Besuch im Archiv der Documenta:"Ich bin zu alt, such' Dir lieber junge Künstler"

Dem Kurator ist Pop Art nicht abstrakt genug, die Künstler antworten nicht oder sind - wie einst Sigmar Polke - beleidigt: Im Archiv der Documenta lagern etliche kuriose Briefwechsel, die eine lange Geschichte nicht zustande gekommener aber durchaus denkwürdiger Kunst dokumentieren.

Georg Imdahl

Das Werk war verabredet, das Einvernehmen darüber einhellig. Harald Szeemann bekräftigt am 25. Januar 1972 in einem Brief an Gustav Metzger die "wirklich gute Begegnung" in London. Der Schweizer Ausstellungsmacher hält noch einmal die Materialien für das Werk namens "Karba 1970/72" fest, das Metzger für die Documenta 5 produzieren soll: Benötigt wird ein kubischer Metallrahmen von jeweils zweieinhalb Metern Kantenlänge, der "mit dünner, fester und klarer Plastikfolie" ummantelt werden soll. Zu der Arbeit gehören überdies "vier gewöhnliche, gleiche Autos mit Normalbenzin". "So bald wie möglich aber", schreibt Szeemann, brauche er für den Documenta-Katalog biografische Angaben, Fotos und ein Statement.

Sigmar Polke documenta

Er schlug die Einladung zur documenta 1992 schnöde aus: Sigmar Polke ließ sich von Kurator Jan Hoet nicht umstimmen, obwohl der Belgier die Arbeiten des Kölner Künstlers "unglaublich jung, frisch und wichtig" fand. Allerdings hatte Hoet dem Maler zuvor noch nie eine Ausstellung angeboten. 

(Foto: dpa)

Schon ungeduldiger setzt der Documenta-Chef zwei Monate später in einem Schreiben vom 20. März 1972 nach. "Lieber Herr Metzger, was ist los? Bislang haben Sie keinerlei Material geschickt. Haben Sie unseren letzten Brief überhaupt erhalten?" Die Antwort aus London lässt nochmals drei lange Wochen auf sich warten. Im Katalog aufzutauchen, so Metzger mit souveräner Gelassenheit, bedeute ihm nicht so viel.

Stattdessen macht der Künstler auf die möglichen Einwände gegen sein Projekt aufmerksam: Es werde Leute geben, "die sagen, der ganze Plan ist zu gefährlich". Aus den Auspuffrohren der vier Pkw sollen nämlich Schläuche in das Plastikgehäuse führen und das Innere mit den Abgasen anfüllen. Der Brief schließt mit einem Postskriptum über den Fahrzeugtyp. "Bitte bedenken Sie, dass ich kein Auto mit deutlichen Kurven möchte wie den Volkswagen. Ideal wäre so etwas wie der Ford Cortina mit seinen langen flachen Oberflächen."

Und als ob dieses Szenario nicht drastisch genug wäre, schildert Metzger in besagtem Brief vom 10. April 1972 eine ähnliche, weitaus größere Installation, die er in Stockholm zu realisieren gedenkt: Nicht weniger als 120 Autos sollen um eine flache Halle mit Folienwänden geparkt werden, wobei Metzger das Projekt "Stockholm June", das für den gleichen Sommer geplant ist, noch dramatisiert: Nach vierzehn Tagen sollen die Autos mit ihren laufenden Motoren nach innen gefahren werden. "Falls bis zum Mittag des 15. die Wagen nicht in Flammen aufgegangen sind, werden kleine Bomben in die Skulptur hineingeworfen."

Tatsächlich konnte Metzger sein Stockholm-Projekt - ohne Brand und Bomben - erst im Jahr 2007 bei der Biennale in Sharjah realisieren und wird in diesem Jahr erstmals sein Werk auf einer Documenta zeigen: Im Jahr 1972 endeten seine Ambitionen dort mit einem lapidaren Brief Szeemanns vom 9. Juni 1972, drei Wochen vor der Eröffnung der Documenta 5: "Wir hatten Probleme hier mit der Bauverwaltung und hätten eine Konstruktion bauen müssen, für die wir kein Geld mehr haben." Immerhin werde das Projekt im Katalog dokumentiert. Ein denkwürdiges Kunstwerk, das es nicht in die Documenta-Realität geschafft hat. Wie auch die von Peter Gorsen erarbeitete Sektion "Pornographie", die vor der Eröffnung der Szeemann-documenta wieder verworfen wurde.

