Bestseller-Autor Timur Vermes:"Wir haben zu viel vom gleichen Hitler"

Darf man Adolf Hitler in einem Roman durchs heutige Berlin wandeln lassen? Darf er in Situationen geraten, die lustig wirken? Ja, sagt Schriftsteller Timur Vermes über sein Buch "Er ist wieder da" - wenn man den Witz mit einer unverdaulichen Beilage serviert. Ein Interview über Monstrosität und Attraktivität eines Diktators und eine Verweigerungshaltung, die bis heute wirkt.

Oliver Das Gupta

Timur Vermes mit seinem Roman "Er ist wieder da".

Timur Vermes mit seinem Roman "Er ist wieder da".

(Foto: dpa)

Timur Vermes, Jahrgang 1967, studierte Geschichte und Politik. Viele Jahre arbeitete er als Journalist, unter anderem für die Abendzeitung. Seit 2007 schrieb Vermes als Ghostwriter mehrere Bücher. Seinen ersten offiziellen Roman "Er ist wieder da" veröffentlichte er im September 2012. Seit Wochen hält sich seine absurde Fikton vom in der Gegenwart erwachten Nazi-Diktator Adolf Hitler in den Bestsellerlisten.

SZ.de: "Schon wieder Hitler", werden die Foristen vermutlich unter unser Gespräch schreiben. Was antworten Sie denen, Herr Vermes?

Timur Vermes: Dass wir nicht zu viel Hitler haben, sondern zu viel vom gleichen Hitler. Immer dieselben Erklärungen, immer dieselben Zugänge, immer dieselben Perspektiven. Und wir haben zu oft die Verweigerungshaltung von Leuten, die Hitler nur als Monster akzeptieren - um sich selbst besser zu fühlen.

Ging es Ihnen auch so?

Klar. Auch ich habe mich lange dran gewöhnt, Hitler als zwangsläufigen Teil der Geschichte zu sehen. Nach dem Motto: Erst kommt der Erste Weltkrieg, dann die Weimarer Republik, dann die Phase mit dem furchtbaren Irren, die Hetze, die Diktatur, die Judenvernichtung. Aber dann stellt man fest: Das reicht nicht. So kann es nicht gewesen sein.

Was fehlte Ihnen?

Die offenkundige Attraktivität des Menschen Adolf Hitler. Der Mann dachte und arbeitete zwar nach einer völlig verquasten Logik, aber damit allein kann man noch keinen Massenmord begehen. Es haben ihm eine Menge Leute geholfen, weil sie ihn toll fanden. Wenn aber so viele ihm geholfen haben, kann er nicht so grauenhaft auf sie gewirkt haben. Menschen wählen keine Irren, Menschen wählen Menschen, die sie attraktiv oder bewundernswert finden.

Dass weite Teile der Bevölkerung ihn damals verehrten, ist eine Binsenweisheit.

Mag sein, den Grund dieser Verehrung kann Ihnen heute aber kaum noch jemand erklären. Die Medien zeigen heute vor allem den Monsterhitler, der alle einschüchtert, und den Kasperhitler. Seine Wähler von damals sehen von diesem Standpunkt aus wie Idioten. Und wir zappen beruhigt weiter: Heute sind wir schlauer, wir würden nie Monstern oder Kaspern nachlaufen. So schlau wie wir waren die damals aber schon auch. Hitler konnte offensichtlich auch freundlich, klug und charmant wirken. Das ist der Punkt, mit dem wir uns ziemlich schwertun. Ein monströser Hitler macht es uns einfach. Denn je unwiderstehlicher das Böse war, desto weniger Schuld scheinen diejenigen auf sich geladen zu haben, die ihm eifrig geholfen haben. Im Umkehrschluss: Wenn Hitler nicht absolut böse war, sondern auch nette Seiten hatte, kann das mit dem Monster so nicht stimmen. Dann wird plötzlich deutlich, dass viel mehr Menschen freiwillig mitgemacht haben.

"Hitler kommt nicht mehr, aber eine andere Verführung"

Was halten Sie von der gegenwärtigen Erinnerungskultur an die Nazi-Zeit?

Adolf Hitler mit Kind, 1936 SZ Photo

Der Tyrann und das Mädchen: Adolf Hitler während eines Besuchs an der Ostsee 1936.

