Berliner Techno-Club Berghain:Was, Sie schicken Menschen weg?

Berliner Techno-Club Berghain: Marc Brandenburg hat einen Kiosk errichtet, in dem man temporäre Tattoos erwerben kann, eine fast schon zu direkte Anspielung ans "Gesicht" des Berghain: an Sven Marquardt.

Marc Brandenburg hat einen Kiosk errichtet, in dem man temporäre Tattoos erwerben kann, eine fast schon zu direkte Anspielung ans "Gesicht" des Berghain: an Sven Marquardt.

(Foto: Zsu Szabo/Berghain)

Vergesst Geschmack, pfeift auf Distinktionen, lasst euch gehen, folgt eurer Gier! Das Berghain wird zehn Jahre alt. Anlass für eine Kunstausstellung - direkt neben der Feierkathedrale.

Von Gustav Seibt

Ach, das Berghain. Im Winter wird der berühmte Berliner Club zehn Jahre alt. Er gönnt sich dazu eine schöne, intime Kunstausstellung in der "Halle", wo einst die Kohleöfen des Heizkraftwerks für die Stalinallee glühten, direkt neben dem Haupthaus, der großen Feierkathedrale - und die Berliner bilden schon wieder eine mindestens dreihundert Meter lange Schlange. Da stehen nun, am helllichten Donnerstagabend, Tausende elegante junge Menschen an, Hipster mit Bart und Brille, Galeriedamen, dazu ältere Herrschaften in Knitteranzügen. Der RBB berichtet live.

Das ist eine andere Schlange, als sie noch 2001 Wolfgang Tillmans in seinem legendären Foto "Outside Snax-Club" aus einem Versteck ablichtete. Und wenn jetzt Jens Balzer, der großartige Pop-Kritiker der Berliner Zeitung, zum Geburtstag auf der Website seines Blattes eine eigene musikalische Begleitausstellung mit Musikvideos der besten Gruppen aus dem Berghain-Konzertprogamm zusammenstellt, um den hervorragenden "Geschmack" zu rühmen, der hier herrscht, dann muss man doch feststellen: Um Kunst, um Geschmack gar, ging es damals eigentlich eher nicht.

Abend für Abend sollte eine funktionierende Gemeinschaft entstehen

Denn das Berghain ist ja älter als der Club gleichen Namens, der Weltruhm erlangte. Seine Vorgeschichte reicht zurück zu den ersten Elektroclubs nach der Wende im aufgerissenen Boden von Berlin-Mitte, dem E-Werk, dem Tresor, dem Suicide, aber vor allem zum Snax-Club, der an wechselnden Orten zu unregelmäßigen Terminen, mal im Bunker an der Reinhardt-Straße, mal im "Milchhof" in der Anklamer Straße, stattfand und das war, was die Plakate damals ankündigten: "Pervy-Party - men only - break a rule."

"Ey, nur Verpeilte und Schwule da unten!"

Noch dem Ostgut, dem unmittelbaren Vorläufer des Berghain, das sich in einem Reichsbahndepot am Ostbahnhof in Friedrichhain eingenistet hatte, war der dreckige Ursprung anzusehen, obwohl sich hier die Tore, vor denen Sven Marquardt, der weltbekannte, über und über tätowierte und gepiercte Türsteher schon damals wachte, für alle Geschlechter öffneten.

Berliner Techno-Club Berghain: Natürlich konnte Sven Marquardt nicht jeden hereinlassen, schon bald, weil der Andrang zu groß wurde, vor allem aber, weil hier darauf geachtet wurde, Abend für Abend eine funktionierende Gemeinschaft entstehen zu lassen.

Natürlich konnte Sven Marquardt nicht jeden hereinlassen, schon bald, weil der Andrang zu groß wurde, vor allem aber, weil hier darauf geachtet wurde, Abend für Abend eine funktionierende Gemeinschaft entstehen zu lassen.

