Best-of-Plattenkabinett:Unsere Alben des Jahres

Rekordvertrag für Alben von Michael Jackson

Teil der Alben des Jahres: Michael Jacksons "Xscape".

(Foto: dpa)

Gewiefte Produzenten haben ein paar Schätze aus Michael Jacksons Archiv gehoben, St. Vincent wird immer wunderbarer und Taylor Swift singt glatt und laut und leicht. Welche Platten unseren Kritikern 2014 besonders gefallen haben: Ein Best-of, Teil II.

Von Gökalp Babayiğit, Kathleen Hildebrand und Sebastian Gierke

Michael Jackson: Xscape

Seit fünfeinhalb Jahren ist er schon tot, und nicht nur jüngeren Generationen ist er vor allem in Erinnerung geblieben als der weltfremde Phantast, als märchenhaft reich und berühmt gewordener und wieder abgebrannter Verrückter. Als großes Kind und Wohltäter, dem pädophile Neigungen nachgesagt wurden. "Off the Wall"? 30 Jahre alt, wird heute nie in Gänze gehört. "Thriller" und "Bad"? Klar, die schon. Der Rest aber ist Ekel. Das traf auch auf das erste posthum veröffentlichte Album "Michael" zu. Eine schöne Schweinerei war das. Doch Jacksons musikalischer Nachlass ist riesig. Es drohten weitere Projekte.

Im Namen des einstmals alles beherrschenden Sonnenkönigs der Musikwelt ist 2014 das zweite posthume Album erschienen, das aus diversen Gründen eigentlich nicht das Album des Jahres sein kann. Weder stellt "Xscape" den Ist-Stand der Popmusik im Jahr 2014 dar (wie es vielleicht FKA Twigs vermag, oder St. Vincent, oder Beyoncé oder oder oder), noch steht es an der Spitze einer Retrowelle. Es ist, bei Lichte betrachtet, lediglich ein von gewieften Produzenten mit aktuellen Beat-Zutaten angereichertes Werk, das vor Jahrzehnten eingesungene Gesangsparts Jacksons ins Jahr 2014 begleiten soll. Und doch: Sie haben ein paar Schätze gehoben und herrlich aufpoliert, die gewieften Produzenten Timbaland, Jerome "J-Roc" Harmon, Rodney Jerkins und die Norweger von "Stargate".

Was also passiert auf "Xscape"? Erinnerungen werden wach, und keine schlechten.

In "Love Never Felt So Good", das eine ganz passable Daft-Punk-Pharrell-Williams-Disco-Behandlung erfahren hat, klingt Jackson wieder nach dem Mann, der auf "Off the Wall" und "Thriller" Pop und Soul vereint hat: dieses Entspannt-Nonchalante, Unbeschwert-Verliebte wie in "The Girl is Mine" oder in "I Just Can't Stop Loving You". Er scheint seinen Spaß gehabt zu haben, als er es 1983 einsang, das "Alright, it's fine" am Ende des Stücks hätte es da gar nicht als Beweis gebraucht.

In "Chicago" steigert sich Jacksons Stimme - über Timbalands stolpernden Bass - vom Raunenden aus "Liberian Girl" ins Eindringliche von "Man in the Mirror".

"A Place With No Name" gelingt das Kunststück, sich gleich an zwei Stücke anzulehnen: Americas "A Horse With No Name" und Jacksons eigenes "Leave me Alone", dessen Bassline hier kaum getarnt durch die 5:35 Minuten wummert.

In "Slave to the Rhythm" treiben es die Produzenten mit dem Bass, befeuert von Michaels "Whoo-hooos", seinem Jauchzen und Juchzen, auf die Spitze und lassen den Zuhörer an "Dangerous" denken, Jacksons wohl letztes großes Album. In "Do You Know Where Your Children Are", das mit einem massiven Keyboardeinsatz der Botschaft des Songs Nachdruck verleihen soll, ist man dann beim späten Jackson gelandet, jener Mann, der möglichst direkt eine Message rüberbringen wollte: gegen sexuelle Ausbeutung von Frauen, gegen Kindesmissbrauch.