(Foto: SZ Photo)

Sie erschöpft sich leider zu oft in Ritualen, im Abklappern von Etiketten. Oft heißt es, man werde es rechtzeitig verhindern, bevor ein neuer Hitler kommt. Ich habe versucht zu zeigen, dass Hitler durchaus eine Chance hätte, Erfolg zu haben - nur etwas anders. In meinem Buch machen die Politiker formal nichts falsch. Aber am Ende reicht ein simpler Zugang, ihn sympathisch erscheinen zu lassen: Hitler wird von Neonazis zusammengeschlagen. Und wer von Neonazis malträtiert wird, so der Kurz-Schluss, kann doch kein schlechter Mensch sein. Es wird kein Hitler mehr kommen, aber wir werden anderen Formen der Verführung ausgesetzt sein. Das müssen wir verinnerlichen.

Hitler wacht in Ihrem Buch im Jahre 2011 in Berlin auf - und Sie erklären nicht, wie und warum er dort hinkommt. Inwieweit wird Ihr Nazi-Diktator der historischen Figur gerecht, so ganz ohne Göring, ohne Eva, ohne Blondi?

Das Szenario Hitler in die Gegenwart zu versetzen, ist ein phantastisches Element, das ich mir erlaubt habe. Des Weiteren habe ich versucht, nicht zu flunkern, sondern nahe an der historischen Figur zu bleiben. So stammt der Stil aus "Mein Kampf": Er kommt von Hölzchen zu Stöckchen, ist prätentiös, wie einer aus kleinen Verhältnissen glaubt, dass ein Buch sein müsste. Inhaltlich haben seine Monologe im Führerhauptquartier weitergeholfen. Mir war wichtig zu zeigen, wie er tickt und wie er heute agieren würde. Und dass da durchaus sinnvolle Ansichten dabei sind: Auch Hitler würde ein Feuer mit Wasser löschen - der schleichende Übergang von Vernunft zu Irrsinn macht ihn ja so gefährlich.

Ihr Hitler gerät in Situationen, die mitunter amüsieren. Haben Sie keine Sorge, dass das den Tyrannen verharmlost?

Nein, das Amüsante macht es ja erst interessant. Das Amüsante signalisiert bei uns ja immer: Jetzt kann dir nichts passieren, jetzt gibt's nur Witze. Und ich nutze diese Arglosigkeit des Lesers, ich serviere diese Situationen immer mit einer Beilage, die unverdaulich ist. Da beobachtet Hitler eine Frau mit Hund. Der macht sein Häufchen, was das Frauchen mit einer Plastiktüte aufnimmt und entsorgt. Hitler denkt, die Frau wäre verrückt. Das klingt lustig. Ist es aber nicht, denn für Hitler ist klar: Die aus seiner Sicht irre Hundehalterin muss sterilisiert werden, damit sie sich nicht fortpflanzt. Das kommt wie eine Ohrfeige aus dem Nichts, genauso beiläufig wie die Gags vorher - aber es steht genauso deutlich da. Die Bewertung bleibt dem Leser überlassen, aber wer das für harmlos hält, den beobachtet hoffentlich schon der Verfassungsschutz.

Warum lassen Sie Hitler aus der Ich-Perspektive erzählen?

Weil die Ich-Perspektive dem Leser die Möglichkeit zum Ausweichen nimmt. Er ist nicht mehr nur Beobachter, er ist Partei. Er sitzt in einem Kopf, in dem er nie sitzen wollte, und er stellt fest, dass man's da überraschenderweise ganz gut aushält. Die zweite Frage ist: Warum Hitler? Weil Hitler neue Möglichkeiten eröffnet. Bei wohl keiner Figur der Menschheitsgeschichte ist jede noch so unbedeutende Handlung oder Meinung im Voraus bewertet. Ich habe mir zum Beispiel vorgestellt, dass Hitler Veronica Ferres toll finden würde.

Weil er den Film Schtonk gesehen hat?

(lacht) Nein, weil sie groß und blond ist. Was sagt das über Ferres aus? Natürlich nix! Und was sagt das über ihn aus? Eigentlich auch nix, aber trotzdem vermuten wir in dieser Vorliebe sofort eine tiefere Bedeutung. Hitler findet die Ferres gut, also muss sie doch schlecht sein, oder? Und wenn man sich dazu verhalten will, muss man zugleich auch aufpassen, ob man sich anschließt oder nicht. Merken Sie, was das aus einem macht? Das war schon unheimlich reizvoll.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: