Big Brother startet wieder:Ehrlich schäbig

Du musst ein Schwein sein: Ex-Insasse Jürgen wird Co-Moderator und die neuen Kandidaten sollen schlauer sein als die bisherigen. Die neue Staffel trifft auf ein TV-Programm, das sich dem unterirdischen "Big Brother"-Niveau angepasst hat.

Hans Hoff

Die Frage, ob das Fernsehprojekt Big Brother langfristig Schaden anrichtet, beantwortet drei Tage vor dem neuerlichen Start ein Blick in das Gesicht von Jürgen Milski. Es sieht aus, als habe der Mann, der im Jahr 2000 zur ersten Big-Brother-Besatzung gehörte, in der vergangenen Woche nur nachts gelebt. Die Augen verquollen, die Züge verlebt, der Blick ohne Fülle.

Big Brother startet wieder: Versuchen ihr Bestes: die Moderatoren Miriam Pielhau, Charlotte Karlinder und Jürgen Milski.

Versuchen ihr Bestes: die Moderatoren Miriam Pielhau, Charlotte Karlinder und Jürgen Milski.

(Foto: Foto: ddp)

Als Jürgen ist Milski immer noch eine große Nummer bei der Sendersimulation Neun Live und in den Festsälen der Ballermannrepublik, wo er nicht nur zu Karneval für Stimmung sorgt. Ohne BB wäre Jürgen wahrscheinlich immer noch Feinblechner bei Ford und nicht der Mitmachkumpel vom Dienst. Nun kehrt er zurück an jene Stätte, die ihm als Einzigem einen überschaubaren, aber immerhin dauerhaften Ruhm verliehen hat. "Ich bin wieder zu Hause angekommen", sagt er. Jürgen soll immer dann moderieren, wenn die Kandidaten auf dem hauseigenen Schlachtfeld um irgendwelche Punkte ringen. Seiner Stimmungskanonenkarriere mag es dienlich sein.

Es herrscht ohnehin eine betont ausgelassene Stimmung vor dem Start zur achten Big-Brother-Staffel. Wieder sollen zwölf Kandidaten einziehen, und der eine, der es nur lange genug aushält und von den Zuschauern gemocht wird, erhält am 7. Juli 250 000 Euro.

"Eigentlich hätten wir mehr verdient"

Immer montags läuft auf RTL 2 zusätzlich zur täglichen 19-Uhr-Zusammenfassung aus dem Köln-Ossendorfer Sperrgebiet die Show "Die Entscheidung". Moderiert wird die von Miriam Pielhau und Charlotte Karlinder. Letztere tritt hochschwanger den Dienst an, und es steht zu befürchten, dass sie demnächst kameranah niederkommen wird. Sie soll aber möglichst lange auf Sendung bleiben. "Wir doppelmoderieren, bis wir in deinem Fruchtwasser stehen", ruft ihr Pielhau zu.

So geht es zu beim großen Bruder. Immer lustig, immer im Dienst der Sache und des Erfolgs. Für die siebte Staffel vermeldete die Produktionsfirma Endemol eine durchschnittliche Einschaltquote von acht Prozent in der jungen Zielgruppe. Das wird als Erfolg genommen, weil es RTL 2 nur auf durchschnittlich 6,3 Prozent gebracht hat.

"Eigentlich hätten wir mehr verdient", sagt Borris Brandt und beklagt die permanente Unterschätzung seiner Fernsehkunst. Der Endemol-Geschäftsführer ist naturgemäß auch schwer begeistert von seiner Arbeit, die nun, da seine Firma wieder in den Händen des Gründers John de Mol liegt und nicht länger Ableger des Telekommunikationskonzerns Telefonica ist, wieder produktiv durchstarten soll. Man müsse sich nun weniger um die Banken und den Konzern kümmern und könne wieder verstärkt den Zuschauer ins Visier nehmen, sagt der Deutschland-Chef.