(Foto: Zsu Szabo/Berghain)

Sven Marquardt lässt in der kommenden Woche seine Autobiografie erscheinen ("Die Nacht ist Leben", Ullstein Verlag), und hier werden die Anfänge der Geschichte plastisch. Von dem sommerlichen Garten im Freien, in dem die Ostgut-Besucher die Morgensonne begrüßten, berichtet Marquardt: "An der feiernden Gemeinschaft, die sich da am helllichten Tag bedröhnt herumwälzt, fährt manchmal eine Rangierlok vorbei, deren Fahrer immer dann, wenn er uns gerade erreicht, sein Signal erdröhnen lässt. Die Gemeinschaft bedankt sich lauthals mit Grölen und Klatschen. Einmal höre ich den Lokführer zu seinem Kollegen brüllen: ,Ey, nur Verpeilte und Schwule da unten!'"

Hier waren eben eher keine Diedrich-Diederichsen-Leser, und Rainald Goetz war wohl immer viel zu keusch, zu rein, um hier mitzuraven. Als die Sache dann doch literarisch wurde, beim Blogger "Airen" und dem Literatur-Girl Helene Hegemann, regierte längst nicht mehr vor allem verbrüdernder, verschwitzter Sex, sondern allzu oft auch die einsam machenden Drogen.

In der Vorgeschichte des Berghain spielten die mehr oder weniger anstrengenden und angestrengten Berlin-Zuwanderer - das Personal, das Wolfgang Herrndorf in seinem Debütroman "In Plüschgewittern" porträtierte - auch noch gar nicht die Hauptrolle. Nein, ebenso wichtig im Mix waren die gierigen Landeier aus den Autokennzeichenbezirken UM, MOL, LDS, TF, die schon deshalb durchfeiern mussten, weil die Regionalzüge sie erst am Vormittag wieder in ihre Dörfer zurückbringen konnten. Das internationale Easy-Jet-Publikum, das Tobias Rapp in seinem Berghain-Buch "Lost and Sound" vorstellte, reiste erst seit der Jahrtausendwende an.

Im Snax und im Ostgut tummelten sich so viele Glatzen mit Domestos-Jeans und Springerstiefeln, dass die türkischen Taxifahrer, die am Ausgang warteten, besorgt fragten, ob sich hier Neonazis versammeln. Zur Bereinigung des Berliner Nazi-Problems der Neunziger dürfte die schwule Umwidmung der Skin-Kluft mehr beigetragen haben als alle Präventionsprogramme "gegen rechts".

Urin im Aquarium

Denn schon damals war die Atmosphäre im Berliner Techno inklusiv, nicht nur erfrischend frei vom auskennerischen Geschmäcklertum der Poptheorie, sondern auch beim Zugang fürs Publikum. Die Türken vom Gayhane im SO 36 hüpften bald ins Ostgut, um nach orientalischem Bauchtanz bei klareren Beats zu feiern.

Natürlich konnte Sven Marquardt nicht jeden hereinlassen, schon bald, weil der Andrang zu groß wurde, vor allem aber, weil hier darauf geachtet wurde, Abend für Abend eine funktionierende Gemeinschaft entstehen zu lassen, eine Crowd, die trotz ihrer großen Zahl etwas Intimes behalten sollte. Sven Marquardt heute: "Warum fällt eine Theologin und Pfarrerin wie Margot Käßmann, die mit mir in einer Talkshow sitzt, deshalb vom Glauben ab? ,Was, Sie schicken Menschen weg?' Ja, tun wir. Wir sind nicht Mutter Teresa." Und das war eben nie eine Frage der Eleganz.

Berliner Techno-Club Berghain: Wo einst die Kohleöfen des Heizkraftwerks für die Stalinallee glühten, erinnert eine Kunst-Ausstellung an die Vorgeschichte und den Erfolg des Berliner Clubs Berghain: Blick auf ein Gemälde von Norbert Bisky.

Wo einst die Kohleöfen des Heizkraftwerks für die Stalinallee glühten, erinnert eine Kunst-Ausstellung an die Vorgeschichte und den Erfolg des Berliner Clubs Berghain: Blick auf ein Gemälde von Norbert Bisky.