Zurück im Jahr 2014

Spätestens bei dieser Nummer ist man wieder zurück im Jahr 2014 und erinnert sich an den Ruf, der Jackson bis kurz vor seinem Tod anhaftete.

Trotzdem will man den Machern von "Xscape" ein Kompliment machen. Ihnen gelang weitestgehend, den alten Songs einen modischen Anzug zu verpassen - und Jacksons überbordendem Talent den Platz zu lassen, den es immer verdienen wird. Keine Ahnung, ob "Xscape" so klingt, wie Jackson heute klingen würde, wäre er nicht vor sechs Jahren gestorben. Aber man könnte gut damit leben, wenn es so wäre.

Gökalp Babayiğit

  • Das Christkind beschenkt mit dieser Platte ... Nostalgiker
  • Wer dieses Album in zehn Jahren auflegt, denkt: Jetzt bin ich verwirrt. Ich dachte, Jackson ist 2009 gestorben.

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

St. Vincent: St. Vincent

Weiß gebleichte Locken, vampirblasse Haut und ein Kleid wie gemacht für eine Weltraum-Gala - so wie Annie Clark auf dem Cover ihres Albums aussieht, klang ihre Musik eigentlich schon immer: widerständig, sehr modern und manchmal einen Tick zu strapaziös, um sie auf Dauer-Repeat stellen zu wollen.

Zwei Drittel dieser Eindrücke stimmen noch, nur der letzte stimmt nicht mehr. Mit "St. Vincent" hat St. Vincent in diesem Jahr alles Wunderbare aus ihrer musikalischen Vergangenheit genommen, es nochmal ganz genau angesehen und dann neu zu etwas noch viel Wunderbarerem zusammengesetzt.

RNPS YEAR END 2014 - VANITY FAIR'S BEST-DRESSED LIST

Jetzt noch wunderbarer: St. Vincent.

(Foto: REUTERS)

Da sind die schlichten, klaren Melodien von "Prince Johnny" und "I Prefer Your Love", die schon ihr Debüt "Marry Me" ausmachten. Die verzerrten, schnarrenden Prog-Rock-Gitarren-Teppiche, mit denen sie auf ihrem zweiten Album "Actor" sehr konsequent gegen ihr zart-großäugiges Niedlichkeitsimage anging, sind in den Hintergrund getreten.

Dafür wehen jetzt Jazzklänge durch die Songs und nostalgische Marching-Bläser erden einen Titel über das Menschsein im Social-Media-Zeitalter ("Digital Witness"). Das ist unerwartet und sehr innovativ, aber auch von einer neuen Wärme, so dass man die Verbindung aus ganz und gar ungehört klingender Musik und tief empathischen Texten schon fast weise nennen muss.

Vielleicht beschreiben zwei Liedzeilen aus einem der schönsten Songs auf diesem Album am besten, was für einen Erkenntnisgewinn diese Synthese dem Hörer beschert: "Prince Johnny, you're kind but you're not simple" singt Anni Clark in "Prince Johnny", "But now I think I know the difference". Wer freundlich ist, und auch mal so klingt, ist noch längst nicht einfach gestrickt.

Auf "St.Vincent" kommt beides zusammen: große freundliche Hör-, ja fast Tanzbarkeit - und die Lust am Experiment, die St.Vincent immer schon hatte und die ihr den Ruf einbrachte, ziemlich arty, wenn nicht abgehoben zu sein. Sicher, ihre Rolle als große Außenseiterin des amerikanischen Pop wird St. Vincent nie aufgeben. Aber 2014 war ihr Jahr - und es klang so gut, dass man gern an ein neues, interessanteres Zeitalter der Mainstream-Musik glauben möchte.

Kathleen Hildebrand

  • Das Christkind stopft dieses Album gerne in die Socken von: Menschen, die 2015 Großes vorhaben.
  • Wer dieses Album in zehn Jahren auflegt, denkt: Damals war Beyoncé ja noch berühmter als Annie Clark.

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Taylor Swift: 1989

"Prätentiöser Großkotz?" Kann ich mit leben, wenn das vom "Hauptsache: Huch"-Magazin Vice kommt, dem Zentralorgan der prätentiösen Hipster-Großkotzigkeit. Die Vice urteilt jedenfalls so über die, die "1989" von Taylor Swift für das Album des Jahres halten.

