Bestseller:Der unglückliche Positivist

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Pro: Michael Crichton erzählt die Geschichte der korrumpierten Empirie.

CORD RIECHELMANN

Wenn wir bereits, wie es seit Jahren behauptet wird, im postindustriellen Zeitalter angekommen wären, müssten wir uns nicht über die Erderwärmung unterhalten.

Umweltsünden in Mexiko City: Smok in der Millionenstadt. (Foto: Foto: AP)

Dass die Freiheit der US-amerikanischen Wirtschaft in einem ursächlichen Zusammenhang mit den zerstörerischen Wirkungen der globalen Erwärmung steht, deren Folgen vom Nordpol über den Kilimandscharo bis zum Südpol zu beobachten sind, bezweifelt merkwürdigerweise kaum ein Autor zum Thema. Nicht mal die US-Regierung.

Die weigert sich zwar weltmachtbewusst, das Kyoto-Protokoll zu unterschreiben. Sie hat die Verminderung der Produktion von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen aber auch in den Katalog ihrer Absichtserklärungen aufgenommen.

Und jetzt kommt einer und stört den Einklang der Gewissheit mit der Behauptung, das sei alles Humbug. Die Erde werde zwar wärmer, aber ob das ein menschengemachter oder "natürlicher" Prozess sei, lasse sich nicht entscheiden. Der Mann, der das behauptet, ist kein einsamer Demonstrant mit einem selbstgemalten Plakat vor dem Central Park in New York.

Erfinder der Möglichkeit

Es ist Michael Crichton, Bestsellerautor und Erfinder der Möglichkeit der Zucht von lebendigen Dinosauriern, und er verbreitet sein Votum in den USA mit einer Startauflage von zwei Millionen Exemplaren.

"Welt in Angst", wie der deutsche Titel lautet, kommt aber nicht einfach nur als Wissenschaftsthriller daher. Das Buch enthält ein Nachwort, Fußnoten und zwei Anhänge. In denen Crichton erklärt, warum "politisierte Wissenschaft gefährlich ist" und in einer "kommentierten Bibliografie" seine Quellen und damit auch seinen Gedankengang dem Spurenleser als Schnitzel präsentiert.

Er hat ein wirkliches Problem. Er steht vor einem globalisierten Acker und weiß nicht recht, wo er den ersten Spatenstich setzen soll. Außerdem schreibt er aus einem anti-liberalen Affekt heraus. Sein Gegner ist das amerikanische Juste-milieu in Staat, Wissenschaft, Wirtschaft und Naturschutzorganisationen.

Also fragt er nach dem Effekt, den die Protagonisten des Just-milieu im Zusammenhang mit der Erderwärmung zuerst hervorbringen. Und findet ihn in der Angst.

Dass es einen Konnex zwischen "ökologischer Kommunikation" (Niklas Luhmann) und der Angst gibt, hat Luhmann bereits 1986 betont und entgegen seiner sonstigen Gewohnheit der Angst "eine große politische und moralische Zukunft" vorausgesagt. "Die Angst kann den Anspruch erheben, allgemein zu sein: volonté générale", schreibt Luhmann.

Bangemachen gilt nicht

Der Witz von Luhmanns Kennzeichnung der Angst als volonté générale wird deutlicher, wenn man eine Bestimmung des Philosophen Robert Spaemann dazunimmt: ",Volonté générale' ist ja ein 'rechter' Begriff.

Er repräsentiert das Erhaltungsprinzip der politischen Einheit des Staates". Gegen die Angst als Erhaltungsprinzip des Status quo richtet sich Crichton und meint: Bangemachen gilt nicht. Das meint er so ernst, dass er fast seinen Thriller vergisst.

Spektakel für Spenden

Mann mit Hund vor Schornstein. (Foto: Foto: ddp)

Der ist dann auch schnell erzählt. Es beginnt mit einem Paukenschlag, um dessen aktuelle Konnotationen Crichton während des Schreibens noch nicht wissen konnte. In Paris arbeitet ein junger Physikdoktorand an Tsunami-Simulationen.

Der junge Mann wird dabei von einer hübschen jungen Frau erst verführt und dann in der Seine versenkt. Dass die Terroristin eher aus einer Modelagentur rekrutiert wurde als aus der Studienstiftung des deutschen Volkes, ist dabei eine Art Kompositionsmuster. Frauen sind in "Welt in Angst" gern "schön" und "hinreißend". Und so geht es weiter.

Man kommt nach London in die "hippe Grafikagentur" Design/Quest, landet in Island, wo sich der Millionär und Umweltschützer George Morton vor einem Gletscher darüber wundert, "dass sich so viele Frauen für Geologie interessieren". Tun sie allerdings nur bedingt.

Hinter den Aktionen steckt ein gewisser Nicholas Drake, Chef der Umweltschutzorganisation NERF. Die hat die Probleme, die große Umweltschutzorganisationen zur Zeit haben. Das Spendenaufkommen geht zurück und ihre Aktionen werden nicht mehr so sehr wahrgenommen.

Ökoterroristen lösen ein Seebeben aus

Also plant Drake ein Spektakel von mörderischen Ausmaßen. Ökoterroristen sollen ein künstliches Seebeben auslösen, in deren Folge ein Tsunami den Küstenbewohnern die verheerenden Folgen der globalen Erwärmung vor Augen führt. Auf dem Weg zurück in die öffentliche Wahrnehmung engagiert Drake aber nicht nur Terroristen.

Er fälscht Forschungsergebnisse und bedrängt Wissenschaftler. Man ist Drake aber nicht ganz ausgeliefert. Es gibt da noch Kenner, MIT-Absolvent, "nicht sonderlich groß, aber kräftig, mit massigen Schultern und athletischem Brustkorb". Typ ehrliche Haut, Geheimagent und Drake auf den Fersen.