(Foto: Zsu Szabo/Berghain)

Die Aufforderung der Anfänge - "break a rule" -, die bald so großzügig aus der schwulen Nische heraus an alle erging, meinte genau das: Vergesst Geschmack, pfeift auf Distinktionen, lasst euch gehen, folgt eurer Gier. Noch einmal Sven Marquardt: "Wir nehmen auch Masken und Schottenröcke oder die Pamela-Anderson-Blondine im Peek& Cloppenburg-Kostüm, die mit zwei bärigen, verschwitzten Kerlen kommt, die sich gegenseitig den Achselschweiß ablecken. Das ist für mich das Berghain." Und das war seit dem Ostgut das Geschenk der schwulen Subkultur an die Mehrheitsgesellschaft, das diese seit fünfzehn Jahren mit nicht nachlassender Begeisterung entgegennimmt.

Der Schweiß von Tänzern auf weißen Stoffbahnen

Darum ist es passend und richtig, dass die von Christoph Tannert kuratierte Geburtstagsausstellung diese leiblichen und kruden Anfänge der Geschichte in den Blick nimmt. Sarah Schönfeld hat über viele Wochen männlichen Urin im Berghain gesammelt und lässt ihn jetzt in zwei geschlossenen, innen beleuchteten Aquarien aus dem Dunkel des Raums glühen.

Chemisch sichtbar gemachter Schweiß von Tänzern auf weißen Stoffbahnen erinnert an liturgische Tücher. Ein ekstatischer Jünglingskopf von Norbert Bisky schwebt in der Höhe, mit einer erotischen Aura, die die malerischen Vorbilder Lichtenstein und Deineka sieghaft übertrumpft. Marc Brandenburg hat einen Kiosk errichtet, in dem man temporäre Tattoos erwerben kann, eine fast schon zu direkte Anspielung ans "Gesicht" des Berghain, eben jenen Sven Marquardt, gebrochen durch eine grafische Filigranität, die das Martialische des Fetischs zurücknimmt.

Piotr Nathan, der Hauskünstler des Berghain, ist mit drei Arbeiten vertreten, von denen zwei Schnickschnack sind, aber eine großartig. Schnickschnack sind die mit Aufforderungen beschmierten originalen Klotüren, letzte Relikte des Vorinternet-Zeitalters, und ein Video von einer "Bildzerstörung", die in der Halle des Berghain stattfand. Großartig ist sein Gemälde "Der Fall des Herkules", dessen brillante Figuren- und Farbkomposition an manieristische Malerei, an Pontormo und Parmigianino, anknüpft. Schon allein dafür lohnt ein Besuch der Ausstellung.

Die DDR mit der Leiblichkeit ihrer Menschen konfrontiert

Daneben gibt es den üblichen allegorischen Installationskram und vor allem: Fotos. Sie führen die Archäologie des Berghain bis zu ihren ersten Anfängen. Sven Marquardt, der Ostpunker aus Pankow, begann vor der Wende als Schwarzweiß-Fotograf in der Tradition der DDR-Fotokunst mit ihren großen Namen Sibylle Bergemann, Roger Melis, Bernd Heyden, Gerd Danigel oder Helga Paris. Robert Paris war Marquardts erster Partner.

Diese, an die Bildsprache vor allem französischer Meister anknüpfende Tradition ist heute in wundervollen Sammelbänden des Lehmstedt-Verlags zu besichtigen. Hier aber wurde, bei aller Kunst der Motivfindung und Beleuchtung, etwas gesucht, was vor der Kunst liegt, die Wahrheit der Menschen als Kontrast und Prüfstein des "Systems" und seiner geschichtsphilosophischen Rhetorik. Hier wurde die DDR, wie sonst nur in den Büchern von Volker Braun, mit der Leiblichkeit ihrer Menschen konfrontiert. Dieser Wahrheitsanspruch aber wurde in der Club-Kultur nach der Wende wörtlich genommen und bis heute weitergereicht. Darum darf im Berghain auch immer noch Kunst stattfinden - diese Kunst.

10. In der Halle am Berghain, Berlin, bis 31. August. Info: www.berghain.de/events

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