Best-of Plattenkabinett:Unsere Alben des Jahres

RYAN ADAMS IN HAMBURG

Zartschmelzende Sehnsucht trifft einen Hauch von Leichtigkeit - so lässt sich Ryan Adams Musik beschreiben.

(Foto: dpa)

Bei Ryan Adams geht es sarkastisch zu, bei The Notwist fiept und blubbert alles genau da, wo es soll, und The Swans lassen sich Zeit, viel Zeit. Welche Platten unseren Kritikern in diesem Jahr besonders gefallen haben. Ein Best-of, Teil I.

Von Felix Reek, Thierry Backes und Bernd Graff

Ryan Adams - Ryan Adams

Ein wenig entsprach Ryan Adams immer dem Klischee des leidenden Künstlers, dem es richtig mies gehen muss, um Außergewöhnliches zu schaffen. Unglückliche Lieben, Drogen, sie alle führten bei ihm zu tieftraurigen, zerbrechlichen Alben. In manischen Arbeitsschüben veröffentlichte er Songzusammenstellungen, oft mehrmals pro Jahr. Ausschuss war trotz der hohen Frequenz kaum darunter. So angenehm das für den Hörer war, so sehr zerfraß es Adams. Als die Gesundheit nicht mehr mitspielte, klappte der empfindliche Songwriter zusammen. Touren wurden regelmäßig abgesagt, seine Band "The Cardinals" zerbrach.

Adams ist seit Jahren an Morbus Menière erkrankt, einer Erkrankung des Innenohres, die zu Drehschwindel, Ohrensausen und einseitigem Hörverlust führt. Er konsultierte einen Hypnotherapeuten und bekam mit ihm und medizinischem Marihuana die Symptome unter Kontrolle. Auch in sein Liebesleben kehrte Ruhe ein. Seit 2009 ist er mit Schauspielerin und Sängerin Mandy Moore verheiratet. Das Ergebnis dieser neu gefundenen Ausgeglichenheit ist das erste Album von Ryan Adams nach drei Jahren. Es ist eines seiner stärksten - und mit Sicherheit das Beste eines Singer-Songwriters in diesem Jahres. Aber natürlich wäre es übertrieben zu sagen, so etwas wie Frohsinn hätte sich bei Adams breit gemacht.

Zartschmelzende Sehnsucht

Schon auf dem Cover blickt er dem Hörer entgegen, als habe er gerade Drehpause bei "Edward mit den Scherenhänden". Die Musik des dazugehörigen und schlicht "Ryan Adams" betitelten Albums ist wieder so melancholisch, wie es eigentlich nur der 40-jährige Amerikaner vermag. Diese zart schmelzende Sehnsucht in der Stimme besitzt in der Schnittmenge aus Country, Americana, Rock und Folk sonst niemand.

Aber: Eine gewisse Leichtigkeit ist dennoch zu spüren. Oder zumindest das, was Ryan Adams dafür hält: Sarkasmus. "Sieben Jahre Unglück ist immer noch besser als eines", singt er zum Beispiel in "Trouble". Und Ärger, ja Ärger hatte der Sänger in den letzten Jahren schließlich mehr als genug. Aber man muss es mit Humor nehmen. Denn wie heißt es nur wenig später: "Hey, wir könnten auch lange tot und verschwunden sein."

Die tiefe Traurigkeit, die alle Alben von Adams besitzen, sie ist natürlich noch immer da, aber irgendwie erträglicher als in früheren Werken, wo er noch verzweifelt schrie: "Love is hell". Ryan Adams ist zur Ruhe gekommen. So konzentriert ging er lange nicht mehr zu Werke. Das erinnert an die frühen Alben von Tom Petty und Bruce Springsteen und genau da scheint er sich am wohlsten zu fühlen.

Der Opener "Gimme Something Good" zum Beispiel ist der Song, den man für den Rest des Jahres nicht mehr aus dem Kopf bekommt. "My Wrecking Ball" wiederum, nicht zu verwechseln mit Miley Cyrus' Stück, ist das schönste Liebeslied des Jahres. "Hey, du bist meine Abrissbirne, willst du nicht vorbeikommen und mich umhauen?", heißt es zur zarten Gitarre. Welche Frau würde da nicht schwach werden?

Ryan Adams scheint also einen Weg gefunden zu haben, beides zu sein: traurig und glücklich zugleich. Die Liebe, sie ist zwar immer noch die Hölle, aber man kann genauso "nur dasitzen und zusehen, wie alles verbrennt ("Am I Safe")". In der Welt des Sängers ist das zumindest ein kleiner Fortschritt.

Felix Reek

  • Das Christkind beschenkt mit dieser Platte ... Menschen, die auch die Smiths und Bruce Springsteen hören.
  • Diese Alben waren ebenfalls Anwärter auf den Titel "Platte des Jahres": Mastodon "Once Around The Sun", The Swans "To Be Kind", Pallbearer "Foundations Of Burden".
  • Wer dieses Album in zehn Jahren auflegt, denkt: Es wird von Jahr zu Jahr besser.

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

The Notwist - Close To The Glass

The Notwist

Das siebte Album der Electro-Pioniere von The Notwist blubbert und fiepst genau dort, wo es soll.

(Foto: oh)

Gut, es war vielleicht ein wenig optimistisch zu hoffen, dass Markus Lanz ausgerechnet in seiner letzten "Wetten, dass ..?"-Show einen Moment für die Ewigkeit kreieren würde. Und vermutlich hätte man auch nicht erwarten dürfen, dass die Redaktion zum Abschied so richtig auf die Kacke haut und - mindestens - Taylor Swift, Justin Bieber und Lady Gaga einlädt. Aber die Fantastischen Vier zum Auftakt, der Graf zum Abschied, und mittendrin Helene Fischer - sollte das ein Witz sein? Oder ist es Ende 2014 so schlecht bestellt um den deutschen Pop?

Keineswegs. In der jüngeren Vergangenheit haben deutschsprachige Musiker in einem Jahr selten so viele kluge Texte veröffentlicht wie in diesem, und man muss nicht mal neidisch nach Österreich (Ja, Panik; Bilderbuch) schielen, um sie zu finden. Jens Friebe zum Beispiel hat seinem herrlich wunderlichen Album den schönen Titel "Nackte Angst, zieh Dich warm an, wir gehen aus" gegeben, "Die Nerven" haben ihre Wut in plakative, depressive Zeilen gepackt, und wem das zu finster ist, der findet bei der Spaßfraktion wortgewandte Erheiterung, bei Kraftklub etwa oder bei Marteria.

Wenn es nun aber darum geht, aus den vielen deutschen Einsendungen das "Album des Jahres" herauszupicken, so führt der Weg mal wieder in die Weilheimer Zauberstube. Mal wieder, weil sich seit "Shrink" (1998) alle Platten von The Notwist diesen Titel verdient haben. Der BR-Zündfunk hat "Neon Golden" (2002) gar zum Album des vergangenen Jahrzehnts erklärt. Nun also "Close To The Glass", das siebte Werk der Gebrüder Acher, die in den Neunzigern als Punker begannen und sich seit ihrer Zusammenarbeit mit dem Soundtüftler Martin Gretschmann einen Button mit der Aufschrift "Elektropioniere" ans Revers heften dürften. Was sie, selbstredend, niemals tun werden.

Notwist-typische Melancholie

The Notwist verweigern sich dem Musikzirkus, sie veröffentlichen nur alle paar Jahre ein paar Songs. Und an denen tüfteln sie so lange herum, dass man nicht umhin kommt, ihnen einen Drang zum Perfektionismus zu attestieren, der auch einem Thom Yorke oder einem Geoff Barrow nicht fremd ist. Jedes Sound-Fitzelchen blubbert oder fiept genau dort wo es soll, zu hören ist das etwa bei "Run Run Run" oder bei "Lineri", einem neun Minuten langen, ebenso vielseitigen wie reduzierten Instrumental-Stück Marke Kraftwerk. Daneben stehen eingängige Melodien ("Kong"), und natürlich darf die die Notwist-typische Melancholie nicht fehlen, die sich in "Casino" am deutlichsten manifestiert, dem traurigsten und schönsten Notwist-Stück seit "Consequence":

"There's something wrong/ You don't tell me/ There's something wrong/ With me."

Während ich das hier schreibe, erinnere ich mich an den ersten Eindruck, den die Platte hinterließ, als sie Ende Februar erschien, und es ist schon erstaunlich, wie sich die Wahrnehmung über die Monate verändert hat. Aus kalt und befremdlich ist inzwischen warm und herzlich geworden. Das kühle Gepumpe zu Beginn des Titelsongs, die metallischen "Signals", die übel verzerrten Gitarren bei "7-Hour-Drive", das sind heute nicht mehr als hohe Hürden, die es zu nehmen gilt, wie einen steilen Gebirgspass auf dem Weg zum Meer.

Markus Lanz wird, so hoffen wir, jetzt einen langen Urlaub machen. Vielleicht findet er unterwegs die Zeit, über das unerträgliche Interview mit Samuel Koch vom Samstag nachzudenken. Dann wird er Trost suchen - und bei The Notwist kann er ihn finden.

