Neu im Kino: "Inferno":Tom Hanks auf Schnitzeljagd mit Altertümern

Szenenbild Inferno

Die "Inferno"-Stars Tom Hanks und Felicity Jones im Boboli-Garten von Florenz, gejagt von einer - hier allerdings nicht sichtbaren - Drohne.

(Foto: Sony Pictures)

Ein Besuch in Florenz, wo Thrillerkönig Dan Brown, Regisseur Ron Howard und Tom Hanks "Inferno" drehen. Und die Geschichte dieses Mal nur ein bisschen umschreiben.

Von Susan Vahabzadeh, Florenz

Ob Dante Alighieri sich als Kind, damals vor 750 Jahren, benommen hat wie jedes andere Kind? Dann hat er bestimmt im Battistero di San Giovanni in Florenz, das dem Dom gegenüberliegt, die Blicke schweifen lassen, wenn ihm langweilig wurde. Bis in die Kuppel, in der sich Bilder in Kreisen bis in die Spitze hinaufschrauben - trichterförmig wie die Hölle, die er sich später ausdachte und die unsere Vorstellung von der Unterwelt bis heute prägt. An der Decke des Battistero sitzt Christus und weist den Menschen ihren Weg, rechts geht es ins Paradies, links, im untersten Kreis, steigen Tote aus Särgen, sie werden von kleinen geflügelten Teufeln empfangen, denen Schlangen aus den Ohren kriechen, und ein großer verschlingt, noch ein wenig weiter drüben, Menschenleiber. Die Bilder krochen vielleicht in den Kinderkopf und fanden dann, viele Jahre später, als er schon aus seiner Heimatstadt verbannt war, in die "Göttliche Komödie", mit ihren Höllenkreisen und Luzifer, der auf Verrätern herumkaut.

Der amerikanische Thriller-Autor Dan Brown hat um die Gesänge aus der "Göttlichen Komödie" herum ein Abenteuer seines Helden Robert Langdon erfunden, "Inferno". Verfilmt wurde es in Florenz, und auch Brown ist zu den Dreharbeiten gekommen. Als düsteren Dante kann man sich den lebhaften Brown nicht vorstellen, und seine Romane über den Harvard-Professor sind ja auch keine Konkurrenz für die "Göttliche Komödie"; aber auch Brown wird zu seinen Geschichten von Orten inspiriert - die Co-Stars in den Abenteuern des Symbologen Langdon sind die Städte, in die sie ihn führen. Und seinen Schöpfer. "Ich brauche zwei Jahre, um ein Buch zu schreiben", sagt Brown. "Die möchte ich mit etwas verbringen, was mir gefällt."

"Die Geschichten sind ein Spaß und führen einen dann doch in die Bibliothek", sagt Ron Howard

Der Regisseur bei "Inferno" ist, wie auch schon bei den anderen Brown-Verfilmungen, "Sakrileg" und "Illuminati", Ron Howard, Langdon wird wieder von Tom Hanks gespielt, und weite Teile der Geschichte hangeln sich, das ist Browns Rezept, an Touristenattraktionen entlang. Die Florentiner haben nicht viel davon mitbekommen, dass in ihrer Nachbarschaft ein großer Hollywood-Dreh stattfindet - auf den Absperrungen und Klappen wird der Filmtitel diskret verschwiegen. Und als sich doch ein paar Schaulustige vor dem Palazzo Pitti zusammenfinden, halten sie ehrfürchtig Abstand - der Carabinieri wegen, die aber in Wirklichkeit nur Statisten sind für den Dreh. So viel Geheimniskrämerei sorgt zwar für Entspannung am Drehort, aber die Anwohner wären vielleicht weniger zurückhaltend in ihrer Begeisterung, wenn sie wüssten, was da gedreht wird. Die Frau im Zigarettenladen grummelt über Sperrungen und das Knattern eines Hubschraubers, aber als sie hört, dass gerade Luftaufnahmen gedreht werden, wird sie gleich viel gnädiger. Die Florentiner sind eben stolz auf ihre Stadt.

