"Beware of Mr. Baker" im Kino:Genie und Knochenbrecher

"Beware of Mr. Baker" im Kino - Szenenbild

Szenenbild aus "Beware of Mr. Baker" - in den deutschen Kinos seit 18. Dezember 2013.

(Foto: NFP)

Er gilt nicht wenigen als der Beste seines Fachs - und zugleich als gemeingefährliches Ekel: Cream-Schlagzeuger Ginger Baker. Der Dokumentarfilmer Jay Bulger hat sich der Legende für seinen Film "Beware of Mr. Baker" furchtlos genähert. Und mit einer zertrümmerten Nase bezahlt.

Von Joachim Hentschel

Ja, die paradigmatischen Dokumentarfilm-Protagonisten, die kennen wir so langsam. Den liebenswerten alten Grantler zum Beispiel, der nie lacht, szenenlang schweigt, aber am Ende nur will, dass man seinen guten Kern sieht. Das verrückte Genie, sozial untalentiert, trotzdem womöglich ein Weltenretter. Es muss ja irgendeinen Grund geben, warum man einem Menschen eine 90-minütige Studie widmet, die schon durch ihre schiere Existenz etwas Affirmatives an sich hat. Und so könnte man nun fragen: Warum, um alles in der Welt, sollte irgendwer eine Dokumentation über Ginger Baker machen?

Ginger Baker ist, mit Verlaub, ein Arschloch. Ein gemeingefährlicher Mann. Das sieht man gleich in der ersten Szene von "Beware Of Mr. Baker", dem Doku-Porträt von Jay Bulger, das jetzt im Kino läuft. Da geraten Baker, die heute 74-jährige Hauptfigur, und Bulger, der 31-jährige Regisseur, in einen hektischen Streit darüber, wer in der Reportage sonst noch auftreten dürfe. Keiner außer ihm, findet Baker, und schlägt Bulger so fest mit dem Gehstock ins Gesicht, dass dem tatsächlich die Nase bricht. Kein Fake, keine Inszenierung. Verdient dieser Typ einen Film?

Baker kriegt seine Doku natürlich deshalb, weil er mindestens in den 60er- und 70er-Jahren als einer der furiosesten, konkurrenzlos besten Jazz- und Rockschlagzeuger der Welt galt. Am ehesten kennt man ihn als Mitglied des kurzlebigen, umso wilder vergötterten Trios Cream. Die meisten seiner anderen Bands waren zu speziell fürs größere Publikum, was wiederum mit sich bringt, dass der aus London stammende Baker, nachdem er lange Zeit keine dauerhaften Engagements mehr hatte, heute fast nur noch den ernsthaft interessierten Blues- und Afrorockfans ein Begriff ist.

Er wäre die ideale Satansfigur

Am Ende kann man es nur als gewaltiges Glück sehen, dass Bulger seinen Film dennoch gemacht hat. Eine plötzliche Baker-Obsession führte ihn 2008 zum Alterssitz des Künstlers nach Südafrika, wo er ihn über die Jahre mehrfach interviewte. Dass "Beware Of Mr. Baker" trotz all des im Kern voyeuristischen Materials, trotz aller Flüche, Wutausbrüche, bizarrer Schrulligkeiten und kaputter Nasenbeine am Ende eine so verblüffende Studie über die Balance zwischen Wahnsinn und Genie, Krankheit und Künstlertum geworden ist - das muss man dem Regiedebütanten als journalistischen Triumph anrechnen.

Dabei wäre Ginger Baker die ideale Satansfigur. Der feuerrote Schopf, die irren Augen, das suspekt große Talent. Die Angewohnheit, ungeliebte Bandkollegen zusammenzuschlagen. Auf Heroin zu trommeln, um jede Furcht los zu sein. Die moralische Ignoranz, erst der eigenen Tochter (wahrheitsgemäß) zu erzählen, sie sei das Resultat einer misslungenen Abtreibung, und dann die eigene Frau für die Schwester des zukünftigen Schwagers sitzenzulassen. Baker kriegt nie genug, zieht nach dem Ende der Swinging Sixties für ein paar Jahre nach Nigeria, um dort die verspätete Flower-Power-Zeit gleich noch ein zweites Mal zu erleben, mit Sex, Drogen, vor allem Musik. Irgendwann muss er, der weltbeste Drummer, per Bettelanzeige nach Jobs suchen. Weil alle blanke Angst davor haben, mit ihm zu spielen.

"Hör auf, dich als intellektueller Scheißkerl aufzuspielen"

Der Film verharmlost das nicht, aber er macht noch ein paar andere Fässer auf. Man hört vom Trauma des Kriegskindes, man ahnt plötzlich, wie Ungeduld und Ehrgeiz im Kopf eines derart Hochbegabten hohldrehen können, wenn er sich ständig von ambitionslosen Langweilern umgeben fühlt.

Vor allem geht "Beware Of Mr. Baker" den entscheidenden Schritt in die Nachgeschichte, in die Zeit, in der ein ausgemusterter Irrer wie Baker kein Thema für die Medien mehr ist, mit Geldsorgen auf dem Land hockt und vor lauter Arthrose kaum noch den Frühstückstoast halten kann. "Mach dein Interview und hör auf, dich als intellektueller Scheißkerl aufzuspielen", antwortet er Bulger auf die Frage, ob er wohl ein tragischer Held sei. Eine bessere Tonlage gibt es nicht für einen Film über einen alten, bösen, genialen Mann. Der zwar komplex ist, aber eben nicht in die übliche narrative Falle der Dokus tritt, die so wahnsinnig gern von großen Tragikern erzählen.

Für die gebrochene Nase entschuldigt Baker sich am Ende sogar bei seinem Regisseur. Aber auch das heißt nicht, er wäre geläutert.

Beware Of Mr. Baker, USA 2012 - Regie: Jay Bulger. Mit Ginger Baker, Eric Clapton, Carlos Santana, Johnny Rotten, Femi Kuti. Verleih: NFP, 92 Min.

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