Thierry Backes

  • Das Christkind beschenkt mit dieser Platte ... Markus Lanz. Und alle, die in eine Post-Weihnachtsdepression zu fallen drohen.
  • Diese Alben waren ebenfalls Anwärter auf den Titel "Platte des Jahres": Metronomy - "Love Letters", Marteria - "Zum Glück in die Zukunft II".
  • Wer dieses Album in zehn Jahren auflegt, denkt: Wahnsinn, haben die jemals eine miese Platte gemacht?

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The Swans - To Be Kind

The Swans - To Be Kind

Das Triple-Album "To Be Kind" von den Swans lässt sich mit jedem Song viel Zeit.

Anfang der Achtziger, als die Welt Post-Punk und Schulterpolster in Damen-Blazern erfand, war man sich nicht ganz sicher, wohin die Reise denn nun gehen soll. Darum gestaltet man sich neon-farbig, haarsprayig und erfand auch noch Nena mit ihren Luftballons dazu. Es war die Zeit, in der junge Menschen Häuser besetzten, Feminismus durch die Proseminare rollte und Westberlin eine Insel war, auf die sich Wehr-Unwillige flüchteten.

In dieses aufgeregte, aber ziemliche Durcheinander hinein knallte eine amerikanische Experimentalband hinein, die sich "The Swans" nannte. Man wollte auf jeden Fall No Wave sein, kam sowieso aus New York und fingerte an ausgedehnten, schrillen Songs. Diese von Anfang an äußerst laute Band aus dem klanglichen Umfeld von Joy Division gibt es - mit Unterbrechung - immer noch, besser: Es gibt sie wieder.

Spektakulär sind ihre Live-Auftritte: Lead-Sänger und Gründer der Band Michael Gira misshandelte sein Publikum nicht nur mit superspooky Texten und enormer Lautstäke vieler (Jazz-)Instrumente, sondern auch direkt körperlich. Verirrte sich ein Finger seines Publikums am Bühnenrand, trat er darauf, er zupfte der Audience an den Haaren oder verabreichte auch schon mal einen Klaps auf den Hinterkopf, wenn ein Zuhörer es wagte, headbangingmäßig mit dem Schädel zu wackeln.

Gira verabscheut Headbanging nämlich, die versammelt Crowd soll sich gefälligst auf seinen "seelenwärmenden, körperzerstörenden" Vortrag konzentrieren. Damit das mit dem Wärmen auch klappt. Ließ Gira auch schon mal die Air Condition im Konzertsaal abstellen. Auch wegen dieser Gewalt gegen Hörer löste Swan sich 1997 auf.

Überdramatisch einfache Songs

Kam dann aber auf Betreiben Giras kickstartgestärkt im Jahr 2010 wieder. Man spielte 2011 mit Portishead und veröffentlichte Alben: Das jüngste, es ist Swans 13., heißt "To Be Kind", ist im Mai dieses Jahres erschienen - und ist, anders als der Titel suggeriert, kaum freundlich.

Dennoch ist es mein Album des Jahres. Einmal, weil es eine Triple-CD ist, also drei Alben enthält, und zum anderen, weil es sich mit jedem Song Zeit lässt. Sehr viel Zeit. Die Texte sind überdramatisch einfach gehalten ("Some Things we do"), damit sich der rollend-pulsierende Sound und die suggestive Stimme gut entfalten können. Die Alben von "To Be Kind" sind eine Messe in Moll, und wer's nicht glaubt, kommt sowieso in die Hölle oder kann hier ein Konzert dazu sehen und um Vergebung bitten:

Dass es bei den Swans unverhohlen ums Großeganze geht, sagen schon Textzeilen wie im Opener: "No pain, no fear, no death, no hate, no sleep, no dreams, no suffering." Oder in "Some Things we do", in dem Verben ins Präsenz der zweiten Person Plural gebracht werden - and that's it, Folks: Text fertig. Klar, dass dieser Track nur bescheiden Fünfminutennochwas dauern kann. Rundenrekord!

Trotzdem: Die Musik dazu ist benebelt schön, die Stimmen eindringlich, die Songs rollen sich in Rhythmus. Ein solches Erlebnis gab es sonst das ganze Jahr nicht. Swans rulez!

Bernd Graff

  • Das Christkind stopft dieses Album gerne in die Socken von Menschen, die nicht froh und munter sein wollen/können/müssen
  • Diese Alben waren ebenfalls Anwärter auf den Titel "Platte des Jahres": Keines, die Wahl war einfach. Oder doch: Submotion Orchestra - Alium
  • Wer dieses Album in zehn Jahren auflegt, denkt: War das die Zeit mit den Schulterpolstern?

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