eine liegt, das andere schaut dem Betrachter entgegen. Ist man Zeuge eines Brudermords, Kain und Abel mit Pferdeschwanz? Oder sieht man einen Akt der Fürsorge? So schlummern in manchen Montagen winzige Erzählungen.

Van Rensbergen ist kein Freund des Naturalismus: starke Kontraste, gesättigte Farben, allumfassende Ausleuchtung. Letztlich ist dieser Stil der Vergeblichkeit nur konsequent. Der utopische Gehalt der Bilder greift auf ihre Ästhetik über: es ist unverkennbar, dass die Tiere per Mausklick in die Fotos gesetzt sind. Es lässt sie wie digitale Märchen wirken. Doch zugleich beraubt dieser visuelle Konjunktiv die Fantasien um das Wesen der Fotografie: den Effekt der Evidenz. Statt etwas zu bezeugen, in das man sich versenkt, wirft ein Appell an die Empathie den Betrachter aus der Bildwelt: Tiere sind die besseren Menschen. Man fragt sich natürlich, wer hier nach dem Ende der Menschheit hinter der Kamera stand. So pessimistisch, wie die Bilder sind, steht eines fest: Naruto war es nicht.

Henk Van Rensbergen, Desmond Morris: No Man's Land. Zwischen Utopie und Wirklichkeit verlassener Orte. Knesebeck Verlag, München 2018. 192 Seiten, 50 Euro.

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