Besäufnisliteratur:Flachmänner

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Buch bietet der Verlag hier an.

Hübsche Ideen - altherrenhaft aufgeblasen: Albrecht Selge fordert mit seiner Geschichte "Die trunkene Fahrt" die Besäufnisliteratur heraus. Dialoge werden zu Geschwätz. Und dann müssen auch noch Bach und Schubert herhalten.

Von Christoph Schröder

Der Fiat Panda ist ein nicht zu unterschätzendes italienisches Nationalsymbol. Hält eine Menge aus, passt eine Menge rein. Vier erwachsene Männer zum Beispiel. Albrecht Selges neuer Roman ist im Jahr 1989 angesiedelt (was kaum zu merken ist). Der Panda ist also noch die klassische eckige alte Kiste. Mit ihr steht am frühen Morgen ein Mann namens Gasser vor dem Südtiroler Haus des Kompositionsprofessors Kumm. Dieser hat Gasser angeheuert, seinen Sohn Hibiscus mit dem stark übergewichtigen (West)-Berliner Musikkritiker Zwantulla ( Gasser nennt ihn "Zwantler") und dem Starpianisten Perger einen Tag lang durch die Landschaft zu kutschieren, samt Sehenswürdigkeiten.

Das ist die Ausgangslage, die Selge mit einer Vielzahl von Einfällen anreichert. Der Fremdenführer Gasser ("Ihr Cicerone"), von Beruf Gymnasiallehrer, wie er behauptet, hat nicht nur aus Bequemlichkeit die Sicherheitsgurte seines Panda abgeschnitten. Es fehlt ihm zudem, wie sich bald herausstellt, ein Bein. Das hindert ihn nicht daran, die engen, steilen Bergstraßen mit größtmöglichem Tempo zu nehmen. Vier Männer in einem engen Auto. Die Laune ist dürftig, vorerst. Der eine will rauchen, der andere schweigen; der dritte, Hibiscus, ist, wie sofort zu bemerken ist, nicht eben mit Intelligenz gesegnet.

Manche haben es faustisch hinter den Ohren

Und Gasser, der angebliche Fremdenführer, hat in Wahrheit keine Ahnung: Kirchen oder Kulturdenkmäler, zu denen er die Gesellschaft führen will, sind entweder geschlossen oder nicht vorhanden; stattdessen kennt Gasser sich aber ausgezeichnet in der Gastronomieszene aus. Ein Gasthaus nach dem anderen wird angefahren, der "Hirsch", die "Sonne", die "Krone". Es fließen reichlich Wein und Schnaps, und getreu dem alten Kneipenwitz, dass man das Zeug ja nur saufe, um es zu vernichten, tankt sich die ganze Truppe schon früh am Tag kräftig einen rein.

Das ist, zumindest zu Beginn, noch ziemlich witzig, zumal die Romankonstellation es Selge erlaubt, die Handlung in Dialogen voranzutreiben, was dem Text Tempo verleiht. Die literarische Darstellung allmählicher Trunkenheit birgt allerdings auch Gefahren. Jeder weiß, dass es nur für kurze Zeit komisch ist, Betrunkenen zuzuschauen, wie sie noch betrunkener werden. Nach und nach kippt der Roman in eine seltsam bräsige, altherrenhaft aufgeblasene Albernheit. Die hübschen Ideen, die Selge als Leitmotive einführt, werden nicht weiterentwickelt, sondern nur noch wiederholt. Was sich entwickelt, sind Promillegehalt und Geschwätz.

Unterfüttert ist "Die trunkene Fahrt" mit dezenten Verweisen auf Klassiker der Besäufnisliteratur. Jerofejews "Reise nach Petuschki" kommt einem immer wieder in den Sinn. Bei Jerofejew wird es stockdunkel; bei Selge wird, analog zu den schwindenden Sinnen, der Schriftgrad zunehmend kleiner, bevor er sich in den Südtiroler Höhenzügen endgültig im Nichts auflöst. Zuvor allerdings muss noch ein wenig Bildungsballast abgeworfen werden. Walther von der Vogelweide, Schubert, Beethoven, Bach, Marco van Basten (der Fußballspieler) und antike Philosophen werden zu einem schwer erträglichen Gebräu zusammengekalauert. In der Trunkenheit liegen hier nicht Wahrheit oder Wahnwitz oder Erkenntnis, es bleibt bei eher biederem Ulk. Eine Nachtigall, die am Tag singt? Klar, eine Tagtigall. Und: "Er hat es faustisch hinter den Ohren . . . faustdick, meine ich." Dazu viel "hoho" und "hihi". So lässt man einen Roman im Wortsinn absaufen.

Albrecht Selge: Die trunkene Fahrt. Roman. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2016. 282 Seiten, 19,95 Euro, E-Book 16,99 Euro.

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