Man hastet mit den beiden durch die Geschichte, folgt langen Gesprächen über den Wandel der Universitäten in der Informationsgesellschaft und das System der Forschungsfinanzierung, um endlich zum Abspann zu kommen. Man wird beim Lesen das Gefühl nicht los, dass es Crichton genauso geht.

Im Anhang stellt er seine Gedankenlinie vor, die er nicht breit ausmalt, aber immerhin so skizziert, dass man sie nachzeichnen kann. "Wir brauchen eine neue Umweltschutzbewegung mit neuen Zielen und neuen Organisationen. Wir brauchen mehr Menschen, die vor Ort arbeiten, draußen in der Natur, und weniger Menschen hinter Computerbildschirmen.

Wir brauchen mehr Wissenschaftler und weniger Anwälte", lautet sein Credo. Nimmt man das ernst, dann folgt daraus erstens, dass Crichton symbolische Politik nicht mag, und zweitens, dass er keine andere Welterklärung kennt, als die von den Wissenschaften hergestellte.

"Wir brauchen eine neue Umweltschutzbewegung"

Und damit wird es schwierig. Denn so naiv, dass er nicht weiß, dass Politik, Technologie und Wissenschaft sich gegenseitig durchdringen, ist er nicht. Also versucht er, den Komplex zu entwirren und benennt einen Gegner, mit dem seiner Meinung nach das Übel in die Ökologie beziehungsweise Biologie kam: Thomas Robert Malthus.

Die Vorliebe für den Bevölkerungstheoretiker nennt er "ungesund". Das ist eine feine Kritik am Denker der Gesundschrumpfung der Menschheit durch die Auslese und Zucht der Gesunden und Besten. Und es ist ein Angriff auf den politischen Darwinismus.

Es gibt mittlerweile eine ganze Literatur darüber, welche Bedeutung Malthus' Essay "Über die Bevölkerung" für die Konzeption des "Kampfes ums Dasein" für Darwin hatte. Crichton zieht von Malthus aus eine Linie ins Horrorkabinett der Eugenikforschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Eugenik ist für Crichton der Inbegriff einer "politisierten Wissenschaft".

Was er dazu in seinem kurzen Statement schreibt, hat es in sich und entzieht sich der ironisierenden Kritik, mit der angelsächsische Zeitungen ihn bedachten.

Angriff auf Darwin

Eugenik-Forschung hatte Anhänger in allen Lagern, rechts und links, bei Frauenrechtlerinnen, sie wurde von George Bernhard Shaw, Winston Churchill und Woodrow Wilson gleichermaßen geschätzt. Die Rockefeller Foundation unterstützte noch 1939 in Deutschland Eugenikforschungsprojekte auf "höchstem Niveau".

Bei Crichton kann man es nachlesen, und für die Verhältnisse in Deutschland hat er die beste Quelle, die man haben kann: Ute Deichmanns Standardwerk "Biologen unter Hitler". Crichton dient Deichmanns Studie als Argument gegen die oft unterstellte unabhängige Wahrheitssuche der Naturwissenschaftler.

Deichmann hatte wie selbstverständlich bei den Recherchen zu ihrer Studie nach politischen Weisungen gesucht, die den Wissenschaftlern den Weg in ihre grausamen Versuche wiesen, und keine gefunden. Es gab keine. Die Forscher brauchten keine. Sie lieferten die politisch gewünschten Versuche und Resultate auch ohne Befehl.

Dem Bogen, den Crichton von der Eugenikforschung zum Phänomen der Erderwärmung zieht, muss man nicht folgen. Das verlangt Crichton nicht. Was man aber sehen kann, ist, wie sich eine große Theorie, die der globalen Erwärmung, als Erklärungsschema über Dinge legt, die damit erst mal nichts zu tun haben.

Hinweise auf den Unfug

Wenn Walforscher sich überlegen, wie sie ihre Forschungsfragen mit der Erderwärmung in Verbindung bringen können, weil es "in dem Topf gerade Geld gibt", dann kann daraus nicht nur falsches Denken, sondern auch korrumpierte Empirie folgen.

Wenn unter dem Vorwand der eventuell bald einsetzenden Verknappung fossiler Brennstoffe wie Erdöl die Atomenergie als "saubere Energie" ins Bewusstsein zurückgeschrieben wird, dann finden sich in Crichtons Bibliografie Hinweise auf diesen Unfug.

Es gibt nämlich ein Übertragungsproblem von Theorien auf Gegenstände, für die sie nicht gemacht sind. Mit dem von Robert Aunger herausgegebenen Band "Darwinizing Culture" zitiert Crichton eines der Bücher, in dem in wünschenswert klarer Form an einigen Fallbeispielen die Darwinisierung der Kultur durchgespielt wird.

Der ältere weise Mann

Umgekehrt verfährt Crichton in seiner Kritik der Ökologie. Es gibt kein ökologisches Gleichgewicht, sagt er und liefert ein paar Quellen, die das verdeutlichen. Eine Wissenschaft aber, die von idealisierenden Prämissen ausgeht, liefert auch an Eliteuniversitäten keine exakte Beschreibung der Verhältnisse.

Im Unterschied zu dem Eindruck eines älteren weisen Mannes, den soviel nicht mehr in seinem Glück erschüttern kann, den Crichton öffentlich gern von sich gibt, sind Anhang und Bibliografie hochgradig nervös infiziert. Sie zeichnen das Bild eines unglücklichen Positivisten.

© SZ vom 21.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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