"1989" ist trotzdem das Album des Jahres. Ganz klar.

Großkotz also: Wenn ich mir - bei allem Respekt - die Wahl meiner über die Maßen geschätzen Kollegen so ansehe: The Notwist, Ryan Adams, Swans, St. Vincent ... Gute Alben, klar, kann man alles hören. Genau wie, Ja, Panik mit "LIBERTATIA", Jens Friebe ("Nackte Angst, zieht Dich an, wir gehen aus"), Flying Lotus ("You're Dead!"), Neneh Cherry ("Blank Projekt"). Stehen alle auf meiner 2014-Liste weit vorne. Aber Alben des Jahres? Ne... Das sind keine Alben, die dieses Jahr geprägt haben, die man mit diesem Jahr verbindet. Nicht so jedenfalls wie "1989".

Taylor Swift

Da kann die Vice sagen, was sie will: Taylor Swifts "1989" ist eines der Alben des Jahres 2014.

(Foto: dpa)

2014 hat die ehemalige Country-SängerinTaylor Swift endgültig zum Pop-Superstar gemacht. Die Fakten: "1989" ist das einzige Album, das in diesem Jahr mehr als eine Million Mal verkauft wurde, allein in der ersten Woche waren es 1,3 Millionen Stück. Das Time Magazin wählte Swift zu "Amerikas wichtigster Musikerin".

Erfolg ist noch kein Ausweis von Qualität, wird da allerorts gemeckert? Quatsch.

Natürlich liegt die Qualität eines Popkünstlers nicht im Misstrauen, das ihm von der Masse entgegengebracht wird - so wie in anderen Kunstgenres -, sondern auch und vor allem im Erfolg. Der ist im Pop, dieser Feier des Augenblicks, natürlich eine ästhetische Kategorie.

"1989" ist großartig gemacht, handwerklich grandios gearbeitet. Mit einem Überhit: "Shake It Off". Perfekt. Swift hat keine überragende Stimme, aber das weiß sie und macht daraus das beste: glatt und laut und leicht. Das ist Gute-Laune-Pop inklusive Fingerschnippen und dem unbedingten Bedürfnis, mitmachen zu wollen. 2014 hat das niemand besser gemacht.

Bewusst naiv und voller Selbstironie

Swift spielt das Spiel des Pop, in dem es darum geht, Erwartungen auch mal ostentativ zu erfüllen, so gut wie niemand sonst gerade. Das, was schon da ist, arbeitet sie musikalisch durch. Nicht am HipHop und R&B orientiert sie sich mit ihren Songs, so wie das die anderen weiblichen Stars im Moment vorführen, sondern an den späten Achtzigern, den großen Popgesten - und optimiert dieses Modell.

Swift singt über das Gefühl, heute jung zu sein. Und intelligent. Und verspricht dabei nicht zu viel. Erzeugt keine übertriebenen Erwartungen an sich, das Frau-Sein, das Leben. Wie ihre Freundin Lena Dunham, Schöpferin der TV-Serie Girls, unterwirft sie sich nicht dem Diktat der Hipness, der ständigen Selbstoptimierung. Das ist natürlich ein bisschen naiv, aber es ist bewusst naiv und voller Selbstironie. "Haters gonna hate hate. Hate hate hate. Baby I'm just gonna shake, shake. Shake, shake, shake. Shake it off."

Die Vice schreibt übrigens auch über "1989"-Apologeten wie mich:

"Du solltest weniger Musik hören und in die japanische Politik gehen oder wahlweise der Pegida-Bewegung unter die Arme greifen, die können Typen wie dich gebrauchen." Da muss ich dann doch entschieden widersprechen. Die angstzerfressenen Pegida-Deppen, die haben nun wirklich keinen Sinn für den Spaß, den "1989" in diesem Jahr gemacht hat.

Sebastian Gierke

  • Das Christkind beschenkt mit dieser Platte ... Menschen, für die die Vice zu angestrengt hip ist.
  • Wer dieses Album in zehn Jahren auflegt, denkt: Das war also 2014.

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