Florenz gehört zu Italiens wichtigsten Attraktionen, mehr als vier Millionen Touristen kommen jedes Jahr her, es war also nur einer Frage der Zeit, bis Dan Brown sich die Altstadt vornehmen würde. Die Szene, die heute gedreht wird, spielt in den Boboli-Gärten, Tom Hanks wird von einer Drohne verfolgt und versucht, in den Palazzo Pitti zu gelangen. In dem landet Langdon später dann auf anderem Weg: Browns Idee, den Vasari-Korridor einzubauen, ist originell, den kennt nicht jeder. Cosimo I. aus der Dynastie der Medici, die vom 15. bis zum 18. Jahrhundert über die Toskana herrschten, hat ihn sich bauen lassen. Er führt über Florenz hinweg, ein Geheimweg, der bis über die Dächer der Läden auf dem Ponte Vecchio hinweg die zwei Paläste der Medici verbindet, damit sie nicht mit dem Pöbel auf den Straßen herumlaufen mussten. Den Palazzo Pitti kaufte Cosimo, und das Land nebendran noch dazu, die Boboli-Gärten. Auch das Battistero di San Giovanni ist Drehort - da findet Robert Langdon Dantes Totenmaske, obwohl ihm entfallen war, dass er sie selbst geklaut hat.

"Langdon kann diesmal auf nichts von dem zurückgreifen, was er sonst kann", sagt Hanks im Palazzo Pitti, seine Worte hallen durch einen Saal im Obergeschoss. Hanks meint damit weniger Langdons Wissensfundus als die Möglichkeit, ihn auch abzurufen: Langdon wurde nach Florenz verschleppt und weiß nicht von wem, er wacht auf einer Krankenstation auf und ist bald auf der Flucht vor Killern. Mühsam setzt er aus Erinnerungsfetzen zusammen, dass es irgendwie um Dante geht. Langdon und Sienna, eine junge Ärztin aus dem Krankenhaus (Felicity Jones) hetzen durch Florenz, um das Komplott eines wahnsinnigen Milliardärs namens Zobrist zu entschlüsseln, der die Erdbevölkerung ausdünnen will. Es geht um Überbevölkerung: Dantes Hölle ist bei Brown reine Beschreibung der Pest, und Langdon jagt dem Behälter hinterher, mit dem Zobrist die Menschheit dezimieren will. Der hat einen Superbazillus im Labor gebraut und will ihn nun aussetzen. Eine alte Freundin Langdons von der Weltgesundheits-Organisation ist ihm auf den Fersen, dann gibt es noch eine geheimnisvolle Agentur für sehr teure Problemlösungen aller Art. Und Langdon leidet an Amnesie und weiß nicht einmal, von welcher Seite aus er in diese Verschwörung hineingeraten ist.

Unterhaltung, aber mit Bezug zu echten Bauwerken

Sagen wir mal so: Obwohl vieles in dieser Geschichte Unfug ist, nimmt Dan Brown das Thema Überbevölkerung einigermaßen ernst, im Buch hat er sogar eine Tabelle untergebracht, die das Wachstum der Menschheit abbildet. Viel mehr ist ihm dann aber doch nicht eingefallen - eigentlich geht es wieder um eine Schnitzeljagd mit Altertümern. Das erwarten die Leser auch - mehr als 200 Millionen Bücher hat er mit dieser Masche schon verkauft.

Im Saal der Fünfhundert im Palazzo Vecchio nimmt Langdons Suche in "Inferno" ihren Ausgang, das einzige, woran er sich erinnert, sind die Worte cerca trova. Die stehen auf einem Fähnchen in Giorgio Vasaris Wandgemälde, hinter dem sich angeblich immer noch ein übermalter Da Vinci befinden soll, und es ist eigentlich erstaunlich, dass diese Räuberpistole in Dan Browns Buch kein eigenes Kapitel bekommen hat. Er liebt solche Mythen. Bei "Sakrileg" war es die steile These, Jesus sei mit Maria Magdalena verheiratet gewesen und seine Erben seien noch heute unterwegs; bei "Illuminati" ging es um eine Verschwörung im Vatikan, der Brown dann aber nicht den Gefallen tat, noch einmal so lautstark zu protestieren wie beim "Sakrileg".