Rückkehr in eine gar nicht ferne Zeit

Hinter dem "Museum der hundert Tage" verbirgt sich eine lange Geschichte nicht zustande gekommener oder zurückgewiesener Kunst, eine Geschichte der Enthaltung und Verweigerung, der enttäuschten Hoffnungen auch prominenter Künstler, über die das Documenta-Archiv in rund 2000 Aktenmappen und über 500 Archivkartons Auskunft gibt.

Die Archiv-Recherche führt in eine gar nicht ferne Zeit zurück, die von den Segnungen einer direkten Kommunikation noch weit entfernt war und von allen Beteiligten ein denkbar hohes, aus heutiger Sicht groteskes Maß an Geduld einforderte. "Ich flehe Sie an nun endlich wegen des Flugzeugsammlers an die Galerie zu schreiben Danke Vostell", heißt es in einem Telegramm an den Documenta-6-Chef Manfred Schneckenburger vom 17. März 1977.

Dem Happening-Künstler schwante, dass es eng werden würde mit seinem Starfighter auf dem Fridericianum. Dabei war ein privater Eigentümer schon ausgemacht, der seinen Bomber "Republik F-84" zur Verfügung stellen wollte. "Vostell plant ein großes Medien-Environment zum Thema Flugzeug-Unglücke", hatte Schneckenburger den Leihgeber informiert und signalisierte Vostell auch die technische Machbarkeit, allerdings nur "auf dem Turm" und "nur mit einem Mannschaftshubschrauber, der in der Lage ist, sich selber auf das Dach zu schwingen".

Arg hoch gegriffen

Doch jener Helikopter schwang sich niemals auf ein Kasseler Museumsdach, und KünstlerKollegen fanden die Pläne von Wolf Vostell, dem "Wölfchen", wie Beuys ihn herablassend nannte, arg hoch gegriffen - kein Wunder, der hatte selbst doch nicht medienwirksam seine "Honigpumpe am Arbeitsplatz" in Kassel installiert, um sich von einem Starfighter auf dem Dach übertrumpfen zu lassen. Dabei hatte sich eine Firma namens "Metro-Raumstruktur" für die Machbarkeit verbürgt, und so bleibt auch in diesem Fall ein Rest an Zweifel, ob tatsächlich nur technische Gründe dem Werk den Eintritt in die Documenta-Realität verwehrten.

In einem früheren Fall ließen die Documenta-Pioniere Bode und Haftmann 1959 höchst persönlich ein Werk zurückgehen. Im Zeichen der von ihnen propagierten "Weltsprache der Abstraktion" war dem Chef-Ideologen Haftmann Robert Rauschenbergs bereits angeliefertes "Bed" von 1955 nicht abstrakt genug. Auch Künstler sollen damals gegen das Combine Painting gewettert haben.

"Ein Eckstein bricht aus der Ausstellung"

Eine ganze Riege von Künstlern verzichtete dagegen freiwillig auf die Weltbühne in Kassel. Die Amerikaner Carl Andre, Donald Judd, Robert Morris, Fred Sandback und Robert Smithson wollten 1972 ihren gesamten Auftritt in Ausstellung und Katalog selbst bestimmen - und holten sich eine Abfuhr.

Andere Enthaltsamkeit bezeugt den Anspruch, den ein Künstler an sich selbst stellt. "Ein Eckstein bricht aus der Ausstellung", resigniert Manfred Schneckenburger am 27. März 1987 als Leiter der Documenta 8, als er auf die Absage Reinhard Muchas reagiert. Der Düsseldorfer Bildhauer hat so viele andere Projekte, dass er sich außerstande sieht, unter Zeitdruck die Documenta zu bedienen. "Auf eines der jetzt in Basel oder Bern gezeigten Werke zurückzugreifen, käme, gemessen an der Bedeutung der Dokumenta, einer Teilnahme um jeden Preis gleich", so Mucha, er bedauere, "aber ich denke, man muß auch mal nicht können dürfen".