Vorerst hat Brandt aber vor allem ein Auge auf die Kandidaten geworfen. Ein hohes Medienbewusstsein bescheinigt er dem ausgesuchten Dutzend - und einen erstaunlich hohen Bildungsgrad. Hört man Brandt eine Weile zu, gewinnt man glatt den Eindruck, er arbeite gerade an der Gründung einer televisionären Elite-Uni. Aber dann entschlüpft ihm ein Satz, der schön spiegelt, worum es wohl wirklich geht: "Natürlich haben wir auch Damen, die mangels Partner mit der Stange tanzen", sagt er.

Mangels Partner an der Stange

Erstmals steht das BB-Haus nicht mehr in der freien Landschaft von Köln-Ossendorf, sondern eingepasst in den dortigen Studiokomplex Coloneum. Man könne die Temperatur im Hause so besser regeln, ohne dass scheppernde Klimaanlagen die Übertragungen der wichtigen Insassen-Kommentare stören. Drei Tage vor dem Einzug ist es noch sehr heiß in der Haus-Simulation, in der mittig eine hüfthohe Mauer verläuft. Die trennt sechs reiche Bewohner von sechs armen.

Bei den Reichen sieht es aus, als habe die Einsatz in 4 Wänden-Fee Tine Wittler zu viel Geld in die Hand bekommen, allerdings mit der Auflage, es nur für neureiche Geschmacklosigkeitsaccessoires zu verwenden. Im armen Bereich sieht es dagegen aus, als habe man die Kulisse einer Dokumentation über sibirische Gefangenenlager importiert. Moderatorin Pielhau spricht von einer "überdachten Gosse". Alles ist schäbig, dreckig, aber hier drin ist selbst der Dreck künstlich. Mühevoll aufgetragen von Dekorationskünstlern, denen kürzlich die Studio-Putzfrau einen Strich durch die gestalterische Rechnung machte. Die mühsam auf schäbig gemachten Lampen reinigte sie mit vollem Einsatz.

"Unseren Beuys'schen Moment" nennt Brandt das in Anspielung auf das einst irrtümlich von Reinigungskräften entsorgte Kunstwerk "Fettecke", auch um zu zeigen, dass es ihm an großen Worten nicht fehlt.

Brandt betont immer wieder, bei Big Brother gehe alles mit rechten Dingen zu, da werde auf Produzentenseite nicht geschummelt. Nichts werde durch Inszenierung beeinflusst, behauptet er. Das ist schwer zu glauben, wenn man die früheren BB-Staffeln gesehen hat, aber man muss es glauben, weil noch niemand einen überzeugenden Gegenbeweis angetreten hat. Außerdem fürchten die Produzenten inzwischen die Macht des Internets. "Wenn wir etwas Wichtiges weglassen, brennt es gleich in den Foren", sagt Brandt und verweist auf den Bezahlsender Premiere, der wieder einen 24-Stunden-Big-Brother-Kanal schaltet.

Geht man davon aus, dass bei Big Brother alles mit rechten Dingen zugeht, dann hätte das Format immerhin das Kunststück geschafft, vom allgemeinen Niedergang der Fernsehszene zu profitieren. Während inzwischen rundherum die Moral verlottert und bei vorgeblich authentischen Shows und Doku-Soaps inszeniert wird, was das Zeug hält, pflegt man beim Menschen-in-Kisten-Format weiterhin das Konstante. Man darf den großen Bruder immer noch genau so schlecht, dumpf und zweifelhaft wie zum Start finden. Nur ist nun eben der Rest vom Fernsehfest so unsagbar viel mieser geworden. Überall wird inzwischen nur noch jene herzlose Seelenausbeutung betrieben, die Big Brother stets vorgeworfen wurde.

Insofern hat Big Brother die Chance, als eines der wenigen ehrlichen Formate in die Jahresbilanz einzugehen. Eine Entwicklung, die man im Januar 2000 nicht erahnen konnte.

Big Brother, RTL 2, Montag, 20.15 Uhr; danach täglich 19 Uhr.

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