Biennale "Carthago Contemporary":Karthago steht auf

Einst Zentrum eines Weltreichs, ist Karthago heute ein Villenvorort an der tunesischen Küste. Doch die antike Stärke der Stadt ist Leitbild für die Revolutionäre des arabischen Frühlings. Eine Ausstellung versucht, den neuen Geist Karthagos einzufangen. Nicht leicht im Tunesien der Gegenwart.

Werner Bloch

Wer von Tunis auf der Schnellstraße nach Karthago fährt, das heute ein vornehmer Villenvorort an der Küste ist, der sieht schon von weitem ein merkwürdiges weißes Gebäude, das von einem Hügel aus die Landschaft dominiert, eine Art Neuschwanstein, errichtet von französischen Missionaren Ende des vorletzten Jahrhunderts: die Grabeskirche Ludwig des Heiligen. Allerdings wurde die christliche Kathedrale entweiht, nachdem Tunesien unabhängig wurde. Der bizarre Bau ist heute ein Kunstzentrum, das sogenannte Akropolium.

Carthago Contemporary

"Smell" heißt die Kunstaktion von Nadia Kaabi-Linke gegen die Salafisten. Sie gilt als wichtigste Künstlerin des neuen Tunesiens.

(Foto: dpa)

Von hier oben, dem Byrsa-Hügel, wurde einmal ein Weltreich regiert, das nur einen Fehler hatte: Es wurde zu mächtig und deshalb von den Römern in drei furchterregenden Kriegen rasiert, die am Ende alle Merkmale eines Völkermords aufwiesen. Roms Propaganda hatte sich alle Mühe gegeben, Karthago auf einer Art "Achse des Bösen" zu verorten. Mit der bekannten rhetorischen Penetranz ("ceterum censeo Carthaginem esse delendam") war der Feind zum Abschuss freigegeben worden - zum Leidwesen von Millionen Lateinschülern.

Die Sache ging schlecht aus. "Das große Karthago führte drei Kriege", schrieb Bertolt Brecht. "Nach dem ersten war es noch mächtig. Nach dem zweiten war es noch bewohnbar. Nach dem dritten war es nicht mehr zu finden." In der Spätantike war Karthago dann wieder zu einer Metropole ausgebaut worden, zu einer der größten Städte der römischen Kaiserzeit.

Während des arabischen Frühlings war Karthago so etwas wie das Leitmotiv der weltlichen Revolutionäre. Mit dem Signet der amerikanischen Ideen versuchten junge Blogger und Unternehmer bei Konferenzen mit dem Titel "TedX Carthage" eine national gefärbte und trotzdem neutrale Plattform zu finden. Nun wird Karthago selbst wieder sichtbar. Auf dem Hügel von Byrsa, umgeben von Statuen, Ruinen und Vasen, fühlt der Besucher im blauen Licht einen Hauch von Frische und einen Aufbruch. Der Ort gehört zu den schönsten am Mittelmeer, Unesco-Weltkulturerbe der Menschheit, ein fantastisches Steinplateau, von dem sich der Blick zwischen Pinien, Oleander und Zypressen hindurch Richtung Sizilien senkt.

Die Ausstellung "Carthago Contemporary" suchte nun im Frühsommer nach einem Weg, einem neuen Geist von Karthago auf die Spur zu kommen. 28 Künstler waren mit ihren Werken nach Karthago gekommen, nicht nur aus Tunesien selbst, sondern aus Ländern, die historisch mit Tunesien verbunden sind, von Algerien bis in die Türkei.

Geschichte und Gegenwart geraten aneinander

Chkoun Ahna lautete das Motto der Ausstellung: "Wer sind wir?" Nach dem Umsturz und der Vertreibung des verhassten Diktators fragen viele Tunesier nach ihrer eigenen Identität. Bisher wurden die Differenzen dieses vielfältigen Volkes eher gedeckelt, sagte die junge Co-Kuratorin Khadija Hamdi: "Wir sind nicht nur Araber, nicht nur Juden, nicht nur Christen, sondern alles zusammen. Eine Mischung aus allem, was in unserer Geschichte geschah."

