Berühmte Mug Shots:Geliebte Gauner

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Das könnten auch wir sein: Mug Shot mit Schauspieler Hugh Grant. (Foto: ASSOCIATED PRESS)

Auf "Mug Shots" wirkt jeder Mensch wie ein Schwerverbrecher. Es sei denn, er oder sie ist hübsch - oder berühmt. Eine kleine Kulturgeschichte der Polizeifotos, die gerade wieder im Netz Karriere machen.

Von Martin Zips

Nein, an dieser Stelle soll natürlich nicht schon wieder darüber gejammert werden, dass die Welt immer oberflächlicher wird. Im Gegenteil: Es ist absolut zu begrüßen, dass dieser Tage erneut ein Polizeifoto im Netz nur deshalb Karriere macht, weil auf ihm eine ausgesprochen hübsche (wenn auch womöglich privat ulkige) Person zu sehen ist. Dieser satte Haarwuchs! Diese perfekt ausbalancierte Nase! Diese kecke Mandeläugigkeit! Diese Lippen!

Logisch, dass das US-Magazin Jet die Schönheit gleich zur "Beauty of the Week" erklärte. Auch um ihre Kaution musste sich die Frau, die angeblich Angela heißt, 22 Jahre alt ist und wegen nicht näher benannten "ungebührlichen Verhaltens" in Miami festgenommen wurde, keine Gedanken machen. Infolge des Bildes, in der Fachsprache der amerikanischen Polizei "Mug Shot" genannt, boten ihr eine Menge Netz-Benutzer Spenden an. Wer so schön ist, so ist offenbar die weit verbreitete Meinung, gehört in Freiheit.

Vor Angela war es der 30 Jahre alte mutmaßliche Kleinkriminelle Jeremy Meeks, dem seine ebenfalls auf einem Mug Shot verewigten blauen Augen, hohen Wangenknochen, gewaltigen Mundpolster sowie die unfassbar männliche Narbe unterhalb seiner linken Augenbraue bald einen stattlichen Vertrag als Fotomodel bescherten. Klar: Nicht nur auf Twitter ist man derzeit über jedes Foto und jede Videobotschaft froh, die nicht mit Terror, Tod und Teufel zu tun hat.

Für Opfer und Ermittler identifizierbar

Mug Shots also. Eigentlich eine rein bürokratische Angelegenheit. Erste Belege für das biometrische System zur Personenidentifizierung finden sich in belgischen und britischen Polizeiakten aus den Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts. Die Aufnahme des "Mug" (britischer Slangausdruck für "Visage") sollte den mutmaßlichen Täter für Opfer und Ermittler gleichermaßen identifizierbar machen, das war die Idee. Der französische Kriminalist Alphonse Bertillon (1853-1914) standardisierte die, nach ihm Bertillonage benannte, Methode.

Steve McQueen mit Victoryzeichen (Foto: N/A)

Auch heute noch erfreuen sich die Porträt- und Profilaufnahmen nicht nur beim US-amerikanischen Erkennungsdienst großer Beliebtheit. Und dank der schon immer hervorragenden polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit gelangen mal hübsche, mal kuriose, mal prominente Mug Shots auch immer wieder an die Öffentlichkeit. Egal, ob auf ihnen Billy the Kid, Jesse James, Lenin, Mussolini, Frank Sinatra, Al Capone oder Paris Hilton im fahlen Licht der Späher leuchten.

Und doch gibt es Unterschiede: Nachdem die Schauspielerin Jane Fonda nach einer Attacke auf einen Polizisten niedrigen Dienstgrades 1970 abgeführt wurde, reckte Fonda auf dem Mug-Shot-Stuhl ihre Faust in die Höhe. Steve McQueen bevorzugte nach einer angeblichen Alkoholfahrt 1972 das Victory-Zeichen. Man muss sich ja nicht alles bieten lassen. Weniger selbstbewusst blickte Hugh Grant, nachdem er im Juni 1995 beim Auto-Sex mit einer Prostituierten auf einem nicht dafür frei gegebenen Boulevard festgenommen worden war. Fröhlich hingegen: Der junge Bill Gates nach einem Verkehrsvergehen in New Mexiko, auf einem Mug Shot von 1977.

Nun gibt es sicher weitaus schlimmere Typen als Gates, Grant, McQueen und Fonda, deren Porträts allein wegen ihrer Popularität in den Zeitungen landeten. Es gibt sicher auch üblere Figuren als Angela aus Miami oder Jeremy aus Stockton, deren glatte Konterfeis von der Güllepumpe Internet in Sekundenbruchteilen ungefragt über die Welt geblasen wurden. Warum aber interessieren uns solche Bilder überhaupt? Schadenfreude? Voyeurismus?

Bilder im digitalen Zeitalter
:Abgeschossen

Halbwüchsige mailen wie wild Selfies herum, Frauen wehren sich auf Revenge Porn gegen im Web kursierende freizügige Bilder von ihnen und Hugh Grant fungiert als Mona Lisa der Mugshots. Neue digitale Bildformate zerstören unseren Ruf, setzen ganze Existenzen aufs Spiel. Das Phänomen ist nicht neu. Aber Wegschauen hilft nicht.

Von Peter Richter, New York

Wahrscheinlich ist es das: Der brave Bürger, der Kleinkriminelle, der Schwerverbrecher, die Schönheit und das Ekel - auf einem Stuhl vor einer schmucklosen Wand sitzend, widerwillig ein Schildchen haltend, wirken sie alle gleich.

Das könnten auch wir sein.

Fragen bleiben: Hat der 1975 biometrisch erfasste Dennis Hopper wirklich nur die ein oder andere Verkehrsregel missachtet, so wie der dreinblickt? Hat der nicht doch eine Bank überfallen? Hat sein Kollege Woody Harrelson 1982 wirklich nur auf der Straße getanzt? Nicht etwa einen total süßen Hund vergiftet? Und sieht der Boston-Bomber Dzohkhar Tsarnaev nicht eigentlich ganz sympathisch aus?

Ach, wie viel übersichtlicher wäre das Leben doch, wenn das Böse überall dem Betrachter so eindeutig entgegenblicken würde wie auf den mittelalterlichen Dämonen-Bildern des Malers Hieronymus Bosch.

© SZ vom 27.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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