Quälende Nöte des Kurators bezeugt auch ein Brief von Jan Hoet an Sigmar Polke vom 14. März 1991. "Hoffentlich verstehen Sie meine Angst, Ihnen zu schreiben",was klingt, als ob ein Documenta-Leiter um Mitwirkung an der bedeutendsten Ausstellung der Gegenwart betteln müsste.

Tatsächlich hatte der Belgier - daher seine böse Ahnung - dem Kölner Künstler zuvor noch nie eine Ausstellung angeboten. Seine Angst erwies sich als begründet. Polke schlug die Einladung schnöde aus. Auch Hoets Bekenntnis im April 1992 ("Ihre Arbeiten gehören zu jenen Werken, die meinen Glauben an die Kunst tragen.") stimmte ihn nicht um. Warum er nicht dabei sein wollte verschweigen die Archivalien jedoch. Hoet sagt dazu heute auf Anfrage: "Polke sagte mir: Ich bin zu alt, such' Dir lieber junge Künstler". Dabei fand Hoet die Arbeiten des im Jahr 1941 geborenen Künstlers "unglaublich jung, frisch und wichtig", wie er Polke am 7. April 1992 enttäuscht zu verstehen gab.

Ein eigenes Kapitel der Documenta-Korrespondenz ist die mannigfaltige Unterstützung, die der Kunsthandel anbietet. Als "zusätzliche Bereicherung des Ausstellungsangebots" offeriert der Galerist Michael Werner 1977 bei der Documenta 6, die wegen der Einladung an Maler aus der DDR umstritten ist, einen eigenen Bau für seine Künstler Baselitz, Kiefer, Lüpertz und Penck. "Grundfläche 12 mal 12 m, Traufhöhe 6 m, Pyramidendachhöhe 6 m". Kostenpunkt "etwa 200.000 Mark", überschlägt er, "einschließlich Rücklage für eventuelle Abrißgarantie".

Aufgebracht werde der Betrag von privat, "bis auf einen angemessenen Anteil, den die Documenta GmbH zu tragen gewillt ist". Eine Bereicherung, die Schneckenburger in gelinder rhetorischer Untertreibung als "gewiss nicht unproblematisch" einstuft. Er wisse nicht, wie die "Paralyse der Documenta durch Erweiterungs- und Ergänzungsbauten zu verhindern wäre". In der Archivmappe folgen zwei Einschreiben des Kölner Galeristen vom 20. Juni 1977: Michael Werner zieht die Werke von Lüpertz und Penck im Namen der Künstler zurück.

"Mehr kann Kunst nicht"

Über ganze Regalmeter erstreckt sich schließlich die Rubrik "Bewerbungen", untergeordnete Mappen lauten auf "Kuriosa". Bis zu 3000 Künstler bieten sich alle fünf Jahre der Documenta an, vom Rechtsanwalt, "zugelassen beim Landgericht Fulda", der sich "überwiegend mit Stahlkunst befasst", bis zum Kulturredakteur der "Oberpfälzer Nachrichten", der ein gutes Wort für einen Künstler einlegt ("Mehr kann Kunst nicht") bis zur Provinzgaleristin, die ihren persönlichen Favoriten anpreist ("Ich möchte Ihnen kurz meinen Mann vorstellen").

Allzu lange muss man dieses Material gar nicht durchstöbern, um auf bekannte, ja bisweilen berühmte Größen zu treffen. "Ich habe mir über zweitausend Bewerbungen einzeln angeschaut", sagt Hoet. Dabei sei ihm der in München lebende Wolfgang Flatz aufgefallen, der sich 1992 persönlich an den Kurator wandte. Der Box-Fan Hoet war von Flatz' Video einer Performance, in einer Kirche restlos überzeugt. Spontan lud er den Österreicher nach Kassel ein.

"Das war dramatisch, pathetisch, es hatte eine ungeheure Wucht", erinnert sich Hoet. "Ich fand es noch stärker als den ,Bodycheck', den Flatz dann in Kassel realisiert hat. Aber die Möglichkeit, etwas Neues zu machen, wollte ich ihm natürlich nicht nehmen." Flatz hat damit Geschichte geschrieben: Es ist möglich, dass er der einzige Bittsteller in der Geschichte der Documenta ist, dessen Bewerbung erfolgreich war.

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