Ron Howard ging schon bei "Illuminati" recht selbstbewusst mit der Vorlage um, ließ vieles weg, was einfach ein bisschen zu sehr das Spektakel sucht - etwa eine Selbstverbrennung auf dem Petersplatz. Wie das ist, wenn der Autor mit am Set ist? Ron Howard sagt, vieles, beispielsweise das Verhältnis der Figuren zueinander im Detail, ergebe sich erst während des Drehs. Man glaubt ihm das - bei "Illuminati" ist auf dem Weg vom Buch zum Film eine ganze Liebesgeschichte verschwunden. Tun Dan Brown die Änderungen an seiner Vorlage weh? "Nein", sagt der mit fester Stimme. "Ich weiß schon, dass das Buch ein Werk ist und der Film ein ganz anderes."

Tom Hanks sucht Konstanz in der Geschichte: "Menschliches Verhalten ändert sich nicht"

Für so viel Kontroversen wie seine Vorgänger wird "Inferno" nicht sorgen, auch wenn man über die Geschichte mit der neuen Pest und den zu vielen Menschen, die die Umwelt verschmutzen und Kriege anzetteln, durchaus streiten kann - aber "Inferno" deklariert, anders als "Sakrileg", keine Fantasien als Tatsachen. Diesmal sind höchstens gequälte Aufschreie von ein paar Kunsthistorikern zu erwarten, wegen der Szene im Dachgestühl über dem Saal der Fünfhundert vielleicht, in der ein Verfolger durchs Deckengemälde kracht. Kann nicht passieren, versichert die Führerin, die den Gästen am Filmset die Dachkonstruktion über dem Saal zeigt. Da oben sieht auch nach fünfhundert Jahren alles sehr solide aus, und das Deckengemälde, das aus 39 Tafeln besteht, wurde auf Holz gemalt.

Ron Howard sind die historischen Bezüge wichtig, er will, dass die Langdon-Filme Unterhaltung sind, aber mit einem Bezug zu echten Bauwerken, Museen - oder Dante. Im Idealfall, findet er, "sind die Geschichten ein Spaß und führen einen dann doch in die Bibliothek." Die historischen Anknüpfungspunkte seien überhaupt der Grund, warum er noch einen Langdon-Film machen wolle: "Ich teile seine Faszination für Geschichte, wenn auch nicht seinen IQ."

Hanks erzählt dann im Palazzo Pitti sogar von seinem Geschichtslehrer, den er bis heute verehrt. "Er zeigte uns die Struktur, wie man an Geschichte herangeht, und so mache ich es bis heute. Der Kern seiner Lektion war, dass Geschichte eine Studie menschlichen Verhaltens ist, und menschliches Verhalten ändert sich nicht. Die Medici wollten den Status quo erhalten, all ihre Sachen behalten, Macht über ihre Feinde haben und immer, immer Zeit haben für eine ordentliche Mahlzeit."

Brown arbeitet inzwischen schon am nächsten Langdon-Roman, aber wohin die Reise diesmal geht, ist noch geheim. "Origins" soll nächstes Jahr erscheinen, es geht, lässt der Verlag mitteilen, "um die großen Fragen der Menschheit" - wieder einmal. Hier, an einem heißen Nachmittag in Florenz, in den Gassen zwischen Dom und Palazzo Vecchio, kommt einem die große Frage der Überbevölkerung und der neuen Pest sogar plötzlich ganz plausibel vor. Von den paar Milliarden Menschen, die auf der Erde zu viel sind, scheint gerade die Hälfte auf Italienreise zu sein, und wenn hier einer ein Retortenvirus aushusten würde, bräche tatsächlich die Pest aus. Seuchensicherheitsabstand ist in diesem Gedränge unmöglich. Und in der Wirklichkeit gibt es nicht mal einen Professor Langdon, der zwischen zwei Vorlesungen die Welt rettet.

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