Dissonanzen waren dabei abzusehen, auch in der Ausstellung gerieten Geschichte und Gegenwart heftig aneinander. Ausgerechnet die schwarze Flagge der Salafisten wehte da im Nationalmuseum von Karthago. Aufgehängt hatte sie die Künstlerin Nadia Kaabi-Linke. Mit ihrer Kunstaktion namens "Smell" schickte sie den frommen Sandalenträgern einen vergifteten Blumengruß. Sie hatte das Motto der Salafisten - "Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet" - mit frischen Jasminblüten auf die Flagge genäht. Doch die Blüten verwelkten, fielen als Staub zu Boden. Es blieb nur noch die schwarze Fahne der Salafisten übrig - ein Menetekel im Land des Jasmin-Revolution.

"Das ist genau das, was hier passiert", sagte Nadia Kaabi-Linke. Die 31-jährige Konzeptkünstlerin aus Tunis gilt als eine der wichtigsten Künstlerinnen des neuen Tunesiens. "Man darf immer noch nicht alles sagen, was man will, in meinem Land. Die Islamisten wollen die Zensur zurückbringen." Carthago Contemporary sah sich als Gegenbewegung gegen den politischen Islamismus.

Revolution im Ruhezustand

Der Platz vor dem Nationalmuseum wurde unterdessen durch einen Bagger aufgebrochen. Der aus Palästina stammende Installationskünstler Nida Sinnokrot hatte einen gewaltigen Bulldozer vor das Museum geschafft. "Ka" nannte er seine Installation mit den riesigen Greifarmen, ein Monster, das tatsächlich der ägyptischen Göttin Ka ähnelte.

Doch das Opus wurde nicht wie geplant realisiert. "Der Kulturminister hat gedroht, die ganze Schau zu schließen, falls mein Werk im Nationalmuseum gezeigt wird", ärgert sich Sinnokrot. "Einmal hieß es, das Werk sei zu radikal, dann wieder, der Boden des Museums könnte unter der Last zusammenbrechen. Alles Blödsinn, ich habe das durch einen Statiker nachprüfen lassen!"

So lagen die Baggerarme flach niedergestreckt, wie resigniert, draußen auf dem Kies vor dem Nationalmuseum. "Für mich erzählt das eine Menge über die tunesische Revolution", sagte der Künstler: "diese Schlaffheit - eine Revolution im Ruhezustand."

Im Innern des Museums tummelten sich Fotos, Videos, Objekte kunterbunt zwischen byzantinischen Mosaiken und römischen Vasen. Darunter so feinsinnige Arbeiten wie die von Ismail Bahri. Eine minimalistische Intervention, die wohl von den meisten Besuchern kaum wahrgenommen wurde. Bahri hatte mit winzigen Nadeln an der Wand des Museums rätselhaft gebrochene Linien abgesteckt, die keinen Sinn zu ergeben schienen. Doch genau einmal am Tag, für eine Minute, fiel die Sonne darauf - und der Schatten der Nägel ergab eine gerade Linie. Als würde aus dem Chaos ein Moment der Perfektion.

Do-it-yourself-Biennale

Es wurde Zeit für diese Ausstellung, aber auch für eine Neubewertung Karthagos. Denn Europa hat Karthago nie wirklich begriffen. Für Gustave Flaubert war die Stadt eine schwüle Phantasie, der Ort exotischer Erotizismen, schwülstiger Exzesse und ritueller Kindermorde in einem dem Untergang geweihten Reich. Dass Karthago im Vergleich zu Rom eher die aufgeschlossenere Kultur war, eine Multikultigesellschaft, die auf Handel aus war und nicht auf Krieg, ist der breiten Öffentlichkeit ebenso wenig bekannt wie die technischen Leistungen, mit denen die Phönizier ihre Schiffe bis nach Kamerun schicken konnten.

Timo Kaabi-Linke, Berliner Kulturphilosoph, Kurator und Initiator der Schau, wollte am liebsten nur Moderator sein. Es gebe zu viele Kuratoren auf der Welt, meinte er. Die Künstler sollten nach Möglichkeit ihre eigene Schau zeigen. Das ist in Tunesien unendlich schwer - schon aus organisatorischen Gründen. Da sich der Staat mit jeder Unterstützung zurückhält, sah man in Karthago Organisatoren und Künstler gemeinsam auf dem Boden herumrobben, Nägel in die Wände treiben und Bildtafeln aufkleben. Carthago Contemporary war eine Do-it-yourself-Biennale. Besser lässt sich der Geist der Jasmin-Revolution nicht fassen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: